Frauenhass online: Hatespeech und digitale Gewalt

Empfohlene Zitierung:

Rafael, Simone (2023). Frauenhass online: Hatespeech und digitale Gewalt. In: Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (Hg.). Wissen schafft Demokratie. Schwerpunkt Antifeminismus & Hasskriminalität, Band 13, Online-Ausgabe. Jena, 294–305.

Schlagwörter:

Digitale Misogynie, Antifeminismus, Silencing, Infokrieg, Manosphere, Hatefluencer, Rechtsterrorismus

 


Der digitale Raum ist für Frauen und als Frauen gelesene Personen zwar ein Ort der Vernetzung und des Empowerments, aber kein Safe Space: Sie sind massiv von digitaler Gewalt betroffen, die oft genug auch zu Bedrohungen und Gewalt im Offline-Raum wird. Frauen werden auch deshalb als Ziele von Hass ausgesucht, weil die Taten Botschaftstaten sind, die zugleich allen Frauen* signalisieren sollen, die entsprechend engagiert sind: ‚Wenn Du es wagst, Dich gegen Rassismus auszusprechen, ein Unternehmen zu leiten oder Dich für Frauenrechte in der Universität einzusetzen, dann wird Dir genau das Gleiche passieren. Schweige lieber gleich.ʻ Die Gefahr ist real, aber wenn Frauen auf diese Weise der digitale Lebens- und Informationsraum genommen wird, hat das fatale Folgen für die gleichwertige Zukunft aller Menschen.


 

Wie sieht digitale Misogynie aus?

Frauen und als Frauen gelesene Personen (nachfolgend: Frauen*) werden inhaltlich anders beschimpft als Männer oder männlich gelesene Personen. Sie erleben sexualisierte Angriffe und Beleidigungen, werden mit Geschlechtsteilnamen tituliert oder mit frauenfeindlichen Stereotypen identifiziert und abgewertet. Dazu gehören Urteile über ihre geistige Gesundheit (von hysterisch bis zu ableistischen Beschimpfungen), Urteile über ihr Aussehen und ihre sexuelle Attraktivität, Urteile über ihre Essgewohnheiten bis zum Bodyshaming. Sie werden beleidigt aufgrund von (vermeintlich mangelnder) Intelligenz, Inkompetenz bei der Arbeit oder im Leben, etwa bei der Kindererziehung und in der Mutterrolle, aufgrund von (zugeschriebener) sexueller Identität, gegebenenfalls kombiniert mit allen anderen Formen von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit wie Rassismus, Islamfeindlichkeit, Antisemitismus oder Feindlichkeit gegen Sinti und Roma (Kracher 2021). Viele erleben Vergewaltigungsandrohungen und Wünsche nach Vergewaltigung entweder mit rassistischer Komponente oder in der misogynen Vision, die Frau könne hinterher wieder „klarer denken“ und werde dann erkennen, dass der Angreifer recht habe. Steigerungsform sind Todeswünsche, mit ausgeschmückten, imaginierten Todesarten oder Gewalt, die zum Tode führen soll – bisweilen aber auch kombiniert mit Ankündigungen, zu Veranstaltungen der Frau oder zur ihrer Arbeitsstätte zu kommen und sie dort anzugreifen oder zu töten. Digitale Misogynie wird – ebenso wie Offline-Misogynie – nicht nur von Männern, sondern auch von Frauen* ausgeübt. Das Gros der Täter*innen sind allerdings Männer (Anti-Defamation-League 2018). Eine niedrigschwellige Gegenstrategie hierfür ist, darüber nicht zu schweigen, sondern zumindest in geschützten Räumen über die Erfahrungen zu sprechen, die Frauen* und noch einmal mehr politisch aktive oder prominente Frauen* online machen. Dafür braucht es Anlaufstellen und geschützte Austauschformate für Betroffene. Wenn klar ist, wie alltäglich das Erleben digitaler Misogynie ist, lässt sich daraus Kraft finden, Schutzmaßnahmen zu fordern, sich für juristische Klagen zu vernetzen oder digitale Gegenrede und/oder Solidarität zu organisieren (Amadeu Antonio Stiftung 2020).

