Was zeichnet Pandemieleugner*innen aus? – Eine Analyse politischer Einstellungen, kognitiver Stile und der Mediennutzung

Der folgende Beitrag stellt die Ergebnisse einer wissenschaftlichen Studie von Rothmund et al. (2020) über Einschätzungen zur COVID-19-Pandemie in der deutschen Bevölkerung zum Zeitpunkt des Abklingens der ersten Pandemiewelle dar und vergleicht diese mit Einschätzungen von Expert*innen. Auf Grundlage unserer Analysen können wir vier Bevölkerungsgruppen unterscheiden: Die Gruppen der „Besorgten” und der „Alarmierten” (zusammen 73 %), welche in ihren Einschätzungen größtenteils mit Expert*innen übereinstimmen, sowie die Gruppen der „Zweifelnden“ und „Ablehnenden“ (zusammen 27 %). Letztere beiden Gruppen können als Pandemieleugner*innen verstanden werden, da deren Einschätzungen maßgeblich von der Expert*innenmeinung abweichen und diese verstärkt an Verschwörungsmythen über COVID-19 glauben. Unsere Studie erlaubt eine Charakterisierung dieser vier Gruppen bezüglich ihrer politischen Einstellungen, ihrer kognitiven Verarbeitungsstile sowie ihres Mediennutzungsverhaltens.

 

Einleitung

Die Coronapandemie bedingt viele Herausforderungen in unserer Gesellschaft. Um den Zusammenbruch des Gesundheitssystems und eine erhöhte Letalität zu vermeiden, ist die Orientierung an wissenschaftlichen Empfehlungen und daraus abgeleiteter politischer Maßnahmen durch die Bevölkerung unabdingbar. Eine erfolgreiche Kommunikation von wissenschaftlichen Erkenntnissen an die nicht wissenschaftliche Bevölkerung stellt dabei ein wichtiges Schlüsselelement dar. Im Verlauf der COVID-19-Pandemie in Deutschland konnte jedoch eine zunehmende Polarisierung über den politischen Umgang mit ihr beobachtet werden. Seit dem Frühjahr 2020 formierten sich, zunächst im Internet, dann auf der Straße, Proteste in steigender Größe gegen die staatlich verordneten Infektionsschutzmaßnahmen – in vielen Fällen angeführt von den sogenannten Querdenker*innen: einer überaus heterogenen Ansammlung von Menschen, die aus verschiedenen Gründen gegen die Corona-Politik protestieren, darunter auch Impfgegner*innen, Esoteriker*innen, Rechtsextreme und Verschwörungsideolog*innen (Nachtwey et al. 2020).

An dieser Stelle möchten wir darauf hinweisen, dass Kritik an den Maßnahmen in einer Demokratie nicht nur hinnehmbar, sondern begrüßenswert ist, solange sie jedoch nicht die Existenz des Virus an sich negiert und damit ein gesundheitliches Risiko für die Gesamtbevölkerung darstellt oder rechtsextreme Umsturzpläne propagiert. Zwischen den sogenannten Querdenker*innen und rechtsextremen Gruppierungen kann jedoch zunehmend ein Schulterschluss beobachtet werden (Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport 2020): Vertreter*innen der AfD, NPD, Die Rechte und Der III. Weg rufen nicht nur zur Unterstützung der Proteste auf, sondern verantworten auch gewalttätige Ausschreitungen gegen Journalist*innen und Gegenprotestierende wie bei der Demonstration am 7. November 2020 in Leipzig mit (Ulrich 2020). Besonders im Osten fallen Fallzahlen und rechte Gesinnung häufig zusammen: Neue korrelative Studien legen nahe, dass es in Landkreisen mit großer AfD-Wählerschaft deutlich erhöhte COVID-19-Inzidenzen gibt (Beltermann et al. 2020). Solche Ergebnisse sind aufgrund ihrer korrelativen Natur nicht kausal interpretierbar. Neben der politischen Einstellung könnten auch andere Faktoren die erhöhte regionale Infektionslage erklären. Eine andere Studie von Lange und Monscheuer (2021) weist jedoch statistisch nach, dass es in den Herkunftsregionen der Coronaprotestierenden nach Massendemonstrationen zu deutlich erhöhten Inzidenzwerten kam. Generell kann festgestellt werden, dass dort, wo Coronaschutzmaßnahmen nicht beachtet werden – möglicherweise motiviert durch ideologische Überzeugungen oder politische Einstellungen –, die Infektionsrate erhöht ist.
Die Informationslage zum Virus ist insbesondere in den sozialen Medien wie Telegram, dem maßgeblichen Vernetzungspunkt der sogenannten Querdenker*innen, durch nicht verifizierte, fehlerhafte Informationen, welche deutlich von der wissenschaftlichen Evidenz abweichen und verschwörungsideologische Elemente innehaben, charakterisiert. So bezeichnet die Weltgesundheitsorganisation die Informationslandschaft um COVID-19 bereits im Februar 2020 als „Infodemie“, welche es der Bevölkerung erschwere, zwischen wissenschaftlich fundierter und fehlerhafter Information zu unterscheiden (Weltgesundheitsorganisation 2020: 13).

