Wen schützt die Polizei? Rassistisch motivierte polizeiliche Gewalt und ihre Ursachen

Der Beitrag untersucht die Erfahrungen von Personen of Color (PoC) und Personen mit Migrationshintergrund im Kontext polizeilicher Gewaltausübung. Grundlage bildet das Forschungsprojekt KviAPol („Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamt*innen“). Im Rahmen der Studie wurden Daten einer quantitativen Online-Befragung mit Betroffenen polizeilicher Gewaltanwendung sowie qualitative Interviews mit Expert*innen aus Zivilgesellschaft und Polizei ausgewertet (Abdul-Rahman 2023; Abdul-Rahman et al. 2020b). So konnte gezeigt werden, dass und inwiefern sich die Erfahrungen und Folgen in Bezug auf polizeiliche Gewaltausübungen bei PoC und Personen mit Migrationshintergrund von denen weißer Betroffener unterscheiden. Für die besondere Betroffenheit von rassifizierten Personen wurden drei Erklärungsansätze identifiziert: (1) explizit rassistische Einstellungen bei Polizeibeamt*innen, (2) polizeiliches Erfahrungswissen hinsichtlich vermeintlich abweichender Personengruppen und (3) die Abstraktion von spezifischen Orten als gefährlich. Ausgehend von diesen empirischen Befunden möchte dieser Beitrag fragen, was (staatliche) Sicherheit für rassifizierte Personen bedeutet.


 

Empfohlene Zitierung:

Klaus, Luise (2024). Wen schützt die Polizei? Rassistisch motivierte polizeiliche Gewalt und ihre Ursachen In: Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (Hg.). Wissen schafft Demokratie. Schwerpunkt Sicherheit – Schlüsselbegriff einer offenen Gesellschaft, Band 16. Jena, 74–85.

Schlagwörter:

Rassismus, Diskriminierung, polizeiliche Gewaltanwendung, gefährliche Orte

 

Einleitung

Wenn wir uns in diesem Band mit Sicherheit als titelgebendem „Schlüsselbegriff einer offenen Gesellschaft“ auseinandersetzen, kommen wir nicht umhin, auch die Polizei genauer unter die Lupe zu nehmen. Denn die Polizei, als Trägerin des staatlichen Gewaltmonopols, hat die Aufgabe, Sicherheit und Ordnung für jede*n Einzelne*n herzustellen und zu bewahren. Doch was ist, wenn Personen oder Personengruppen selbst als „Störenfriede oder Eindringlinge“ (Loick 2018, 10) gelten? Wenn Begegnungen mit der Polizei für manche nicht „als schützend, sondern bestenfalls als lästig, schlimmstenfalls als Gefahr für Leib und Leben“ (ebd.) erlebt werden? Eine zentrale Erkenntnis aus der kritischen Polizeiforschung ist, dass die Polizei nicht alle Menschen gleich adressiert. Anders ausgedrückt: Es besteht eine „differentielle Operationslogik“ (Loick 2018, 10) polizeilichen Handelns. Das heißt, dass zum Beispiel rassifizierte Personen, also solche, die als nicht-weiß (oder augenscheinlich ‚deutsch‘) gelesen werden, anders von der Polizei behandelt werden als weiße Personen. Rassismus und Diskriminierung in der Praxis der Polizei sind in den vergangenen Jahren verstärkt Gegenstand öffentlicher Debatten gewesen. Insbesondere zivilgesellschaftliche Akteur*innen und Betroffenenvertretungen weisen schon lange auf rassistische Erfahrungen mit der Polizei, Racial Profiling und nekropolitisches Polizieren1 hin (vgl. für viele KOP 2018, die Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland2 sowie diverse, regionale Cop-Watch Gruppen3). Von Betroffeneninitiativen und kritischen Wissenschaftler*innen wird dabei immer wieder auch auf die Folgen des ungleichen Polizierens verwiesen (Keitzel 2024; Abdul-Rahman 2022).

