Feminismus und Rassismus

Empfohlene Zitierung:

Muthumbi, Jacqueline (2023). Feminismus und Rassismus. In: Institut für Demokratie und Zivil- gesellschaft (Hg.). Wissen schafft Demokratie. Schwerpunkt Antifeminismus & Hasskriminalität, Band 13, Online-Ausgabe. Jena, 198–209.

Schlagwörter:

Rassismus, weißer Feminismus, Schwarz

 


Als ich anfing, mir Gedanken über meinem Vortrag „Antifeminismus und Rassismus“ zu machen, war ich anfänglich sehr angetan von diesem Thema. Beides sind Ideologien, die gegen die Gleichstellung und Teilhabe bestimmter Menschengruppen und die Durchsetzung ihrer politischen, sozialen und wirtschaftlichen Rechte arbeiten. Ich entschied mich, eine wenig bekannte, aber interessante Perspektive zu nehmen: weißer Feminismus und Rassismus. Feminismus in Deutschland ist weiß dominiert. Die meisten Fachleute sind weiß und die Perspektiven, Lebenserfahrungen und Errungenschaften weißer Frauen werden infolgedessen ins Zentrum gestellt. Wo bleiben die Perspektiven, Lebenserfahrungen und Errungenschaften nicht-weißer Frauen im vorwiegend weißer Feminismus? Warum werden sie wenig oder gar nicht berücksichtigt oder in Narrativen präsentiert, die weiße Feministinnen als Retterinnen und Frauen of Colour als Gerettete darstellen? Der Beitrag möchte den Missstand der Unsichtbarkeit Schwarzer und nicht-weißer Frauen in den feministischen Bewegungen und Anstrengungen sichtbar machen, bespricht mögliche Erklärungen und Wurzeln des weißen Feminismus und bietet Vorschläge für einen inklusiven rassismuskritischen deutschen Feminismus.


 

Einleitung

Dieser Beitrag versteht sich nicht als ein umfassendes Werk über (Anti-) Feminismus und Rassismus, sondern als eine Einladung an alle Lesenden, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Es sollen Räume geschaffen werden, in denen reflektive, unterstützende Arbeit stattfinden kann.
Wenn über Antifeminismus und Rassismus gesprochen wird, kommen häufig Gewaltdelikte von Männern zur Sprache. Dies lässt aber die antifeministische Wirkung der rassistischen Gewalt weißer Frauen außer Acht. Von Männern ausgeübte Gewalt gegen Frauen darf nicht und wird durch diesen Beitrag nicht legitimiert. Berücksichtigt und in den Blick genommen werden sollten aber auch die Schäden für alle Frauen, die durch die Hegemonie des weißen Feminismus entstehen.

 

Der Ursprung des weißen Feminismus

Bevor ich mich den Ursprüngen des weißen Feminismus nähere, möchte ich eine kurze Definition voranstellen. Weißer Feminismus ist Koa Beck zufolge:

„[…] eine Ideologie und eine sehr spezifische Herangehensweise und Strategie, um die Gleichstellung der Geschlechter zu erreichen, die sich mehr auf die individuelle Akkumulation, das Kapital und die Individualität konzentriert - die Anhäufung von Macht ohne jegliche Umverteilung oder Neubewertung. Und deshalb überschneidet sich der weiße Feminismus mit der weißen Vorherrschaft, dem Klassismus und der Transphobie, weil es keine Analyse dieser Macht gibt und er in seiner Ausführung und seinen Zielen sehr singulär ist.“ (Solis 2021)

Weißer Feminismus erkennt die Perspektiven und Lebenserfahrungen von nicht-weißen Frauen nicht an, bezeichnet diese Frauen aufgrund ihrer gelebten Erfahrung als weniger objektiv und sorgt dafür, „[...] dass die Referenzen, die weiße Frauen der oberen Mittelschicht besitzen, die wertvollsten Kriterien im Feminismus selbst bleiben“ (Zakaria 2022, 18).