Im Folgenden werden die Ergebnisse einer Studie aus dem Frühjahr 2020 berichtet, welche die Abweichungen der öffentlichen Meinung von der Expert*innenmeinung über Annahmen zur COVID-19-Pandemie beschreibt und zudem versucht, den Zusammenhang von Verschwörungsglauben sowie Misstrauen in die wissenschaftlichen Erkenntnisse und Empfehlungen mit Persönlichkeitsmerkmalen, politischen Einstellungen und Mediennutzungsverhalten zu analysieren.

Vertrauen in die Wissenschaft und Verschwörungsglauben

Ein grundsätzliches Vertrauen der Öffentlichkeit in die Wissenschaft ist entscheidend, um Krisen und Pandemien effektiv zu bekämpfen (Wong/Jensen 2020). Generell ist das Vertrauen in die Wissenschaft in westlichen Gesellschaften hoch ausgeprägt: Laut dem Wissenschaftsbarometer gaben im November 2020 lediglich 7 % der Befragten einer repräsentativen Stichprobe an, Wissenschaft und Forschung eher nicht oder nicht zu vertrauen (Wissenschaft im Dialog/Kantar 2020). 30 % äußerten, in dieser Frage unentschieden zu sein. Vertrauen allein entscheidet jedoch nicht darüber, ob die Bevölkerung ihr Verhalten an wissenschaftlichen Empfehlungen ausrichtet (Siegrist 2019). Aktuelle Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass Falschinformationen und Verschwörungsmythen über COVID-19 das Vertrauen in wissenschaftliche Erkenntnisse untergraben und somit das Einhalten von Coronaschutzmaßnahmen negativ beeinflussen können (Constantinou et al. 2020; Erceg et al. 2020; Imhoff/Lamberty 2020; Teovanovic et al. 2020).

Verschwörungsmythen basieren im Kern auf der Annahme, dass wichtige Geschehnisse durch mächtige Gruppen in Unwissenheit von der Öffentlichkeit gelenkt werden. Ereignisse wie eine globale Pandemie, die sich massiv auf unseren Alltag auswirken und Unsicherheit und existenzielle Ängste auslösen, stellen einen beachtlichen Katalysator für Verschwörungsmythen da, weil diese einfache Antworten zu komplexen und dynamischen Sachverhalten liefern und somit Gefühle der Unsicherheit im Individuum reduzieren können. Dabei geht ein ausgeprägter Verschwörungsglaube oft mit einer erhöhten Skepsis gegenüber wissenschaftlichen Befunden einher (Jolley/Douglas 2014; Kraft et al. 201; van der Linden 2015) und korreliert negativ mit dem Bildungsgrad sowie mit analytischem Denken (van Prooijen 2017; Swami et al. 2014)

Wie lässt sich erklären, dass manche Individuen mit der wissenschaftlichen Einschätzung zur Pandemie nicht übereinstimmen und stattdessen Verschwörungsmythen Glauben schenken? Basierend auf oben zitierten Forschungsarbeiten untersuchten wir im Rahmen unserer Studie Zusammenhänge mit verschiedene Merkmalen, welche sich als mögliche Erklärungsfaktoren im Zusammenspiel von Pandemieleugnung, Vertrauen in die Wissenschaft und Verschwörungsglauben ableiten lassen: Diese sind Anti-Elitarismus, kognitiver Stil, politische Identität sowie die Nutzung sozialer Medien.