 

Formen digitaler Gewalt

Digitale Gewalt äußert sich in verschiedenen Formen. Die bekannteste Form sind Hasskommentare wie Beleidigungen, Abwertungen der Person und ihrer Aussagen, Diskriminierungen aufgrund von Rassismus, Misogynie, also Frauenfeindlichkeit, LGBTIQ*-Feindlichkeit oder Antisemitismus, Belästigungen und Nötigungen. Eine weitere Form ist Trolling: die andere Person so weit zu provozieren, bis diese möglichst krass reagiert und dafür dann wieder beschämt werden kann (unsachlich, hysterisch, extrem, unprofessionell, zickig usw.). Beim Cybermobbing bis Cyberstalking sprechen wir von der Belästigung der Person bis zur Recherche und Veröffentlichung diskreditierender Fotos und Informationen, immer mit der Gefahr einer Übergriffigkeit in der Offline-Welt (Doxing). Dazu kommt das Hacken von digitalen Konten und Datenspeichern, um an Informationen zu kommen und diese gegen die betroffene Person zu verwenden. Gehackte Social-Media-Konten können aber auch dazu verwendet werden, falsche Aussagen, Beleidigungen o.ä. im Namen der gehackten Person zu veröffentlichen, um deren Ruf zu ruinieren. Eine weitere Strategie ist es, betroffene Personen bei ihrem Arbeitgeber zu diskreditieren, sie als gewaltbereit, kriminell, extremistisch oder zumindest unprofessionell dastehen zu lassen und damit zu suggerieren, dass eine weitere Zusammenarbeit eigentlich kaum noch möglich sei, ohne den Ruf der Arbeitsstelle zu ruinieren. Diese Strategie wird auch auf Fördermittelgeber von zivilgesellschaftlichen Projekten angewandt und sollte offensiv besprochen werden, weil Solidarität und Geschlossenheit die beste Antwort auf solche Angriffe darstellen.

Auf Social Media ist ein Shitstorm eine harte Methode des Angriffs in aller Öffentlichkeit: Hier wird eine Person (oder Organisation) mit viel Hass überzogen, über längere Zeit und beständig, um diese zum Schweigen zu bringen. Entweder soll eine Position zurückgenommen werden – oder Person oder Organisation sollen ganz verstummen. Wenn nicht, wird versucht, massivsten Schaden anzurichten: Es geht darum, den Ruf und die Existenz zu ruinieren, bis Förderer, Arbeitgeber*innen, Partner*innen und Freund*innen sich abwenden und eine Person so weit wie möglich zermürbt wird: psychisch, finanziell, bis zur Aufgabe des Engagements oder Berufes – oder bis in den Suizid. Die betroffene Person wird entweder selbst bedroht – per Email oder Privatnachricht oder öffentlich auf Social Media, aber auch per Telefonanruf oder Hausbesuch. Oder auch ihre Familie, Eltern oder Kinder oder Freund*innen können betroffen sein, falls diese leichter zu finden sind. Beim Doxing werden Privatadressen veröffentlicht, bisweilen auch Daten wie der Kindergarten des Kindes, die Arbeitsstelle des*der Partners*Partnerin oder ein Foto von der Bäckerei, bei der die Person morgens gern Brötchen holt. Alles dies nimmt der betroffenen Person weitere Räume im engsten Umfeld, in denen sie sich bisher vermutlich sicher gefühlt hat.

Es gilt also gerade für Frauen*, Social Media mit Bedacht zu nutzen: Sie sollten gut überlegen, welche Daten und Informationen geteilt werden, welche Fotos sie veröffentlichen und welche Rückschlüsse diese zulassen.

 

Warum entlädt sich so viel Hass auf Frauen* online?