„Wo liegen Ihre Wurzeln?“ oder „Wo kommen Sie her?“ Diese Frage bekommen viele Afrodeutsche gestellt. Diese und ähnliche Bemerkungen zum Aussehen und zur Aussprache gehören zum Alltag vieler nicht-weißer Deutscher, gerade wenn ein Migrationshintergrund vermutet wird. Es leben ca. eine Million Menschen afrikanischer Herkunft in Deutschland, deren Präsenz sich bis ins Mittelalter zurückverfolgen lässt. Es gibt Belege, dass, zahlreiche Schwarze am Hof des Stauferkönigs Friedrichs II tätig waren (Kaplan 1987). Dennoch bleibt Schwarzes Deutschsein, bleiben Schwarze Errungenschaften und Schwarze Geschichte weitgehend unsichtbar.

Lowe (2005, 26) beschreibt, dass die negativen Vorurteile gegenüber Schwarzen Menschen auf dem Erscheinen verschleppter und versklavter Schwarzer Menschen aus dem Subsahara-Raum basieren – zu einem Zeitpunkt, so Lowe, als die weiße europäische Selbstdefinition stattfand. Dies führte zu einer Konkretisierung bestimmter Vorstellungen, die sich in Definitionen von Zivilisation und Zivilisiertheit ausdrückten. Aufgrund vieler märchenhafter und völkischer Erzählungen wurde die Schwarze Haut entmenschlicht und auf die fehlende Ähnlichkeit zur weißen Schönheit und europäischen Vorstellung von Zivilisiertheit reduziert. Obwohl Race als Ausschlusskriterium für gesellschaftliche und politische Teilhabe noch nicht klar definiert wurde, hat damals die Hautfarbe in Europa die Grenzen zwischen den „Zivilisierten“ und den „Barbaren“ klar aufgezeichnet. Schwarz, sowohl heute als auch im christlich geprägten Mittelalter, ist die Farbe des Teufels, des Bösen, des Animalischen, der unbekannten Gefahr.

Obwohl die Mehrheit Schwarzer Menschen in Europa versklavt war, gab es freigelassene Afrikaner*innen und mixed-race1 Menschen, die als prestigeträchtige Diener*innen dienten, an den Höfen eine große Nähe zum Adel hatten und in privilegiertere Positionen aufstiegen. Dies zeigt sich in der Kunst des späten 12. Jahrhunderts, wo positive Darstellungen von Schwarzen Menschen zunahmen. Dennoch hielten die Europäer*innen daran fest, alle Schwarzen Menschen als Sklav*innen und ihre Haut als Zeichen der Unzivilisiertheit und gefährlichen Wildheit zu sehen

Schwarze Menschen im deutschsprachigen Raum konnten trotz ihrer Errungenschaften und ihres sozialen Aufstiegs den allgegenwärtigen Anti-Schwarzen Ressentiments nicht entkommen. Das ist am besten an Angelo Soliman zu sehen. Er kam als Versklavter aus Afrika und diente als Soldat und vertrauter Berater des österreichischen Feldmarschalls Prinz Lobkowiz. Soliman war eine prominente Figur in Wien und zeigte, dass die Integration Schwarzer Menschen in die europäische Gesellschaft möglich war. Nach seinem Tod aber wurde seine Leiche in einem Akt rassistischer Degradierung als Wilder ausgestopft, mit Straußenfedern und Muscheln bekleidet und mit anderen Afrikaner*innen im Kuriositätenkabinett von Kaiser Franz II. ausgestellt (Bowersox o. J.). Bis 1914 waren Schwarze – hauptsächlich jung und männlich – überall im deutschen Kaiserreich zu finden. Die temporäre Einwanderung diente den Zielen des deutschen Imperialismus und wurde durch Migrationsbeschränkungen unterstützt. Zu keinem Zeitpunkt war es für die Migrant*innen vorgesehen, in Deutschland sesshaft zu werden. Diese Beschränkungen sollte die europäische Gesellschaft rein von „barbarischen“ Einflüssen halten. Nach dem Ersten Weltkrieg und zur Zeit der Weimarer Republik lebten schätzungsweise zwischen 1.000 und 3.000 Schwarze Menschen in Deutschland, die nur übergangsweise hier waren. Mit dem Friedensabkommen brach das Deutsche Reich in Afrika zusammen, Deutschland musste seine Kolonien abgeben. Dies setzte der Zuwanderung aus Afrika ein Ende und durch bürokratische Hürden waren die Afrikaner*innen, die nach Hause wollten, hier gestrandet. Ihr rechtlicher Status war prekär: Nach dem Krieg waren sie staatenlos und denjenigen, die die deutsche Staatsangehörigkeit beantragten, wurde die Einbürgerung ausnahmslos verwehrt.