Anti-Elitarismus gilt als politische Einstellung und als wichtiges Element von Populismus, einer Ideologie, welche die Gesellschaft in zwei homogene und antagonistische Gruppen aufteilt: „das reine Volk“ und „die korrupten Eliten“ (Mudde 2004: 543). Zusammenhänge mit Verschwörungsglauben wurden bereits nachgewiesen (z. B. Bergmann 2018; Castanho et al. 2017). Dabei umfasst der Begriff der „Eliten“ nicht nur die Regierung; auch andere Gruppen innerhalb der Gesellschaft, wie Journalist*innen (Krämer 2014) und Wissenschaftler*innen (Mede/Schäfer 2020), werden als Teil der Elite wahrgenommen, welche im Sinne eines populistischen Weltbilds nicht im Sinne des Volkes handeln. Da im Zuge der Coronapandemie Regierung und führende Wissenschaftsinstitutionen verstärkt zusammenarbeiten, liegt die Annahme nahe, dass Personen mit einer ausgeprägten anti-elitären Einstellung wissenschaftlichen Erkenntnisse und Empfehlungen hinsichtlich der Coronapandemie stärker misstrauen und wissenschaftlich-fundierte Äußerungen als politisch motiviert und unwahr deuten.

Kognitiver Stil: Die dynamische Entwicklung nicht nur des globalen Infektionsgeschehens per se, sondern auch des wissenschaftlichen Kenntnisstandes zu COVID-19 stellt für große Teile der Öffentlichkeit eine kognitive Herausforderung dar. Wissenschaftliche Empfehlungen bezüglich des Umgangs mit der Pandemie verändern sich mit fortschreitendem Forschungsstand laufend. Zudem zeichnet sich der jeweils aktuelle Erkenntnisstand durch eine dem Umstand geschuldete Fragilität aus und erfuhr in der Vergangenheit bereits häufige Revision. Die Grundlage vieler politischer Entscheidungen im Zuge der Pandemiebekämpfung kann von wissenschaftlichen Lai*innen somit nur bedingt nachvollzogen werden. Dabei unterscheiden sich Menschen darin, wie analytisch und rational sie Informationen verarbeiten und wie gut sie mit Ambiguitäten, Unsicherheiten und ungeklärte Sachverhalte mental umgehen können (Webster/Kruglanski 1994; Furnham/Marks 2013). Eine niedrige Motivation, Informationen analytisch zu verarbeiten (Douglas et al. 2017) sowie geringere kognitive Fähigkeiten (Ståhl/van Prooijen 2018; Swami et al. 2014) konnten in wissenschaftlichen Arbeiten als Korrelate von verschwörungsideologischem Denken festgestellt werden. Es ist also davon auszugehen, dass Personen mit einem geringerer kognitiver Verarbeitungstiefe die dynamische und mitunter fragile Entwicklung des wissenschaftlichen Erkenntnisstandes zu COVID-19 als nur schwer nachvollziehbar und tolerierbar empfinden. Einige jüngere Studien konnten bereits entsprechende Zusammenhänge mit dem Glauben an Verschwörungsmythen über COVID-19 nachweisen (Alper et al. 2020; Pennycook et al. 2020).

Politische Identität: Eine weitere Erklärung für den Glauben an COVID-spezifische Verschwörungsmythen könnte in der Verbindung von Verschwörungsglauben und politischer Ideologie gesehen werden. Nach Jost et al. (2003) gibt es einen Zusammenhang zwischen dem individuellen Bedürfnis nach eindeutigen Antworten und Einfachheit auf der einen Seite sowie politischem Konservatismus auf der anderen Seite, welcher als „Rigidität der Rechten“ bezeichnet wird. Zudem konnte in vielen Forschungsarbeiten eine politische Asymmetrie unter Anhänger*innen von Verschwörungsmythen gefunden werden: Personen aus dem rechten politischen Spektrum schenken diesen öfter Glauben als Personen aus dem liberalen/linken Spektrum (Imhoff/Lamberty 2020; Miller 2020a; Miller 2020b; Uscinski et al. 2020; van der Linden et al. 2020). Dies könnte dazu führen, dass Personen mit einer konservativen, rechten politischen Identität dem dynamischen wissenschaftlichen Kenntnisstand zu COVID-19 weniger Vertrauen schenken als Liberale und eher an Verschwörungsmythen glauben. Erste Studien mit US-amerikanischen Stichproben konnten zeigen, dass politisch Konservative sich weniger an die Abstandsregeln halten und Ausgangsbeschränkungen weniger streng befolgen (Grossman et al. 2020; Lipsitz/Pop-Eleches 2020; Rosenfeld et al. 2020). Die Ergebnisse der US-amerikanischen Stichproben sind in diesem Fall aber nur begrenzt generalisierbar, da Demokrat*innen und Republikaner*innen deutlich polarisierter sind als politisch Linke und Rechte in anderen Ländern. In Kanada konnten solche Unterschiede zwischen den politischen Lagern im Umgang mit der Pandemie zum Beispiel nicht gefunden werden (Merkley et al. 2020; Pickup et al. 2020).