Misogynie ist nach wie vor in der deutschen Gesellschaft weit verbreitet. Die Leipziger Autoritarismusstudie 2022 (Decker et al. 2022) kommt zu dem Schluss, dass rund 25 Prozent der Menschen in Deutschland ein geschlossenes antifeministisches Weltbild haben. Das sind jeder vierte Mann und jede zehnte Frau in Deutschland. Gemeint ist, dass sie mehreren sexistischen und antifeministischen Aussagen zustimmen, die Frauen* abwerten oder traditionelle Strukturen unterstützen, die Frauen* weniger Rechte und Möglichkeiten geben. Online geht es aber nicht nur um die Abwertung aller Frauen, sondern es sind vor allem politisch und beruflich aktive und erfolgreiche Frauen*, die der Hass trifft, dazu Feminist*innen, die sich für die Gleichstellung der Geschlechter einsetzen, oder Menschen, die für sexuelle Vielfalt und entsprechende Lebensentwürfe eintreten. Es geht den Angreifenden also darum, auch mit Hass und Bedrohung ein antimodernes Geschlechterbild zu zementieren, das gerade Männern viele Vorteile ermöglicht(e). Dementsprechend versuchen die Verfechter*innen vermeintlich traditioneller Rollenmodelle, Menschen und besonders Frauen* mundtot zu machen, die sich für moderne Gesellschaftsverhältnisse einsetzen, die mehr Teilhabe, Gleichberechtigung und Freiheiten fordern. Sie werden so sehr mit Hass überzogen, bis sie sich nicht mehr öffentlich zu diesen oder anderen Themen zu äußern wagen. Das nennt sich Silencing.

Wenn Frauen* online angegriffen werden, ist der Effekt auch groß, weil die Taten Botschaftstaten sind, die zugleich allen Frauen* signalisieren, die entsprechend engagiert sind: ‚Wenn Du es wagst, Dich gegen Rassismus auszusprechen, ein Unternehmen zu leiten oder Dich für Frauenrechte in der Universität einzusetzen, dann wird Dir genau das Gleiche passieren. Schweige lieber gleich.ʻ

Oft genug gelingt das Silencing zumindest im digitalen Diskurs. So posten Frauen* nicht nur weniger Inhalte auf Social Media, sondern stellen etwa auch nur 9 Prozent der Autor*innen auf Wikipedia, dem wichtigsten Online-Lexikon. Damit wird wieder einmal vor allem ein männlicher Blick auf die Welt wiedergegeben – und Frauen* nutzen Wikipedia auch weniger als Informationsquelle. So wird ihnen auch durch Hass ein Bildungs- und Informationszugang verwehrt (Wikipedia 2023).

Wer über diese Mechanismen und Strategien informiert ist, kann sich vorbereiten, vernetzen, gegenseitig stärken und Gegenstrategien ergreifen. Misogyne und antifeministische Narrative lassen sich debunken, gute Argumentationslinien vorbereiten.

Auch gesamtgesellschaftlich sollte uns das Thema Antifeminismus beschäftigen. Denn Antifeminismus kann der Einstiegpunkt in andere Formen von Menschenfeindlichkeit sein, in den Rechtsextremismus und schlimmstenfalls in den Rechtsterrorismus (Rahner 2022). Weil Spott über Frauen*, Abwertung von gesellschaftlich aktiven Frauen, Hass auf Frauen, die nicht so handeln, wie Mann es will, gesellschaftlich nach wie vor sehr weit verbreitet sind – nicht zuletzt als vermeintlicher „Humor“ –, gelingt hier oft ein Schulterschluss von Rechtsextremen und Demokratiefeind*innen in die Mehrheitsgesellschaft. Online zeigt sich das etwa in misogynen (und oft auch rassistischen) „Humor“-Gruppen oder Boards, die von Rechtsextremen genutzt werden, um nicht nur gegen Frauen* zu agitieren, sondern damit auch in Kontakt mit Männern zu kommen, die dann vielleicht auch für weitere Formen von Menschenfeindlichkeit und/oder Demokratiefeindlichkeit und Gewaltbereitschaft ansprechbar sind.

 

Online-Aktivismus der rechtsextremen Szene

Wenn Rechtsextreme anfangen, Gruppen, Kanäle oder Boards mit ihrer Ideologie und ihrem Hass zu fluten, ist das eine bewusste Strategie. Die extreme Rechte organisiert sich seit Jahren im Internet, weil sie hier ihre Ideologie so ungestört verbreiten kann wie es offline nie möglich war. Die Wortergreifungsstrategie ist offline erprobt als Mittel, sich Raum zu nehmen – gern mit mehreren Stimmen, um damit die Stimmung einer Gruppe zu kippen. Denken wir an eine lokale Versammlung, in der es um die Unterbringung von Geflüchteten geht, bei der schon wenige laute Menschen reichen, um eine Meinungshoheit zu simulieren und die anderen zum Schweigen zu bringen, die sich vielleicht für Geflüchtete einsetzen wollen. Dann entsteht der Eindruck, alle im Raum hätten etwas gegen Geflüchtete, was wiederum politische Entscheidungen beeinflussen kann.