Auch in der NS-Zeit setzte sich die rassistische Diskriminierung fort, Rassetheorien wurden propagiert und es herrschte ein vermeintlich wissenschaftlicher Konsens über die Überlegenheit der Weißen. Trotz der kontinuierlichen und wachsenden Präsenz Schwarzer Menschen wurden sie aus rassistischen Gründen benachteiligt und entweder ausgegrenzt oder ausschließlich in rassistischen Stereotypen sichtbar gemacht (Lowe 2005, 19–21).

Anti-Schwarzer Rassismus weist auf einen verdrängten Abschnitt deutscher Geschichte und Kultur hin, der sich bis heute in den Einstellungen der Gesellschaft zeigt. Im weißen Feminismus sieht man den Anti-Schwarzen Rassismus besonders deutlich.

 

Die deutsche Frauenbewegung, Kolonialismus und weißer Feminismus

Meist wird der Ursprung des Feminismus mit den Kämpfen für das weibliche Wahlrecht verbunden. Aber zur selben Zeit und schon davor kämpften Schwarze und nicht-weiße Frauen für ihre Rechte und gegen koloniale Besatzungen. Im Jahr 1815 hielt Sojourner Truth in Akron, Ohio ihre berühmte Rede „Aint I a Woman“ und kritisierte darin die Ausgrenzung Schwarzer Frauen aus der feministischen Bewegung:

„… Der sagt, dass Frauen beim Einsteigen in eine Kutsche geholfen werden müsse, und auch beim Überqueren von Gräben und dass ihnen überall der beste Platz zustehe. Mir hat noch nie jemand in einen Wagen geholfen oder über eine Schlammpfütze oder den besten Platz überlassen! Bin ich etwa keine Frau? Sehen Sie mich an! Sehen Sie sich meinen Arm an! Ich habe gepflügt, gepflanzt und die Ernte eingebracht, und kein Mann hat mir gesagt, was zu tun war! Bin ich etwa keine Frau? Ich konnte so viel arbeiten und so viel essen wie ein Mann - wenn ich genug bekam – und die Peitsche konnte ich genauso gut ertragen! Bin ich etwa keine Frau? Ich habe dreizehn Kinder geboren und erlebt, wie die meisten von ihnen in die Versklavung verkauft wurden, und wenn ich um sie weinte, hörte mich keiner außer Jesus! Bin ich etwa keine Frau?“ (Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e. V. 2021)
 

Weißer Feminismus damals und heute hat als Schwäche die unreflektierte Diskriminierung von nicht-weißen Frauen und trans Frauen. Er setzt voraus, dass die geschlechtliche Diskriminierung die Hauptform der Unterdrückung für alle Frauen sei und zelebriert die Idee der Gemeinsamkeit aller Frauen: die sogenannte internationale Schwesternschaft. Anhand Sojourner Truths Reden ist klar: Sie gehörte der Schwesternschaft nicht an. Als Schwarze Frau berichtete sie von ihrer Misshandlung und Versklavung und dass sie die Mutterrolle nie ausleben durfte, weil die meisten ihrer Kinder in die Sklaverei verkauft wurden. Der gesellschaftliche Diskurs damals wurde von weißen Frauen geführt, die ihre sexistischen viktorianischen Weiblichkeitsideale der zarten, hilfsbedürftigen Frau nicht reflektierten. Sojourner Truth musste Beweise liefern, um ihre Zugehörigkeit zu begründen. Nicht-weiße Frauen wurden über ihre nicht-europäischen Merkmale definiert, was sofort zu ihrer Exklusion aus der Gemeinschaft weißer Frauen führte. Das ständige Übersehenwerden und der Ausschluss aus dieser wertvollen Gesellschaft ist bis heute für nicht-weiße Frauen eine schmerzhafte Erfahrung (Remli 2020).