Nutzung sozialer Medien: Messengerdienste und soziale Medien spielen als Informationsquellen in den vergangenen Jahren eine zunehmend wichtige Rolle. Ihre Bedeutung ist im Zuge der sich zum Teil überschlagenden Meldungen zur Coronapandemie zusätzlich gewachsen. Neben vielen Vorteilen, etwa einer diversen Medien- und Meinungslandschaft, der Möglichkeit zu hoher Partizipation für jede*n mit einem Internetzugang und damit mehr politischen Einflussmöglichkeiten für alle, stellen soziale Medien eine Infrastruktur dar, in welcher sich Falschinformationen schnell und weit verbreiten können (Vosoughi et al. 2018). Problematisch sind hier nicht nur bewusst verbreitete, politisch motivierte Falschinformation (Desinformation), sondern auch solche, die geteilt werden, wenn Nutzer*innen in ihrer Bewertung von Inhalten nicht aufmerksam genug sind (Pennycook et al. 2020). So konnte bereits in mehreren Studien nachgewiesen werden, dass Personen, die ihre Informationen über COVID-19 hauptsächlich über soziale Medien beziehen, weniger gut über die Gefahren der Pandemie sowie notwendige Schutzmaßnahmen aufgeklärt sind und die Maßnahmen weniger streng befolgen, da sie häufiger Falschinformationen ausgesetzt sind (Bridgman et al. 2020; Jamieson/Albarracin 2020).

Wie gut ist die deutsche Bevölkerung informiert?

Um zu untersuchen, inwiefern die deutsche Bevölkerung in der Endphase der ersten COVID-19-Pandemiewelle informiert und polarisiert war und ob die oben genannten Zusammenhänge hierfür zur Erklärung herangezogen werden können, haben wir zwei Online-Befragungen1 durchgeführt. Die erste Befragung basierte auf einer bezüglich Alter, Geschlecht und Bildung anhand der Allgemeinbevölkerung quotierten Bevölkerungsstichprobe. Die zweite Befragung richtete sich an in Deutschland tätige wissenschaftliche Expert*innen in den Bereichen der Virologie und Epidemiologie. Beiden Stichproben wurden insgesamt 15 Behauptungen in Bezug auf COVID-19 präsentiert. Die Befragten gaben zu jeder Behauptung an, inwiefern sie glaubten, dass die betreffende Behauptung wahr oder falsch sei, Abbildung 1 zeigt alle Aussagen.

 


In der Bevölkerungsstichprobe wurden zusätzlich die Einhaltung und Unterstützung von Eindämmungsmaßnahmen (bspw. die Einhaltung von Abstandsregeln), der Glaube an pandemiebezogene Verschwörungstheorien (bspw. der Glaube, dass die Corona-Pandemie dazu diene, Menschen zu entrechten und eine autoritäre Regierung zu etablieren), das Vertrauen in Wissenschaflter*innen sowie das eingeschätzte persönliche Infektionsrisiko abgefragt. Darüber hinaus gaben die Befragten an, inwiefern ihrer Einschätzung nach sie selbst, ihr persönliches Umfeld, die Politiker*innen und der durchschnittliche Deutsche gut über die Corona-Pandemie informiert seien. Ebenfalls wurde eine Selbsteinstufung der politischen Ideologie vorgenommen. Als relevante Variablen des kognitiven Stils wurde der Glaube an epistemische Komplexität, die kognitive Offenheit sowie die kognitive Reflexion der Befragten gemessen. Den Grad der Überzeugung, dass Wissensbestände und Wissensgenerierung komplex sind (epistemische Komplexität), haben wir mit dem Oldenburg Epistemic Belief Questionnaire gemessen (Paechter et al. 2013, Beispielitem: „Dinge sind einfacher, als die meisten WissenschaftlerInnen einen glauben lassen.“). Das Bewusstsein dafür, dass das eigene Wissen begrenzt ist, und den Willen, seinen Horizont zu erweitern (kognitive Offenheit), haben wir mit Aussagen der Intellectual Humility Scale (Alfano et a. 2017) erfasst (Beispielitem: „Ich denke, dass es Zeitverschwendung ist, Menschen zu beachten, die anderer Meinung sind als ich.“). Zudem haben wir einen kognitiven Reflexionstest eingesetzt, welcher die Fähigkeit bzw. Motivation eines Individuums misst, intuitiven, aber falschen Antworttendenzen zu widerstehen (Primi et al. 2016). Zu guter Letzt erfassten wir das Mediennutzungsverhalten der Befragten in Bezug auf die Rezeption von pandemiebezogenen Informationen.

