Im Fokus: autoritär und extrem rechte Zugriffe auf ungleiche Lebenslagen von Mädchen und Frauen

Allen Modernisierungsschüben zum Trotz bleibt Geschlecht und das Festhalten an einer streng-heteronormativen Geschlechterordnung zentral für Denken und Handeln der zeitgenössischen autoritären und extremen Rechten. Mehr denn je ist sie hierfür auf das aktive Mitwirken von Mädchen und Frauen in den eigenen Reihen angewiesen. Der Beitrag blickt auf Selbstinszenierungen von Protagonistinnen der autoritären und extremen Rechten und fragt nach deren Zugriffen auf spezifisch weibliche Lebenslagen. Davon ausgehend diskutiere ich Anknüpfungspunkte jener autoritär und extrem rechten Diskurse um Geschlecht an reale Lebenslagen von Mädchen und Frauen und plädiere für einen umfassenden Einbezug frauen- und mädchenspezifischer Perspektiven in die Rechtsextremismusprävention.

Geschlecht und das Festhalten an einer streng-heteronormativen Geschlechterordnung ist heute zentrales Mobilisierungsthema der autoritären und extremen Rechten (vgl. Sauer 2017). In rechten Publikationen wird einer traditionellen Geschlechterordnung das Wort geredet. Männer und Frauen werden in traditionellen Geschlechterrollen porträtiert und Bilder einer zeitgenössischen Rechten auch anhand der dort gezeigten Akteurinnen gezeichnet. Der vorliegende Beitrag setzt hier an und diskutiert unterschiedliche Zugriffe auf die Lebenslagen von insbesondere Mädchen und jungen Frauen. Nach einem einführenden Blick auf Frauen und Geschlechterpolitiken in der autoritären und extremen Rechten arbeitet der Beitrag Muster heraus, in denen autoritär und extrem rechte Akteurinnen weibliche Lebenswelten adressieren. Hierbei wird Bezug genommen auf empirische Ergebnisse aus der Studie „Weiblichkeitskonstruktionen und Vorstellungen von Mutterschaft bei Protagonistinnen der völkisch-nationalistischen Rechten – Perspektiven für eine geschlechtersensible politische Bildung“1. Im zweiten Teil des vorliegenden Beitrags diskutiere ich Anknüpfungspunkte jener autoritär und extrem rechten Diskurse an reale Lebenslagen von Mädchen und Frauen.

Frauen und Geschlechterpolitik in der autoritären und extremen Rechten

Mädchen und Frauen2 waren von jeher Teil der organisierten extremen Rechten – und bewegten sich damit ebenso wie Jungen und Männer in rechten Lebenswelten (ex. Döhring/Feldmann 2005). Mit Gründung der Partei Alternative für Deutschland (AfD) und anderer Organisationen in ihrem politischen und vorpolitischen Umfeld erfahren politisch aktive Frauen in der autoritären und extremen Rechten in den letzten Jahren3 eine neue Sichtbarkeit. Nicht nur die Frauen selbst, sondern ebenso die von ihnen gewählten Inszenierungen von Weiblichkeit irritieren auf den ersten Blick: weltgewandt und doch heimatverbunden, mit Kindern oder ohne, alleinerziehend, in gleich- oder verschiedengeschlechtlicher Partnerschaft, verbal aggressiv und zugleich feminin-zurückhaltend. Die Irritation über ‚moderne‘ Frauen in einer vermeintlich anti-modernen Partei wie der AfD geht zurück auf die „doppelte Unsichtbarkeit“ (extrem) rechter Frauen4: Die feministische Rechtsextremismusforschung beschreibt hiermit die weitverbreitete Annahme, Frauen hätten „zum einen keine politische Überzeugung und wenn, dann keinesfalls eine so gewalttätige wie die rechtsextreme. Frauen gelten immer noch als das ‚friedfertige‘ Geschlecht.“ (Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus 2011) Das Engagement von insbesondere jungen Frauen in politischen Bewegungen der vergangenen Jahre allgemein und die Sichtbarkeit extrem rechter Frauen im Besonderen rüttelt an diesem weitverbreiteten Klischee: Die Berichterstattung über Frauke Petry und Beatrix von Storch, die äußerten, an der Grenze auf Menschen schießen lassen zu wollen,5 oder eine jugendliche Aktivistin der AfD, die sich in kampfbereiter Pose im Porträt des Nachrichtenmagazins Der Spiegel wiederfand,6 relativieren das Bild der „friedfertigen Frau“.