Dieser Beitrag untersucht die Erfahrungen von Personen of Color (PoC) und Personen mit Migrationshintergrund im Kontext polizeilicher Gewaltausübung. Der Text basiert auf Daten und vorherigen Publikationen des Forschungsprojektes „Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamt*innen“ (KviAPol) (Abdul-Rahman et al. 2023; Abdul-Rahman et al. 2020b; Abdul-Rahman et al. 2020a). Als im Sommer 2020 verschiedene Videos von gewaltvollen Polizeieinsätzen (u. a. die Tötung von Georg Floyd in den USA) für Aufsehen sorgten, beschloss das Forschungsteam, vorhandene qualitative und quantitative Daten des KviAPol-Projekts hinsichtlich der Erfahrungen von Personen mit Migrationshintergrund und People of Color (PoC) auszuwerten.4 Dies umfasst sowohl eine Online-Befragung von Betroffenen (N = 3.373), die polizeiliche Gewalt erlebt haben, die sie als rechtswidrig bewerteten, als auch Interviews mit Expert*innen aus Polizei und Zivilgesellschaft (N = 17) (Abdul-Rahman et al. 2020b).5 Folgende Fragen stehen im Mittelpunkt des Beitrags: Wie unterscheiden sich die Erfahrungen von PoC (People of Color) und Personen mit Migrationshintergrund von denen weißer Betroffener polizeilicher Gewaltanwendungen? Und welche (unterschiedlichen) Folgen berichten die Betroffenen? Welche Erklärungsansätze gibt es für rassistisches polizeiliches Handeln? Und schließlich: Was bedeutet (staatliche) Sicherheit für rassifizierte Personen, die polizeiliche Gewaltausübungen erlebt haben?

Diskriminierungserfahrungen und Rassismus: Formen und Folgen

Rassifizierte Personen erleben polizeiliche Gewalterfahrungen anders als weiß gelesene Personen (vgl. Espín Grau und Klaus 2022, 364ff.). Unterschiede der Erfahrungen ergeben sich (1) sowohl hinsichtlich der Situation, in denen es zu Gewalterfahrungen kommt, als (2) auch in Bezug auf anschließende Folgen und Umgangsweisen, wie das Anzeigeverhalten. Beide Aspekte werden im Folgenden ausgeführt.

(1) Die Anlässe der Polizeikontakte, in deren Folge es zu Gewalterfahrungen kam, unterschieden sich bei den jeweiligen Personengruppen. Rassifizierte Personen berichteten häufiger von Gewalterfahrungen außerhalb von Großveranstaltungen, wie bspw. Fußballspiele oder Demonstrationen (45 % der PoC, 29 % der befragten Personen mit Migrationshintergrund vs. 18 % der weißen Personen). Einsätze außerhalb von Großveranstaltungen umfassen sehr unterschiedlicher Situationen. So berichten beispielsweise PoC (22 %) und auch Personen mit Migrationshintergrund (22 %) vergleichsweise häufiger, dass es aufgrund einer Personenkontrolle zum Kontakt mit der Polizei kam (und infolgedessen zu Gewaltanwendungen) als Personen ohne Migrationshintergrund (14 %). Rassifizierte Personen gaben dagegen seltener als Personen ohne Migrationshintergrund an, dass es zum Polizeikontakt kam, weil die Polizei wegen eines Konfliktes oder einer Straftat gerufen wurde, beispielsweise wegen Ruhestörungen oder Schlägereien (23 % PoC, 26 % Personen mit Migrationshintergrund vs. 36 % weiße Personen).

62 % der PoC fühlten sich in den berichteten Gewaltsituationen diskriminiert. Gleiches gaben 42 % der Personen mit Migrationshintergrund, jedoch nur 31 % der Personen ohne Migrationshintergrund an. Unter anderem die Häufigkeit von Diskriminierungserfahrungen führte bei den betroffenen PoC zu der Annahme, dass sie aufgrund äußerer Merkmale bzw. vermuteter Herkunft und damit aufgrund rassistischer Vorurteile anders behandelt werden als weiße Personen (Abdul-Rahman et al. 2020b, 25ff.).