Digital funktionieren Debatten in Kommentarspalten und Foren nach dem gleichen Prinzip. Aggressive Wortbeiträge bringen eine konstruktive Debatte zum Erliegen, die Übernahme der Meinungshoheit gelingt hier vergleichsweise leicht – vor allem, wenn es weder Widerspruch der Mitlesenden noch Regulierung durch Moderation gibt. Wenn alle schweigen, wirkt es wie Zustimmung – wodurch sich antifeministische, rassistische, rechtsextreme Meinungen normalisieren, plötzlich sagbar erscheinen, bei ständiger Wiederholung gar dauerhaft verfangen. Es geht um die Verschiebung des Diskurses nach rechts: von den Ideen von Vielfalt und Freiheit der liberalen Demokratie hin zu Homogenität und Regression eines völkischen Führerstaates. Diese Strategie heißt in der sich intellektueller gebenden „neurechten“ rechtsextremen Szene „Infokrieg“, also der Krieg online mit (Des-)Informationen und Hass um die Köpfe der Menschen, um schließlich ein rechtsextremes Weltbild durchsetzen zu können (Rafael 2018). Der „Infokrieg“ gehört zur „Metapolitik“: Es geht um Agitation im vorpolitischen Raum – dort, wo Menschen sie nicht erwarten und weniger aufmerksam sind, jedes Mal zu wiedersprechen. Das ist aber nötig.

Strategien des „Infokriegs“ haben Gruppen immer wieder verschriftlicht. Frauen* werden dabei immer wieder als Ziele des Angriffs genannt. So schreibt etwa die der Identitären Bewegung nahestehende Gruppe „D-Generation“ in ihrem Papier: „Folge/ Like die Accounts (bzw. infiltriere Foren) von allen Parteien, insbesondere den Grünen, bekannten Feministinnen, Regierungslakaien [...] und sämtlicher Propaganda-Regierungspresse, [...] sag ihnen die Meinung, verwickel sie in Diskussionen, markiere ihre Lügen als #fakenews und trolle den Fick aus ihnen heraus“ (Lauer 2018). Und weiter: „Meistens handelt es sich bei den corporate Twitter- oder Facebookaccounts um junge Frauen, die direkt von der Uni kommen. Das sind klassische Opfer und nicht gewöhnt einzustecken. Die kann man eigentlich immer ziemlich einfach auseinandernehmen. Ziehe jedes Register. Lass nichts aus. Schwacher Punkt ist oftmals die Familie.“1 Hier offenbart sich also auch der Wille, sämtliche Umgangsregeln über Bord zu werfen und die niedersten Strategien zu verwenden, wenn sie dem eigenen Ziel dienen.

 

Und das Internet?

Im digitalen Raum finden Äußerungen einen Resonanzraum – und je konflikthafter sie sind, desto mehr werden Algorithmen ihre Verbreitung verstärken. Deshalb sehen wir Postings besonders häufig online, die Emotionen hochkochen lassen, provokativ oder fahrlässig sind und viel Gegenwind erzeugen. Dies kommt menschenfeindlichen, antifeministischen und rechtsextremen Akteur*innen entgegen, die so große Reichweite erzielen können und damit den Hass weit in die Gesellschaft tragen. Plattformen können dem durch Moderation oder Sperrungen entgegentreten, tun sich aber immer schwer mit allen Fällen, die nicht eindeutig sind: Ein Hakenkreuz lässt sich leicht als rechtsextrem erkennen und sperren, eine antisemitische Dogwhistle, also Andeutung, von den „Globalisten, die die Welt lenken“, bleibt dagegen oft stehen – und ein Post, der eine Frau der Lächerlichkeit preisgibt, erscheint so alltäglich, dass er kaum moderiert wird. Anders ist es nur bei Gewaltaufrufen, aber die sind auch schon wieder Straftaten. Dazu kommt aktuell das Phänomen der Crossmedialität. Menschen, vor allem Influencer*innen, „alternative“ Medien oder politische Ideolog*innen, produzieren Inhalte oft nicht nur auf einer Plattform, sondern betreiben verschiedenste Kanäle: Lange Videos auf YouTube, Texte auf Facebook, Memes und Sharepics auf Instagram, Chats und Austausch auf Telegram oder Discord, Kurzvideos auf TikTok. Dies gilt auch für Hassinhalte und es macht die Verfolgung über mehrere Plattformen sehr schwer bis geradezu unmöglich.