Als im Jahr 1865 der Allgemeine deutsche Frauenverein (ADF) gegründet wurde, sahen sich weiße Frauen mit dem Problem der rasch steigenden Frauenarmut konfrontiert, die auch zunehmend die bürgerlichen Kreise traf. Der ADF wollte diesem Problem mit eigenständigen Erwerbsmöglichkeiten entgegentreten. Deutsche Kolonist*innen und Kolonialagitator*innen versprachen sich und anderen weißen Frauen bessere Positionen in den Kolonien als in der Heimat. Insbesondere bürgerliche Frauen konnten sich dort eine eigenständige Existenz als selbstständige Missionarinnen, Lehrerinnen oder Krankenschwestern jenseits der Ehe aufbauen, was im Deutschen Kaiserreich fast unmöglich erschien. Die Kolonialgeschichte gilt heute als Geschichte großer Männer: Doch der Begriff „Kolonialherren“ blendet die aktive Beteiligung von weißen Frauen aus.

Die Kolonialpolitik, ursprünglich an deutschen Männern orientiert, scheiterte kläglich an ihrer Geschlechtlichkeit. Die Beziehungen zwischen den deutschen Eindringlingen und den kolonisierten, rassifizierten Frauen stellten eine Gefahr für den politischen Machtanspruch und das Überlegenheitsgefühl der weißen Gesellschaft dar. Denn nach deutschem Recht erhielten die Ehefrauen und Kinder aus den Mischehen die deutsche Staatsangehörigkeit des Vaters, mit allen Rechten und Privilegien. Gerade im heutigen Namibia, wo „ein junges Deutschland“ entstehen sollte, fürchteten die Siedlerinnen einen „Verlust des Deutschseins durch die Mischehen und die mixed-race Kinder“ (Gippert 2009).
Unter der Leitung von Hedwig Heyl, Vorsitzende des Frauenbunds der deutschen Kolonialgesellschaft, setzte sich der Frauenbund der deutschen Kolonialgesellschaft dafür ein, ledige, heiratswillige deutsche Frauen in die Kolonien zu übersiedeln. Der vermeintlichen Überfremdung und Verrohung des Deutsch(männer-)tums vor Ort und der Annäherung an die indigene Kultur sollte so vorgebeugt werden. Denn der bedrohliche Zuwachs an mixed-race Kinder war, in den Augen der Deutschen, auf das unzureichende Angebot weißer Frauen zurückzuführen – und nicht etwa auf die vielen Vergewaltigungen und Konkubinatsbeziehungen (Eickelberg 2011).

In erster Linie war ihr Auftrag, deutsche Männer zu heiraten, weißen Nachwuchs zu bekommen und mit ihren weiblichen Tugenden und ihrer weißen bürgerlichen Überlegenheit den kolonialen Besitz zu sichern. Das Gefühl, in einem frauenarmen Land mit Freude begrüßt zu werden und als Hüterin der deutschen Kultur gesehen zu werden, steigerte das Selbstwertgefühl der vermittelten Frauen enorm. Die ungewohnte gesellschaftliche Anerkennung, die die Siedlerinnen aufgrund ihrer Immigration und ihres Einsatzes bekamen, ließ ihre Loyalität und ihren Nationalismus gegenüber dem Vaterland in die Höhe schnellen. Durch die neue soziale Stellung in den Kolonien hegten sie die Hoffnung auf mehr Rechte in der Heimat. Dies führte dazu, dass die Siedlerinnen, wie am Beispiel der Mischehen zu sehen ist, ob bewusst oder unbewusst, eigene Interessen mit der Verbreitung und Vertiefung rassistischen Gedankenguts verfolgten (Lasse 2018).