(2) Im Anschluss an die als übermäßig bewerteten Gewalterfahrungen entschieden sich insgesamt nur 9 % der Befragten dazu, eine Anzeige zu erstatten. Es gab keine Unterschiede zwischen Personen ohne oder mit Migrationshintergrund bzw. PoC. Allerdings zeigten sich Unterschiede in den Gründen für die Entscheidung gegen eine Anzeigeerstattung: PoC, die keine Anzeige erstatteten, berichteten häufiger als weiße Befragte davon, dass ihnen die Anzeigenaufnahme bei der Polizei verweigert wurde (21 % vs. 10 %); oder dass ihnen von der Anzeigeerstattung abgeraten wurde (64 % vs. 54 %), vor allem von der Familie oder Bekannten, Rechtsanwält*innen oder Beratungsstellen. Des Weiteren wurden mangelnde Gesetzes- oder Deutschkenntnisse sowie eine Sorge um den etwaigen Entzug von Aufenthaltsgenehmigungen oder Abschiebungen genannt. Hier zeigt sich eine besondere Betroffenheit von rassifizierten Personen, die sich in prekären Lebenslagen befinden.

Insbesondere der Umstand, dass PoC häufig die Anzeigenerstattung durch die Polizei verweigert wurde, ist bemerkenswert. Keitzel (2024, 75) beschreibt Situationen, in denen „Personen die Polizei als Schutz anfragen, aber keinen Schutz erhalten“, als Underprotection. Die vorliegende Studie zeigt, dass polizeiliche In-Aktivität auch im Falle des Vorwurfes einer Körperverletzung im Amt gegenüber rassifizierten Personen eine besondere Rolle spielen kann.

Knapp ein Fünftel (19 %) aller Befragten berichtete von schwerwiegenden körperlichen Folgen, beispielsweise Knochenbrüchen, Verletzungen am Schädel und inneren Organverletzungen. In Bezug auf die körperlichen Folgen zeigten sich keine Unterschiede zwischen den verschiedenen Betroffenengruppen. Personen mit Migrationshintergrund und PoC berichteten jedoch von etwas stärkeren psychischen Belastungen. Insbesondere wurden psychosomatische Folgen genannt, etwa Schlafstörungen, Freudlosigkeit oder sozialer Rückzug. Auch stoßen „internalisierte Selbstkontrollhandlungen“ (Golian 2019, 188), wie Veränderungen des Aussehens oder räumliche Vermeidungsstrategien, bei Personen, die als nicht-weiß gelesen werden, an ihre Grenzen (Espín Grau und Klaus 2022, 368f.).

Ein Grund für die schwerere psychische Betroffenheit von PoC und Personen mit Migrationshintergrund kann in deren Diskriminierungserfahrungen liegen. Wenn hinter polizeilichen Gewaltanwendungen rassistische oder diskriminierende Haltungen der jeweiligen Polizist*innen vermutet werden, beschrieben Expert*innen aus Betroffenenvertretungen und Opferberatungsstellen dies als ein „ein Erleben von maximaler Unsicherheit, Handlungsunfähigkeit und Ohnmacht“ (Zivilgesellschaft/A2.2, Pos. 24) für die Betroffenen.

Erklärungsansätze: Rassistische Einstellungen und Stufen der Abstraktion

Die Analyse der KviAPol-Studie hat drei Erklärungsansätze für polizeiliche Gewaltanwendungen, die Betroffene als übermäßig und rassistisch empfunden haben, identifiziert: (1) intendiert rassistische Einstellungen und Handlungen, (2) Erfahrungswissen, welches tendenziell dazu führt, dass spezifischen Gruppen bestimmte (negative) Eigenschaften zugesprochen werden sowie (3) räumliche Abstraktionen, die dazu führen, dass Menschen, die sich an bestimmten Orten aufhalten, auf besondere Art und Weise gelabelt werden. Die drei Erklärungsansätze werden im Folgenden erläutert.