Die Durchführung einer statistischen Analyse (latente Klassenanalyse) ermöglichte es uns, die Bevölkerungsstichprobe auf Grundlage ihrer Antwortmuster in Bezug auf die COVID-19-bezogenen Behauptungen in Gruppen einzuteilen. Dabei ergaben sich insgesamt vier Antwortmuster bzw. Gruppen (siehe Abbildung 1 für die mittlere Zustimmung der vier Gruppen zu den Aussagen über COVID-19). Die größte Gruppe (57 % der Bevölkerungsstichprobe), im Folgenden als „Besorgte“ bezeichnet, sowie eine weitere Gruppe (16 % der Bevölkerungsstichprobe), im Folgenden als „Alarmierte“ bezeichnet, bewerteten die Aussagen ähnlich wie die Expert*innen. Im Vergleich zu den Expert*innen zeigte die Gruppe der Alarmierten hierbei sogar eine etwas höhere Risikoeinschätzung. Eine weitere Gruppe (8 % der Bevölkerungsstichprobe) fiel vor allem durch ihre starke Unterschätzung der Risiken im Vergleich zu den Expert*innen auf. Diese bezeichnen wir im Folgenden als die Gruppe der „Ablehnenden“. Die letzte Gruppe, die fast ein Fünftel der Bevölkerungsstichprobe ausmachte, wich in fast allen Behauptungen deutlich von den Expert*innen ab. Dabei zeichnete sie sich aber vor allem dadurch aus, dass sie sich in ihren Antworten in der Skalenmitte bewegte, d. h. generell keine starken Zustimmungstendenzen bei den einzelnen Fragen zeigte. Dies könnte auf Unsicherheit schließen lassen. Diese Gruppe bezeichnen wir daher als „Zweifelnde“. Allgemein zeigt sich somit, dass gegen Ende der ersten Welle der Corona-Pandemie eine große Mehrheit der deutschen Öffentlichkeit (73 %) zentrale Behauptungen zu COVID-19 ähnlich wie wissenschaftliche Expert*innen bewertet hat. Dieses Ergebnis steht im Einklang mit dem Befund, dass das Vertrauen in die Wissenschaft in Deutschland generell hoch ist und im Frühjahr 2020 sogar noch zugenommen haben könnte (Wissenschaft im Dialog/Kantar 2020). Wir interpretieren diesen Befund dahingehend, dass in Deutschland die Kommunikation von Wissenschaftler*innen und wissenschaftlichen Erkenntnissen durch Massenmedien in der Anfangsphase der Pandemie einen Großteil der Öffentlichkeit erreicht und überzeugt hat. Zwei Gruppen, die zusammen immerhin etwas mehr als ein Viertel unserer repräsentativen Stichprobe ausmachen, wichen in ihren Einschätzungen zu COVID-19 jedoch von wissenschaftlichen Expert*innen ab. Im Folgenden beschreiben und charakterisieren wir die vier Bevölkerungsgruppen ausführlicher und diskutieren mögliche Erklärungsansätze für die Übereinstimmung mit bzw. Abweichung von Expert*innenmeinungen.

Wodurch lassen sich die einzelnen Gruppen charakterisieren?