Daraus haben sich in antifeministischen Kreisen differenzierte Angriffsstrategien entwickelt: koordinierte, plattformübergreifende Hasskampagnen mit dem Ziel der Verdrängung und der Meinungsführerschaft. Die Organisation der Hasskampagne gegen eine Person geschieht in der Halböffentlichkeit oder im Verborgenen, etwa in geschlossenen Gruppen auf Telegram oder Discord. Verbreitet wird der Hass durch Videos auf TikTok und Instagram, gern auch als „Reactions“-Video auf das Video einer anderen Person, die lächerlich gemacht, angegriffen und herabgewürdigt wird. Diese Videos werden dann wiederum auf TikTok, YouTube und Instagram einem größeren Publikum vorgeführt werden — oder auf dubioseren und dezentralen Videoplattformen wie Odysee oder Peertube. Manche Kampagne geht soweit, Verbotspetitionen gegen Personen oder Kanäle einzureichen. Durch die Crossmedialität sind die Inhalte unlöschbar im Internet verteilt: Selbst, wenn die Kampagnenhaftigkeit oder brutale Sprache der Angriffe in einem Netzwerk zu Löschungen führt, bleiben die Hass-Inhalte auf diversen anderen Plattformen stehen, können reproduziert und von Neuem verteilt werden (pre:bunk 2023).

Auch die Strategie, wie der Hass verbreitet und verteilt wird, ist gerade im „digitalen Männerbund“ der Hatefluencer geschickt ausdifferenziert. Ein reichweitenstarker, misogyner oder queerfeindlicher Hatefluencer wählt das Zielobjekt der Hasskampagne aus, also die Person oder das Video, das attackiert werden soll. Der Hatefluencer konstruiert das Feindbild, bis auch die Follower*innen bereit sind, die Person zu attackieren. Der Hatefluencer kann von der Hasskampagne sogar profitieren: Durch die Diffamierung, durch Parodie-Videos oder Pseudoexpertise zum Thema gewinnt er Follower*innen und Reichweite, die sich schlimmstenfalls auch noch monetarisieren lässt. Auf der anderen Seite bietet der Hatefluencer in seiner Kommentarspalte oder Gruppe Räume der Vernetzung, der Organisation und des Austausches für andere Hater*innen, die hier ihre konkreten Angriffe koordinieren und sich gegenseitig anstacheln können. Erfolgt später ein körperlicher Angriff, können sich Hater*innen so schnell distanzieren: Ja, man hat ein Video über Person X gemacht, oder fünf, aber wer hätte ahnen können, dass sie daraufhin tatsächlich attackiert wird?