(1) Durch die Auswertung der empirischen Daten ergaben sich Hinweise auf explizit rassistische Einstellungen und Handlungen von Polizeibeamt*innen. Sowohl in den Freitextfeldern der Betroffenenbefragung als auch in den qualitativen Interviews mit Expert*innen wurde von explizit rassistischen Narrativen, denen sich Polizeibeamt*innen bedienten, berichtet. Ein*e interviewte*r Polizeibeamt*in kritisierte die Einstellungen und Handlungen ihrer*seiner Kolleg*innen:

„‚Heute gehen wir mal [N-Wort] klatschen‘, heißt es dann von Kollegen. Die gehen dann gezielt auf die Suche – oder ‚heute gehen wir Türken jagen‘. Und dann gehen die gezielt auf die Suche. Und auch wegen Kleinigkeiten: Blinker vergessen, dann werden Situationen dann aufgebauscht, Handeln provoziert.“ (Führung/C1.5, Pos. 12)

In der Betroffenenbefragung wurde insbesondere von Beleidigungen und Einschüchterungen gegen Schwarze Personen berichtet. Äußerungen von Polizeibeamt*innen wurden von den Betroffenen darüber hinaus als muslimfeindlich, antisemitisch, sexistisch oder homo- und transfeindlich empfunden. Anhand des vorliegenden Datenmaterials lassen sich keine Aussagen darüber treffen, wie groß der Anteil von Polizeibeamt*innen mit explizit rassistischen Einstellungen bei der Polizei ist. Aus den Interviews mit Polizeibeamt*innen geht jedoch hervor, dass diese intendierte Form des Rassismus einzelner Beamt*innen nicht das vorrangige Problem sein muss.

(2) Vielmehr konnte gezeigt werden, dass das polizeiliche Erfahrungswissen wesentlichen Einfluss auf polizeiliche Handlungen und etwaige Gewaltanwendungen haben kann. In dem Erfahrungswissen von Polizeibeamt*innen vermischen sich eigene berufliche Erfahrungen, Berichte von Kolleg*innen und gesellschaftliche Diskurse (Abdul-Rahman et al. 2020b, 33f.). Dieses Erfahrungswissen ist dann problematisch, wenn sich dadurch Stereotype gegenüber bestimmten Personengruppen verfestigen. Bestimmte Eigenschaften, beispielsweise eine mangelnde Akzeptanz der Polizei, abweichende Moralvorstellungen oder eine vermeintliche Gefährlichkeit, werden dann pauschal einer (zumeist anhand von einer Ähnlichkeit des Äußeren definierten) Gruppe zugesprochen. So erklärte ein*e Polizeibeamt*in:

„Also das sind auch teilweise Leute, die aufgrund anderer Ethnien oder aufgrund anderer kultureller und moralischer Vorstellungen einfach nicht mit unserer Arbeit d‘accord gehen. [...] Aber das merkt man dann schon, dass die Akzeptanz der Polizei eine ganz andere ist als hier zum Beispiel vom normalen Otto-Normal-Verbraucher-Bürger.“ (Vollzug/C3.10, Pos. 14)

In dieser Beschreibung abstrahierte die interviewte Person vom Individuum bzw. dessen konkreten Handlungen. Das sogenannte polizeiliche Gegenüber muss sich also der Polizei gegenüber keineswegs tatsächlich despektierlich verhalten, sein Verhalten gilt per se als abweichend vom „Otto-Normal-Verbraucher-Bürger“. Solche Vorannahmen können polizeiliches Handeln beeinflussen, insbesondere in emotional aufgeladenen, gewaltvollen Interaktionen – und auch unterbewusst, ohne dass der*die Polizeibeamt*in sich selbst als diskriminierend wahrnimmt.

(3) Eine weitere Stufe der Abstraktion stellt die „Produktion krimineller Räume“ dar (Belina 2023, 37). Wird bestimmten Raumausschnitten eine besondere Gefährlichkeit oder Kriminalitätsbelastung zugesprochen, kann das auch aus dem Erfahrungswissens resultieren. In der Konsequenz bedeutet dies jedoch, dass die Polizei nicht an allen Orten gleich handelt. Ein*e Polizeibeamt*in beschrieb:

 „Wenn ich da natürlich in ein Gebiet gehe, wo die Migrationsrate sehr hoch ist und nachweislich per Statistik meinetwegen jetzt auch die Kriminalität sehr hoch ist, dann gehe ich da als [Polizist*in] nicht völlig neutral rein.“ (Vollzug/C3.4, 12)