Obwohl Schwarze Frauen eine prägendere und verantwortungsvolle Rolle in ihrer einheimischen Gesellschaft einnahmen – sie hatten z. B. Führungspositionen außerhalb der Ehe und Familie und durch Empfängnisverhütung oder Abtreibung weitgehende Kontrolle über ihre Gebärfähigkeit –, wurden sie von den Siedlerfrauen als faul, primitiv, schmutzig und als unfähige Hausfrauen dargestellt. Die Afrikanerin war der Gegenentwurf zur deutschen Weiblichkeit und entsprach nicht dem Ideal der frommen, fügsamen deutschen Frau. Gegenüber dem weiblichen afrikanischen Körper wurde rassistische Dominanz sowie Techniken der Disziplinierung und Kontrolle ausgeübt. Die „Erziehung“ Schwarzer Frauen und Mädchen fand sowohl in den Missionsschulen statt als auch in der Ausübung körperlicher Gewalt. Die weißen Frauen standen den weißen Herren in nichts nach und gingen mit äußerster Härte und Brutalität zu Werke:

„Frauen entwickelten eine spezifisch, weibliche Variante des kolonialen Überlegenheitsgefühls, das sich im Wesentlichen aus der Identifikation mit ihrer kulturellen Herkunft speiste und vor allem in der Inszenierung einer pedantischen, bürgerlichen Weißen Haushaltsführung in den Kolonien manifestierte.“ (Gippert 2009)

Aufgrund ihrer sozial und diskursiv konstruierten Besserstellung – ihrem Weißsein – vermittelten die deutschen Frauen nicht nur westlich europäische Moralvorstellungen und Hygienebegriffe, sondern sorgten mit ihrer sozialen Arbeit und den Gewaltpraktiken für die innere Kolonisation und somit die vollkommene koloniale Eroberung und Herrschaftssicherung über die kolonisierten Menschen. Die Vermittlung der vermeintlich gottgewollten Unterordnung von Frauen durch christlich-geprägte Missionare und die dazugehörige geschlechtsspezifische Arbeitsteilung zerstörte die ökonomische Unabhängigkeit einheimischer Frauen und brachte sie in die am geringsten bezahlten und die am härtesten durch Ausbeutung gekennzeichneten Erwerbstätigkeiten der Kolonialwirtschaft (Eickelberg 2011).

In Deutschland gingen die feministischen Kämpfe weiter. Hedwig Dohm definierte das Wahlrecht als eine Voraussetzung für jede weitere emanzipatorische Entwicklung. Am 19. Januar 1919 durften Frauen zum ersten Mal bei nationalen Wahlen ihre Stimme abgeben. Doch all die Anstrengungen galten ausschließlich der weißen Frau (Zakaria 2022). Auch die Women’s Social and Political Union (WSPU), der militante Flügel der Suffragetten in England, kämpfte radikal für die Einführung des Frauenstimmrechts. Ihre Anschläge, Hungerstreiks und die Zerstörung des öffentlichen und privaten Eigentums forderten ebenfalls nur das Wahlrecht für weiße Frauen.

Die führenden Frauen aus Europa reproduzierten in ihrem weißen Rettungskomplex Machtverhältnisse, deren Ursprung weiße Vorherrschaft und jahrhundertelange Unterdrückung, Gewalt und Ausbeutung waren. Die weißen Menschen standen an der Spitze des rassistischen Systems, Schwarze Menschen standen ganz unten. Weißem Feminismus ist die historische und komplexe Problematik des Rettungskomplexes nicht bewusst und er reproduziert die bereits angesprochenen Machtverhältnisse aus dem dunklen Kolonialzeitalter. Lorde (2017 ) verbindet in ihrer unnachahmlichen Weise weißen Feminismus und Rassismus:

„Wenn weiße amerikanische feministische Theorie sich nicht mit den Unterschieden zwischen uns und den daraus resultierenden Aspekten unserer Unterdrückung zu beschäftigen braucht, was macht man dann mit der Tatsache, dass die Frauen, die eure Häuser putzen und eure Kinder hüten, während ihr Konferenzen feministischer Theorie besucht, größtenteils arme Frauen aus der Dritten Welt sind? Was ist die Theorie hinter dem rassistischen Feminismus?“

Anfang des 20. Jahrhunderts zog es, durch die Kolonialisierung und Industrialisierung anderer Länder, Schwarze Menschen in die expandierenden, kosmopolitischen europäischen Großstädte. In Berlin und Hamburg lebten Schwarze Communitys, die sich aufgrund gemeinsamer Interessen, geteilter Rassismuserfahrungen und der Schwierigkeiten des wirtschaftlichen und sozialen Überlebens zusammentaten.