Besorgte und Alarmierte unterschieden sich von der übrigen Stichprobe darin, dass sie zum Zeitpunkt der Befragung in geringerem Maße an COVID-19-bezogene Verschwörungstheorien glaubten. Verglichen mit Ablehnenden und Zweifelnden bezogen beide Gruppen, insbesondere jedoch die Gruppe der Alarmierten, ihre Informationen zu COVID-19 verstärkt aus dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Die Gruppe der Alarmierten war etwas älter, zu einem höheren Anteil im Ruhestand und zu einem geringeren Anteil erwerbstätig als die übrige Stichprobe. Diese Gruppe kennzeichnete sich außerdem durch eine formal höhere Bildung sowie eine höhere Bereitschaft und Fähigkeit zu analytischem Denken (bspw. epistemische Komplexität, kognitive Aufgeschlossenheit, kognitiven Reflexion). Sie zeigte außerdem ein höheres Vertrauen in Wissenschaftler*innen und glaubte, dass Politiker*innen und sie selbst gut über COVID-19 informiert seien. Wie zu erwarten, hielten sich die Befragten in dieser Gruppe auch in starkem Maße an die Schutzmaßnahmen. Auch die Gruppe der Besorgten befolgte die Schutzmaßnahmen in stärkerem Maße als Ablehnende und Zweifelnde. Dieser Befund legt die Interpretation nahe, dass sich die Kenntnis der wissenschaftlichen Evidenz und Risikobewertungen in Schutzverhalten übersetzt (Hansson/Aven 2014).

Die Gruppen der Ablehnenden und Zweifelnden unterschieden sich von der übrigen Stichprobe darin, dass sie ihre Informationen über COVID-19 in der Endphase der ersten COVID-19-Pandemiewelle im eher aus Messengern und sozialen Medien und weniger aus dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen bezogen. Wir fanden ebenfalls Gemeinsamkeiten hinsichtlich des geringeren Glaubens an die Komplexität von Wissen. Beide Gruppen verorteten sich politisch-ideologisch in der Tendenz eher im rechtskonservativen Spektrum als die übrige Stichprobe. Während beide Gruppen ein niedrigeres Vertrauen gegenüber Wissenschaftler*innen hatten und im Allgemeinen eher geneigt waren, an COVID-19-Verschwörungen zu glauben, war diese Tendenz bei den Ablehnenden stärker ausgeprägt. Letztere glaubten zudem, dass Politiker*innen und die deutsche Bevölkerung schlecht informiert seien und lehnten politische Maßnahmen gegen COVID-19 eher ab. Ihre körperliche Gesundheit schätzten sie als besser und ihr persönliches Infektionsrisiko als geringer ein als die übrige Bevölkerung. In demografischer Hinsicht war die Gruppe der Ablehnenden im Vergleich zur übrigen Stichprobe etwas jünger und wies einen höheren Bildungsgrad sowie einen höheren Anteil an Erwerbstätigen auf. Wenig überraschend hielten sich die Befragten dieser Gruppe am wenigsten an die Maßnahmen zur physischen Distanzierung und Hygiene. Eine zusammenfassende Darstellung der Charakteristika der vier Gruppen kann Abbildung 2 entnommen werden.

 


Wir glauben, dass die Gruppe der Ablehnenden eine radikale Teilgruppe der Pandemieleugner*innen in der deutschen Gesellschaft darstellt. Aus der Perspektive der Wissenschaftskommunikation ist es schwierig, an diese Gruppe heranzutreten, da sie Wissenschaftler*innen gegenüber sehr misstrauisch bis feindselig eingestellt waren und sind ist. Diese Einstellung kann als Teil einer allgemeinen anti-elitären Grundhaltung verstanden werden. Es könnte wichtig sein, sich nicht darauf zu konzentrieren, diese Leute zu überzeugen, sondern sie daran zu hindern, ihre Ansichten in der breiten Öffentlichkeit weiter zu verbreiten. Eine Gruppe, die wahrscheinlich für diese Kommunikation empfänglich war und ist, ist die Gruppe der Zweifelnden. Diese Gruppe unterschied sich vom Rest der Stichprobe primär in ihren kognitiven Merkmalen. Sie wiesen eine formal niedrigere Bildung auf, waren kognitiv weniger offen, entschieden sich eher für intuitiv richtige, aber faktisch falsche Lösungen in einem kognitiven Reflexionstest und neigten dazu, Wissensstrukturen als unterkomplex einzuschätzen. Somit zeichneten sich Zweifelnde nicht nur, wie weiter oben beschrieben, durch Unsicherheit in ihren Einschätzungen zu COVID-19, sondern auch durch einen geringen Bildungsgrad und einen spezifischen kognitiven Stil aus (geringerer Glaube in epistemische Komplexität, geringere Ausprägung von kognitiver Offenheit sowie kognitiver Reflexion). Wir gehen davon aus, dass sich diese Teilgruppe der Pandemieleugner*innen am ehesten durch die anhaltende „Infodemie“ bedroht und desorientiert fühlt (Weltgesundheitsorganisation 2020: 13). Die Kombination aus geringer wissenschaftlicher Kompetenz und einem starken Bedürfnis nach einfachen Antworten könnte dazu führen, dass diese Gruppe von Menschen für Verschwörungsmythen weiterhin anfällig ist. Diese Interpretation steht im Einklang mit Erkenntnissen, die darauf hinweisen, dass irrationale Überzeugungen als „kognitiver Puffer“ gegen Unsicherheit dienen können (Kay et al. 2010).