(Polizei-)Rechtlich verfestigt sich diese Stufe der Abstraktion in sogenannten Gefahrengebieten. Bei Gefahrengebieten (die je nach Bundesland unterschiedlich bezeichnet werden) handelt es sich um polizeilich festgelegte Raumausschnitte, in denen es augenscheinlich zu einer besonders hohen Kriminalitätsrate oder besonderen Gefährdungslage kommt. Grundlage dafür bildet, wie im obigen Zitat angedeutet, meist die polizeiliche Kriminalstatistik. Diese Statistik vermittelt aber keineswegs eine fundierte Darstellung von Kriminalitätsaufkommen, sondern stellt in erster Linie einen „Tätigkeitsnachweis“ der Polizei dar (Derin und Singelnstein 2019, 219). Vereinfacht gesagt kann ein Modus, durch den ein Gefahrengebiet hergestellt wird, die polizeiliche Tätigkeit selbst sein: Dort, wo die Polizei besonders aktiv tätig ist, wird die Statistik ein besonders hohes Kriminalitätsaufkommen aufzeigen, was dann potenziell die Schaffung eines Gefahrengebietes legitimiert. Innerhalb dieser Gefahrengebiete hat die Polizei besondere Befugnisse und darf beispielsweise verdachtsunabhängige Kontrollen durchführen. Gefahrengebiete stehen dadurch in der Kritik, polizeiliche Praktiken, wie Racial Profiling, zu evozieren (vgl. kritisch dazu Keitzel und Belina 2022; Keitzel 2020). Aber auch außerhalb von den polizeirechtlich festgelegten Gefahrengebieten kann die Imagination von bestimmten Raumausschnitten als besonders ‚gefährlich‘ weitreichende Folgen für die Menschen ‚vor Ort‘ haben: „Wenn eine Gegend von den Instanzen staatlicher Kontrolle als ‚kriminell‘ eingeschätzt und entsprechend behandelt wird, sind damit alle, die sich dort herumtreiben oder gar dort leben, einem Generalverdacht qua Lokalisierung ausgesetzt.“ (Belina 2023, 37)

Wie auch das obige Zitat eines*einer Polizist*in verdeutlicht, betrifft dies insbesondere Orte, an denen „die Migrationsrate sehr hoch ist“. Auf diese Weise tendiert eine polizeiliche Praxis, die vorrangig auf bestimmte Räume abstellt, dazu, diskriminierende Strukturen zu reproduzieren, indem bestimmte (rassifizierte oder prekarisierte) Personen(-gruppen) häufiger von der Polizei adressiert werden. Dies kann von PoC und Personen mit Migrationshintergrund als starke Einschränkung des alltäglichen Lebens wahrgenommen werden. Wenn rassifizierte Personen kritisieren, dass die Polizei aufgrund etwaiger Gruppen- oder Raumeigenschaften abstrahiert und ihnen damit fälschlicherweise pauschale Eigenschaften zuschreibt, kann das wiederum Auslöser für Eskalationen darstellen und letztlich in polizeilichen Gewaltanwendungen enden. Dass in der Folge diese Gewaltanwendungen von den Betroffen als unrechtmäßig wahrgenommen werden, scheint naheliegend.

Fazit: Vertrauen und selektive Sicherheit

Anhand der Studie KviAPol wird deutlich, dass PoC und Personen mit Migrationshintergrund andere Erfahrungen im Kontext polizeilicher Gewaltausübungen machen als weiß gelesene Personen. Dies begründet sich neben expliziten rassistischen Einstelllungen einzelner Polizeibeamt*innen v. a. in polizeilichen Abstraktionen bezüglich rassifizierter Gruppen oder Räume , welche mittels Erfahrungswissen und institutionellen Logiken vermittelt werden (vgl. Belina 2023). Polizeilicherseits scheint für diese internalisierten Formen des Rassismus wenig Problembewusstsein zu bestehen (Espín Grau und Klaus 2022, 377). Daraus ergibt es sich eine Perspektivendiskrepanz zwischen der polizeilichen Seite und denen, die von polizeilichen Gewaltanwendungen betroffen sind. Wird polizeiliches Handeln vom sogenannten Gegenüber als rassistisch oder diskriminierend kritisiert, kann das von den Polizeibeamt*innen als Infragestellung der (staatlichen) Autorität verstanden werden und sich potenziell in gewaltvollen Eskalationen entladen.