 

Gegenstrategien

So wie bereits die damalige deutsche Frauenbewegung beschäftigt sich, bis auf wenige Ausnahmen, auch aktuell keine deutsche Feministin mit der Kolonialgeschichte Deutschlands. Das Ergebnis des eurozentrischen Blicks sieht man beispielsweise im „Deutschen Frauenrat“. Die Vorständinnen sind allesamt weiß, die Leiterin des Fachausschusses „Intersektionalität“ ist ebenfalls weiß. Der Deutsche Frauenrat mit dem Slogan „Die starke Stimme für Frauen“ zählt aktuell 59 Mitgliedsverbände. Im Jahr 1911, als der „Deutsche Frauenrat“ noch „Bund Deutscher Frauenvereine“ hieß, trat der „Frauenbund der Deutschen Kolonialgesellschaft“ (FdKG), der für die Übersiedlung deutscher Weiblichkeit in die afrikanischen Kolonien verantwortliche Verein, dem „Bund Deutscher Frauenvereine“ bei. An keiner Stelle ist die Zusammenarbeit mit dem FdKG erwähnt oder thematisiert. Das selbst gesteckte Ziel des „Deutschen Frauenrats“ zeigt eine unreflektierte Ausgrenzung anderer Realitäten: „Die rechtliche und faktische Gleichstellung von Frauen und Männern in allen Lebensbereichen. Wir setzen uns für einen geschlechterdemokratischen Wandel ein und für eine gerechte und lebenswerte Welt für alle.“ (Deutscher Frauenrat o. J.)
Die Differenzen sowie die Diskriminierungen, die die Mitglieder von Migrant*innenorganisationen erfahren, werden ausgeblendet. Wie werden Mehrfachbedrohungen, die insbesondere Schwarze Frauen in sozialer, politischer und wirtschaftlicher Hinsicht erfahren, adressiert? Wo sind die Stimmen der trans Frauen oder non-binärer Personen? Weiße Vorherrschaft muss aus dem Feminismus verbannt werden. Diese Geisteshaltung schadet dem Feminismus, weil sie Weißsein und weiße Vorherrschaft glorifiziert. Andere Feminismen, andere Lebenserfahrungen, die als wertlos für die feministische Bewegung kodiert sind, müssen ins Zentrum dominanter Diskurse gerückt werden. Die nigerianische Feministin Mary E. Modupe Kolawale (1997, 11) zitiert Rose-Marie Tong: „Feministische Theorie ist nicht eine, sondern viele Theorien oder Perspektiven, und jede Perspektive versucht, die Unterdrückung der Frau zu beschreiben, ihre Ursachen und Folgen zu erklären und Strategien für die Befreiung der Frau zu verschreiben.“2

Wie also kann Feminismus intersektionaler, inklusiver und für alle Frauen einladender sein? Karin Lederer (1997) drückt es am besten aus:

  1. Frauen sollen sich über die Rolle der Machtstrukturen klarwerden: Macht der Hautfarbe, Macht der Sprache, Macht aufgrund ihres Zugangs zu weißen Männern, Medien, Institutionen, Macht zu entscheiden, ob sie sich solidarisieren.
  2. Privilegien nutzen, sie wirkungsvoll im Alltag einsetzen und bereit sein, sie an andere Frauen abzutreten.
  3. Akzeptieren, wenn sich Schwarze Frauen zuerst über ihre Hautfarbe, Jüdinnen über Zugehörigkeit zur Diaspora, Immigrantinnen über ihre kulturelle Gemeinde definieren und erst dann über ihr Frausein.
  4. Machtstrukturen bedenken heißt auch, die Politik darauf auszurichten, d. h. sie nicht an den Interessen von Schwarzen Frauen, Immigrantinnen und jüdischen Frauen vorbei zu organisieren.