Denn das ist die Rolle der Hate-Follower*innen: Sie folgen dem Hatefluencer und lernen dort, wer das Ziel ist, das sie hassen sollen. Daraufhin greifen Hate-Follower*innen mehr oder weniger koordiniert die benannten Ziele an. Sollten sie dabei auf Gegenrede stoßen oder auf Tweets, die sich mit der angegriffenen Person solidarisieren, werden auch diese Accounts und Personen angegriffen. So entststeht eine Angstkulisse, in der sich niemand mehr traut, öffentlich Solidarität zu zeigen. Kreative Hate-Follower*innen haben eigene Kanäle und fangen dann dort an, ebenfalls Hassvideos über das Zielobjekt der Hasskampagen zu drehen. So kann auch jeder Account einen anderen ersetzen, falls dieser gelöscht wird. Der Hass versiegt so nie (Hope not Hate 2022). Perfektioniert hat das System der Misogynist und Ex-Kampfsportler Andrew Tate: Er hat eine „Hustler University“ ins Leben gerufen, auf der junge Menschen (meist Männer) u. a. lernen, dass sie damit Geld verdienen können, Videoschnipsel von Andrew Tate online zu stellen. Das heißt, Tate verteilt seinen Hass und seine Menschenverachtung nicht einmal mehr selbst – er lässt sie durch Absolvent*innen der „Hustler-University“ verteilen. Mit dem Versprechen: Meinen Content wollen so viele Menschen sehen, Ihr werdet reich, wenn ihr die Videos verteilt! Leider funktioniert das System, wenn Plattformen die Monetarisierung von Hassinhalten nicht verhindern. Auf einer Plattform wie TikTok gibt es deshalb sehr viele Inhalte von Andrew Tate – ohne, dass er auf der Plattform einen eigenen Account hätte, der gesperrt oder deplatformed werden könnte. Die Fans finden die Inhalte unter entsprechenden Hashtags – und die bannt die Plattform bisher nicht.

 

Die Manosphere und der rechtsterroristische Frauenhass

Den gewalttätigsten Ausdruck findet Frauenhass online auf den Imageboards und in den Foren und Kanälen der Manosphere. Als „Manosphere“ wird der Teil des Internets bezeichnet, in dem sich Männer treffen, die Frauen* hassen und diesen Hass online gemeinschaftlich exzessiv zelebrieren – ob auf Blogs und Wikis, Telegram-Kanälen oder Imageboards. Zur Manosphere gehören Pick-Up-Artists, die angeben, jede Frau aufreißen zu können, mit oder gegen ihren Willen, und dieses vermeintliche Wissen für teures Geld an partnerinnenlose Männer vermitteln. „Men going their own way“, die mit Frauen* abgeschlossen haben und sich als Antifeministen von der vermeintlich männerfeindlichen Welt abkapseln wollen. Und schließlich die Incels, die „Involuntary Celibates“, also die „unfreiwillig Zölibatären“. Das sind Männer, die gern mit Frauen* zusammen wären, sich von diesen aber nicht beachtet fühlen und dafür sowohl die Frauen* hassen, die sie gern hätten, aber nicht bekommen, als auch die Frauen/Feministinnen, die sie nicht wollen, und die attraktiveren Männer, die ihnen alle Frauen* wegnähmen. In Incel-Foren gehört dazu die Erzählung, Männer hätten ein „Recht“ auf Sex, das die Frauen* ihnen zu Unrecht verweigerten – eine Erzählung, die zu tödlicher Misogynie führen kann (Kracher 2021).

In der Manosphere ist schon die Sprache ausnehmend gewalttätig und verachtend. Frauen werden etwa als „Feminazis“ oder „Femoide“ bezeichnet – letzteres eine Anspielung auf „humanoide“ Roboter, um Frauen* zu entmenschlichen; sie sind „Huren“, „Bitches“ oder werden gleich mit Geschlechtsteilbezeichnungen belegt. Alle Entmenschlichungen haben den Effekt, Gewalt gegen Frauen* vorzubereiten, zu legitimieren und zu normalisieren – ob in detaillierten Gewaltfantasien, von denen die Boards voll sind, oder in der Realität. Die Boards der Manosphere sind abgeschottete Räume ohne Gegenrede oder Faktenchecks. Wenn Männer der Meinung sind, ihnen stünde eine Freundin oder Sex quasi per Geburtsrecht zu, kann daraus ein rechtsextremes Weltbild entstehen. Statt sich konstruktiv damit auseinanderzusetzen, warum sie bisher keine glückliche Beziehung führen, stoßen sie in der Manosphere auf rechtsextreme Verschwörungsideologen, die ihnen versichern: Dir steht in der Tat eine Frau zu, Dir steht Sex zu. Aber warum hat Du keine Freundin, keinen Sex? Schuld, so die Manosphere, sei der Feminismus. Damit ist ein Feindbild gesetzt. Aber wer stecke laut rechtsextremen Verschwörungsideologien hinter dem Feminismus? Das sei die jüdische Weltverschwörung, die den Feminismus in der Welt verbreite. Oder Incels folgen dem rassistischen Twist: Migranten seien schuld, die ihnen angeblich die Frauen* „wegnehmen“ würden. Und wer lässt die ins Land? Die demokratische Regierung. So bildet sich ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild heraus, inklusive Antisemitismus, Rassismus und Demokratiefeindlichkeit.