Vertrauen in die Polizei ist dadurch bedingt, ob das polizeiliche Agieren als gerecht und fair wahrgenommen wird. Abdul-Rahman (2022, 479) weist auf Grundlage des Forschungstandes darauf hin, dass eine distributive Gerechtigkeit, also „die Frage, ob die Polizei alle Personen gleichermaßen behandelt“, insbesondere dann ins Wanken gerät, wenn gesellschaftliche Gruppen weniger Schutz erhalten als andere (i. S. v. Underprotection) oder besonders häufig polizeiliche Maßnahmen erfahren. Das verräumlichte polizeiliche Handeln, also die abstrakte Vorstellung gefährlicher Räume, kann dabei ursächlich für beide Modi polizeilichen Handelns sein.

Polizeiliche Gewaltausübungen, die als diskriminierend und deswegen ungerecht wahrgenommen werden, stellen die Polizei damit tendenziell vor ein Legitimitätsproblem. Wenn die Polizei nicht mehr als schützend erlebt wird und dem Einzelnen keine Sicherheit verspricht, kann das zu einem Vertrauensverlust in die Polizei oder in staatliche Institutionen im Allgemeinen führen. Rassismus stellt ein gesamtgesellschaftliches Problem dar. Gleichwohl kommt der Polizei, als Trägerin des staatlichen Gewaltmonopols und führende staatliche Sicherheitsinstitution, eine besondere Verantwortung zu, diesem entgegenzutreten.

 


Luise Klaus ist Humangeografin. Von 2020 bis 2023 arbeitete sie im Forschungsprojekt Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamt*innen. Die Ergebnisse wurden im Buch „Gewalt im Amt. Übermäßige polizeiliche Gewaltanwendung und ihre Aufarbeitung“ von Laila Abdul-Rahman, Hannah Espín Grau, Luise Klaus & Tobias Singelnstein im Jahr 2023 im Campus-Verlag veröffentlicht. In ihrem Promotionsprojekt beschäftigt Luise Klaus sich mit offenen Drogenszenen, deren Perspektiven auf den städtischen Raum und Erfahrungen mit der Polizei.


 

 

1    Achille Mbembe versteht unter dem Begriff der Nekropolitik „eine verräumlichte Herrschaftspraxis über Leben und Tod, welche über die Definition des Fremden existenzielle Ausschlüsse produziere“ (Godarzani-Bakhtiari 2024, iii). Nekropolitisches Polizieren meint hier alltägliche urbane Ordnungspraxen (durch die Polizei), welche entlang der Schnittstellen von „(rassifizierten) Körpern, kriminalisierten Räumen und staatlicher Gewalt“ (ebd. iv) wirken.

2    isdonline.de (letzter Zugriff: 20.05.2024).

3    www.copwatchffm.org; copwatchhamburg.blackblogs.org, copwatchleipzig.home.blog (letzter Zugriff: 20.05.2024).

4    Die Unterscheidung zwischen Personen mit Migrationshintergrund und Personen of Color wurde anhand der Selbsteinordnung der Befragten getroffen. Eine Differenzierung ist wichtig, da Personen mit einem Migrationshintergrund durchaus als weiß bzw. deutsch gelesen werden können. Als Personen of Color werden im Rahmen dieser Studie Personen bezeichnet, die angegeben haben, nicht „typisch deutsch“ auszusehen und Rassismuserfahrungen gemacht zu haben. PoC stellen damit einerseits eine spezielle Teilgruppe von Personen mit Migrationshintergrund dar, gehen andererseits aber auch über diese hinaus (Abdul-Rahman et al. 2020b, 17f.).