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1    Menschen mit weißen und nicht-weißen Elternteilen.

2    Orig.: „Feminist theory is not one, but many theories or perspectives and that each perspective attempts to describe womens oppression, to explain it‘s causes and consequences and to prescribe strategies for women’s liberation.“

 


Jacqueline Muthumbi, MBA International Business Consulting, hat die Projektleitung von EmpowerMensch inne, der unabhängigen Antidiskriminierungsberatungstelle Thüringen.



Literaturverzeichnis

 

Bowersox, Jeff (o. J.). Angelo Soliman (ca. 1721-1796). Online verfügbar unter blackcentraleurope.com/quellen/1500-1750-deutsch/angelo-soliman-ca-1721-1796/ (abgerufen am 31.05.2023).

Deutscher Frauenrat (o. J.). Homepage Startseite. Online verfügbar unter www.frauenrat.de (abgerufen am 31.05.2023).

Eickelberg, Gudrun (2011). Die deutsche Frau im Kolonialismus. Online verfügbar unter www.der-elefant-bremen.de/pdf/Frau_im_Kolonialismus.pdf (abgerufen am 31.05.2023).

Gippert, Wolfgang (2009). Frauen und Kolonialismus: Einblicke in deutschsprachige Forschungsfelder. Ariadne 56, 6-13. doi.org/10.25595/1856.

Gründer, Horst (1999). „… da und dort ein junges Deutschland gründen“. Rassismus, Kolonien und kolonialer Gedanke vom 16. bis zum 20. Jahrhundert. München, DTV.

Kaplan, Paul H. D. (1987). Black Africans in Hohenstaufen Iconography. Gesta 26 (1), 29–36. doi.org/10.2307/767077.

Kolawale, Mary E. Modupe (1997). Womanism und African Consciousness. Africa World Press.

Lasse, Bastian (2018). ‚Pioniergeist‘ im Worte. Weiblichkeitskonstruktion bei Frieda von Bülow. In: Antje Langer/Claudia Mahs/Barbara Rendtorff (Hg.). Jahrbuch Frauen- und Geschlechterforschung in der Erziehungswissenschaft. Weiblichkeit – Ansätze zur Theoretisierung. Opladen, Verlag Barbara Budrich, 39–52.

Lederer, Karin (1997). Feminismus und Rassismus – Der Mythos vom friedlichen Geschlecht. München/Ravensburg, Grin Verlag.

Lorde, Audre (2017). The Master’s Tools Will Never Dismantle the Master’s House. London, Penguin Classics.

Lowe, Kate (2005). The stereotyping of black Africans in Renaissance Europe. In: T. F. Earle/K. J. P. Lowe (Hg.). Black Africans in Renaissance Europe. Cambridge, University Printing House, 17–47.

Remli, Fatima (2020). Wie weißer Feminismus Islamophobie vorantreibt. Kein Angriff, sondern Aufforderung zum Umdenken. Renk Magazin vom 28.12.2020. Online verfügbar unter renk-magazin.de/wie-weisser-feminismus-islamophobie-vorantreiben/ (abgerufen am 31.05.2023).

Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e. V. (2021). Sojourner Truth: Ain’t I a Woman – Bin ich etwa keine Frau*?. Online verfügbar unter www.rav.de/publikationen/rav-infobriefe/feministischer-infobrief-121-2021/sojourner-truth-aint-i-a-woman-bin-ich-etwa-keine-frau (abgerufen am 31.05.2023).

Solis, Marie (2021). Koa Beck on dismantling the persistence of white feminism. NBC News vom 09.01.2021. Online verfügbar unter www.nbcnews.com/news/nbcblk/koa-beck-dismantling-persistence-white-feminism-n1253555 (abgerufen am 31.05.2023).

Zakaria, Rafia (2022). Against White Feminism. Wie Weisser Feminismus Gleichberechtigung verhindert. München, Carl Hanser Verlag.