Nicht zuletzt ist es diese Szene des Antifeminismus, die auch die rechtsterroristischen, onlineaffinen Attentäter motiviert hat, Antifeminismus als Tatmotivation in ihre „Manifeste“ aufzunehmen. So schreibt etwa der Attentäter von Christchurch, der im Januar 2019 in Neuseeland in 2 Moscheen 51 Menschen erschießt und die Tat live im Internet streamt: „Der Feminismus ist Schuld, dass Frauen* nicht genug Kinder bekommen und deshalb kommt es zu einem ‚Bevölkerungsaustauschʻ mit ‚den Muslimenʻ“ (Manemann 2021, 13). Im „Manifest“ des Attentäters von Halle, der die Synagoge attackierte und zwei Menschen erschoss, heißt es im Oktober 2019: „Der Feminismus ist Schuld an der sinkenden Geburtenrate im Westen, die die Ursache für die Massenimmigration ist. Und die Wurzel dieser Probleme ist der Jude.“2

 

Die Folgen von Frauenhass online

Es ist kein Wunder, dass der Frauenhass im Internet wirkt. Die permanente sprachliche Abwertung, die Frauen* online erleben, ist eine Form von Gewalt, die nachhaltig schädigen kann – von Veränderungen der Persönlichkeit über Verbitterung, Suchtverhalten, sozialen Rückzug, körperliche Erkrankungen, psychische Störungen bis zum Suizid. Zumindest wird den Opfern aber ein Lebens- und Informationsraum genommen. Wer erlebt, dass jede Form von Meinungsäußerung bewertet, herabgesetzt und als Grundlage für Angriffe genommen wird, verliert die Lust oder auch die Sicherheit, sich online auszutauschen, zu vernetzen oder das Internet für Empowerment zu verwenden. Laut einer Studie von Plan International aus dem Jahr 2020 erleben 70 % der jungen Frauen* (15 bis 24 Jahre) in Deutschland Bedrohungen, Beleidigungen und Diskriminierung in den sozialen Medien (Plan International 2020). 42 % der Betroffenen leiden unter psychischen Folgen und 38 % reduzierten aufgrund von Online-Belästigungen ihr Social-Media-Verhalten (vgl. auch den Beitrag von Dellagiacoma & Geschke in diesem Band).

In Online-Debatten oder Gaming-Chats schweigen Frauen* oft oder nehmen männliche Pseudonyme an, um der misogynen Abwertung zu entgehen, sind damit aber auch unsichtbar. Wenn Frauen* sich zurückziehen, wenn sie online anfangen zu schweigen, dann fehlt ein wichtiger Moment der Einflussnahme auf die Meinungsbildung. Der beständige und größtenteils ungestrafte Fluss von Frauenhass-Postings online gibt den Tätern das fälschliche Gefühl, dass eine Mehrheit der Gesellschaft hinter ihnen stehe, ihr misogynes Handeln gutheiße, seien es Bedrohungen, sei es Gewalt. Diesem Eindruck müssen wir durch Strafverfolgung durch die Behörden, Deplatforming und Moderation von sozialen Netzwerken und Kanälen, Solidarität und Gegenrede von Institutionen und Personen entgegentreten – um ihnen zumindest das Gefühl zu nehmen, in der Normalisierung von Frauenhass erfolgreich zu sein.

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1    Zitat aus: D-Generation: Handbuch für Medienguerillas. Online-Veröffentlichung 2017. Das rechtsextreme Manuskript ist online nicht mehr verfügbar, liegt aber der Autorin vor.

2    Zitat aus „Manifest“ des Attentäters von Halle (Anschlag 09.10.2019) – liegt Autorin vor, online nicht mehr verfügbar.