5    Eine ausführliche Darstellung des methodischen Vorgehens ist in Abdul-Rahman et al. (2020b, 17ff.) nachzulesen.

 

Literaturverzeichnis

Abdul-Rahman, Laila (2022). Vertrauens- und Legitimitätsbrüche: Was bedeutet Rassismus durch die Polizei für die Gesellschaft? In: Daniela Hunold/Tobias Singelnstein (Hg.). Rassismus in der Polizei. Eine wissenschaftliche Bestandsaufnahme. Wiesbaden, Springer VS, 471–488.

Abdul-Rahman, Laila/Espín Grau, Hannah/Klaus, Luise/Singelnstein, Tobias (2020a). Rassismus und Diskriminierungserfahrungen im Kontext polizeilicher Gewaltausübung. Eine Expertise für den Mediendienst Integration. Mediendienst Integration. Online verfügbar unter kviapol.uni-frankfurt.de/images/pdf/Expertise_KviAPol_final.pdf (abgerufen am 30.05.2024).

Abdul-Rahman, Laila/Espín Grau, Hannah/Klaus, Luise/Singelnstein, Tobias (2020b). Rassismus und Diskriminierungserfahrungen im Kontext polizeilicher Gewaltausübung – Zweiter Zwischenbericht zum Forschungsprojekt „Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamt*innen“ (KviAPol). Bochum, Ruhr-Universität Bochum.

Abdul-Rahman, Laila/Espín Grau, Hannah/Klaus, Luise/Singelnstein, Tobias (2023). Gewalt im Amt. Übermäßige polizeiliche Gewaltanwendung und ihre Aufarbeitung. Frankfurt/New York, Campus Verlag.

Belina, Bernd (2023). Gefährliche Abstraktionen – Regieren mittels Kriminalisierung und Raum. Beiträge 2005–2023. Münster, Verlag Westfälisches Dampfboot.

Derin, Benjamin/Singelnstein, Tobias (2019). Amtliche Kriminalstatistiken als Datenbasis in der empirischen Polizeiforschung. In: Christiane Howe/Lars Ostermeier (Hg.). Polizei und Gesellschaft. Wiesbaden, Springer Fachmedien Wiesbaden, 207–230.

Espín Grau, Hannah/Klaus, Luise (2022). Rassistische Diskriminierung im Kontext polizeilicher Gewaltanwendung. In: Daniela Hunold/Tobias Singelnstein (Hg.). Rassismus in der Polizei. Eine wissenschaftliche Bestandsaufnahme. Wiesbaden, Springer VS, 359–383.

Godarzani-Bakhtiari, Mina (2024). Gegenöffentliche Problematisierung polizeilicher Nekropolitik. Sub\ urban. Zeitschrift für kritische Stadtforschung 12 (2/3), i–xxx.

Golian, Schohreh (2019). Spatial Racial Profiling: Rassistische Kontrollpraxen der Polizei und ihre Legitimationen. In: Mohamed Wa Baile/Serena O. Dankwa/Tarek Naguib/Patricia Purtschert/Sarah Schilliger( Hg.). Racial Profiling – Strukturelle Rassismus und antirassistischer Widerstand. Bielefeld, transcript, 177–194.

Keitzel, Svenja (2020). Varianzen der Verselbstständigung der Polizei per Gesetz. „Gefährliche Orte“ im bundesweiten Vergleich. Kriminologisches Journal 52 (3), 191–209.

Keitzel, Svenja (2024). Folgenreiche Begegnungen mit der Polizei. Rassistische Verhältnisse raumtheoretisch untersucht. Münster, Westfälisches Dampfboot.

Keitzel, Svenja/Belina, Bernd (2022). „Gefahrenorte“. Wie abstrakte Ungleichheit im Gesetz eingeschrieben ist und systematisch Ungleichbehandlung fördert. Geographische Zeitschrift (110), 1–20. https://doi.org/10.25162/gz-2022-0010.

KOP (2018). Chronik rassistisch motivierter Polizeivorfälle für Berlin von 2000 bis 2018.

Loick, Daniel (2018). Was ist Polizeikritik? In: Daniel Loick (Hg.). Kritik der Polizei. Frankfurt New York, Campus Verlag, 9–38.