Die hier benannten Frauen bewegen sich in autoritär und extrem rechten Gruppierungen neuen Typs, die in Deutschland nach 2010 gegründet wurden. Zeitlich fallen die Organisationen und ihre jeweiligen Akteur:innen damit in die Zeit antifeministischer Anfeindungen gegen das rechte Feindbild „Gender“ (Lang/Peters 2018): Eine antifeministische, an der Norm der heterosexuellen Kernfamilie ausgerichtete Politik bildete neben der Anti-Euro- und der Anti-Migrationspolitik von Beginn an eine der tragenden Säulen der AfD (vgl. Kemper 2014). Während die Anti-Euro-Politik an Bedeutung verlor, nahm eine aggressive Rhetorik gegen alles, was mit „Gender“ und Gleichstellungspolitiken verbunden wird, in der Partei zu. Ihren Wahlkampfspot zur Bundestagswahl 2021 beginnt die Partei mit den Worten „Es gibt eine Partei, die kümmert sich nicht um Gendersternchen ...“.7 Antifeminismus zieht sich wie ein roter Faden durch verschiedene Bereiche der parteipolitischen Agenda der AfD (ausführlich: Lang 2017). Die neuerlichen Versuche, nicht nur Familie als heterosexuelle Gemeinschaft zu definieren, sondern die Ablehnung der Vielfalt geschlechtlicher, sexueller und familialer Lebensweisen in den Mittelpunkt des Wahlkampfes zu rücken, zeugt von der Bedeutung antifeministischer Geschlechterpolitiken für die Agenda der AfD.

Autoritär und extrem rechte Zugriffe auf weibliche Lebenslagen

Um an personeller Stärke und Glaubwürdigkeit zu jenen Themen zu gewinnen, ist die autoritäre und extreme Rechte heute mehr denn je auf das aktive Mitwirken von Mädchen und jungen Frauen in den eigenen Reihen angewiesen. In deren Selbstzeugnissen und öffentlichen Auftritten finden sich wiederum verschiedene Zugriffe auf Lebenslagen von Frauen und Mädchen. So sehr sich inhaltliche Schwerpunkte und die Performances von Frauen in prominenten Positionen der autoritären und extremen Rechten unterscheiden: Was sie eint, ist eine verbal-radikale Ablehnung des Feminismus. Von feministischen Positionen grenzen sich die Protagonistinnen explizit ab. Keine der Frauen, deren Selbstzeugnisse wir in einer qualitativen Inhaltsanalyse auswerteten (vgl. FN1), beschreibt sich selbst als von der Mehrfachbelastung durch Familie und Beruf betroffen. Nichtsdestotrotz thematisieren sie Fragen rund um Vereinbarkeit in ihren Performances und Selbstzeugnissen (ausführlich dazu: Lang/Reusch i.E.). Sie inszenieren sich als Macherinnen auf der politischen Bühne (a) und geißeln gleichzeitig die Erwartung an Frauen, Familie und Beruf zu vereinbaren, als neoliberale Zumutung (b).