 


Simone Rafael ist Journalistin und Chefredakteurin von www.belltower.news. Außerdem leitet sie den Bereich „Digitale Courage“ der Amadeu Antonio Stiftung, entwickelt Projektideen und berät Organisationen, Medien, soziale Netzwerke und Zivilgesellschaft zum Umgang mit Hassrede in sozialen Netzwerken und zu Rechtsextremismus online. Sie hat Publizistik und Kunstgeschichte an der Freien Universität Berlin studiert, ein Volontariat an der Henri-Nannen-Journalistenschule Hamburg absolviert und ist seit 2002 für die Amadeu Antonio Stiftung im digitalen Raum tätig.



Literaturverzeichnis

Amadeu Antonio Stiftung (2020). Antifeministische Behauptungen erkennen und widerlegen. Menschenwürde online verteidigen. 33 Social Media Tipps für die Zivilgesellschaft. Online verfügbar unter gegen-antifeminismus.de (abgerufen am 22.05.2023).

Anti Defamation-League (2018). When Women are the Enemy: The Intersection of Misogyny and White Supremacy. Online verfügbar unter www.adl.org/resources/report/when-women-are-enemy-intersection-misogyny-and-white-supremacy (abgerufen am 22.05.2023).

Decker, Oliver/Kiess, Johannes/Heller, Ayline/Schuler, Julia/Brähler, Elmar (2022). Die Leipziger Autoritarismus Studie 2022: Methode, Ergebnisse und Langzeitverlauf. In: Oliver Decker/Johannes Kiess/Ayline Heller/Elmar Brähler (Hg.). Autoritäre Dynamiken in unsicheren Zeiten. Gießen, Psychosozial-Verlag, 31–90.

Hope not Hate (2022). Andrew Tate - Brutale Misogynie mit Millionenpublikum. Belltower News vom 19.08.2022. Online verfügbar unter www.belltower.news/andrew-tate-brutale-misogynie-mit-millionenpublikum-137303/ (abgerufen am 23.05.2022).

Kracher, Veronika (2021). Frauenhassende Online-Subkulturen. Ideologien, Strategien, Handlungsempfehlungen. Berlin, Amadeu Antonio Stiftung.

Lauer, Stefan (2018). Infokrieg für die Grundschule - „Reconquista Germanica“ und „D Generation“. Belltower News vom 19.01.2018. Online verfügbar unter www.belltower.news/infokrieg-fuer-die-grundschule-reconquista-germanica-und-d-generation-46716/ (abgerufen am 23.05.2023).

Manemann, Thilo (2020). Rechtsterroristische Online-Subkulturen – Analysen und Handlungsempfehlungen. Online verfügbar unter www.amadeu-antonio-stiftung.de/wp-content/uploads/2021/02/Broschu%CC%88re-Rechtsterroristische-Online-Subkulturen_pdf.pdf (abgerufen am 24.05.2023).

Plan International (2020). Free to be online? Girls‘ and young women’s experiences of online harassment. Online verfügbar unter www.plan.de/fileadmin/website/05._Ueber_uns/Maedchenberichte/Maedchenbericht_2020/Free_to_be_online_report_englisch_FINAL.pdf (abgerufen am 23.05.2023).

pre:bunk (2023). Wie geht rechtsextreme Mobilisierung auf TikTok?. Belltower News vom 27.04.2023. Online verfügbar unter www.belltower.news/rechtsextremismus-und-tiktok-teil-2-mobilisierung-148805/ (abgerufen am 22.05.2023).

Rafael, Simone (2018). Identitäre im Internet: Von Crowdfunding bis Meme Wars. In: Jean-Philipp Baeck, Andreas Speit (Hg.). Das Netzwerk der Identitären: Ideologie und Aktionen der Neuen Rechten. Berlin, Ch. Links Verlag.

Rahner, Judith (2022). Die Wechselwirkungen von Antifeminismus und rechter Gewalt. Belltower News vom 28.11.2022. Online verfügbar unter www.belltower.news/frauenhass-und-rechtsextremismus-die-wechselwirkungen-von-antifeminismus-und-rechter-gewalt-143379/ (abgerufen am 22.05.2023).

Wikipedia (2023). Geschlechterverteilung in der Wikipedia. Online verfügbar unter de.wikipedia.org/wiki/Geschlechterverteilung_in_der_Wikipedia (abgerufen am 17.05.2023).