Fazit

Die vorliegende Forschung stützt die Auffassung, dass konspiratives Denken über die Corona-Pandemie nicht mit einer einzigen und eindeutigen Motivations- bzw. Persönlichkeitsstruktur in Verbindung gebracht werden kann. Stattdessen finden wir Zusammenhänge mit unterschiedlichen Merkmalen: antielitäre Überzeugungen, politisch rechte Identität, ein spezifischer kognitiver Stil (charakterisiert durch geringe kognitive Offenheit und geringe kognitive Reflexionsbereitschaft) sowie einen primären Informationsbezug durch soziale Medien. Zukünftige Forschung sollte das Zusammenspiel zwischen diesen verschiedenen Faktoren untersuchen, um die zugrunde liegende psychologische Dynamik besser zu verstehen. Wir plädieren dafür, konspiratives Denken über die Pandemie sowie Pandemieleugnung als das Ergebnis eines Kommunikationsprozesses zwischen mindestens zwei Gruppen zu konzeptualisieren, einer kleinen Gruppe Ablehnender und einer größeren Gruppe Zweifelnder. Die Untersuchung der Kommunikationsdynamik zwischen diesen beiden Gruppen dürfte wichtige Erkenntnisse darüber liefern, wie die Wissenschaftskommunikation konspiratives Denken als Gegenerzählung zur wissenschaftlichen Argumentation ansprechen kann.

Einschränkend muss hinzugefügt werden, dass es sich bei unseren Daten um Querschnittsdaten handelt, die zu einem spezifischen Zeitpunkt erhoben wurden. Daher können wir keine eindeutigen Aussagen über Wirkprozesse machen. Dies ist besonders wichtig im Hinblick auf die Frage nach der relativen Bedeutung verschiedener möglicher Einflussfaktoren. Die vorliegenden Ergebnisse sind außerdem für die Zeit im Frühjahr 2020 zu betrachten – individuelles Wissen, Einstellungen und Risikobewertung verändern sich während der Pandemie dynamisch. Dennoch sind wir der Meinung, dass die Charakterisierungen der vier Gruppen eine längerfristige Gültigkeit über den Zeitraum der Endphase der ersten COVID-19-Pandemiewelle hinaus haben. So konnten wir die grundlegenden Muster unsere Ergebnisse mit einer weiteren repräsentativen Bevölkerungsstichprobe im Oktober 2020 replizieren.

Mithilfe unserer Studie können wir jedoch auch feststellen, dass 73 % der nicht wissenschaftlichen Bevölkerung mit den Einschätzungen der Expert*innen größtenteils übereinstimmt. Dies bedeutet, dass die Wissenschaftskommunikation in diesem Zeitabschnitt der Pandemie durchaus als erfolgreich zu bewerten ist. Ein überwältigend großer Teil der deutschen Bevölkerung nimmt die entsprechenden Kommunikationsangebote also nicht nur wahr, sondern kann die entsprechenden Informationen auch sinnvoll in eigene Wissensstrukturen integrieren.

 

1 Durchführung der Bevölkerungsstudie vom 22. April bis 29 April 2020; Durchführung der Expert*innenstudie vom 4. Mai bis 16. Mai 2020

 

 

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