Variante a): Die Macherin

Die Anwesenheit von Frauen in der Politik stört den ursprünglich rein männlichen Raum. Für aktive Frauen in der autoritären und extremen Rechten bedeutete dies lange Zeit, zunächst das eigene politische Engagement gesondert zu begründen. Völkische Frauengruppen veröffentlichten Papiere, in denen sie betonten, dass sie keine Konkurrenz zu den männlichen Kameraden darstellen wollen, sondern die Bewegung auf ihre spezifisch weibliche Art unterstützen würden: „Frauen sind prinzipiell in der Lage, jede Aufgabe zu übernehmen, allerdings wissen sie sich zurückzuhalten, solange es fähige Männer zur Erfüllung dieser gibt,“ so eine einflussreiche völkische Frauengruppe in den 2000er-Jahren.8 Die Aktivistinnen benennen die Zurückhaltung von Frauen als weibliche Tugend – und unterstreichen damit nicht nur ihren Willen, in der Bewegung mitzuwirken, sondern ebenso die eigene Weiblichkeit und den ihnen qua Geschlecht zugewiesenen Platz in der Bewegung. Junge Frauen beschreiben dagegen heute, wie sie in Teilen der autoritären und extremen Rechten mit viel Wohlwollen begrüßt werden – denn rechte Gruppierungen sind heute mehr denn je darauf angewiesen, sich mit Frauen in der ersten Reihe zu schmücken. Voraussetzung für das Wohlwollen ist es, dass sich Frauen vom Feminismus und von feministischen Analysen etwa zur Mehrfachbelastung von Frauen distanzieren. Prominent platziert finden sich Interviews und Porträts rechter Frauen, die sich als ideologisch gefestigt, dem Feminismus gegenüber abgeneigt und beruflich wie politisch eigenständig inszenieren:

Wir wollen einfach einen Gegenentwurf zum heute vorherrschenden Frauenbild zeigen. Einen durchaus modernen, aber eben doch konservativen. Mutter und Hausfrau sein bedeutet schon lange nicht mehr, keine Teilhabe am sozialen und politischen Leben zu haben. Es schließt auch nicht aus, sich selbst verwirklichen zu können. Dieses Schwarz-Weiß-Denken zwischen Karrierefrau und Heimchen am Herd ist einfach nicht zeitgemäß und auch nicht richtig.9

Protagonistinnen der autoritären und extremen Rechten präsentieren sich als „Macherinnen“ – nicht Entweder-oder, sondern erfolgreich im Sowohl-als-auch. Insbesondere Frauen mit Kindern vereinbaren ‚scheinbar spielerisch koordiniert‘ Politik, Erwerbsarbeit und Familie in den eigenen Performances. Strukturelle Problemlagen werden hierfür individualisiert und die Leistungsbereitschaft der Einzelnen zum alleinigen Kriterium gemacht. Eine explizite Problematisierung der Herausforderungen einer Vereinbarkeit von Familie und Beruf (und Politik) finden sich etwa bei jenen „Macherinnen“ keine. Im Gegenteil: Eine vormalige Bundessprecherin der AfD etwa begründet genau hiermit ihre Expertise, die sie als Politikerin ‚aus der Mitte des Volkes‘, respektive des Mittelstandes auszeichne:

Neben einer Familie mit vier Kindern habe ich ein Unternehmen gegründet, investiert, Menschen Arbeit gegeben und jahrelang meine Kredite bedient und dafür selbst zeitweise auf Gehalt verzichtet – so wie viele Mittelständler. Als Gründerin habe ich zudem persönlich für Firmenkredite gehaftet. In der Insolvenz habe ich dafür privat die Verantwortung übernommen und mich immer an Recht und Gesetz gehalten.10

Der Verweis auf ihre Kinder und die Erfüllung von Anforderungen normativer Weiblichkeit wird von Protagonistinnen selbst und anderen mitunter genutzt, um sie von anderen Politikerinnen abzugrenzen, die diese vermeintlich nicht erfüllen. Dieser im Kern antifeministische Anwurf richtet sich häufig gegen linke Frauen, trifft jedoch mitunter auch konservative Frauen wie Angela Merkel, die sich selbst nicht als Feministinnen verstehen (Hümmler 2021: 85ff.). Protagonistinnen mit Kindern beziehen ihre Rolle als Mutter explizit in die Inszenierung als Macherin mit ein. Ob mit Babybauch im Parlament, mit neugeborenem Kind auf dem Wahlplakat oder mit Verweisen auf die eigene Erfahrung in erzieherischer Verantwortung: Protagonistinnen der autoritären und extremen Rechten verstecken sich nicht, sondern suchen gezielt die Sichtbarkeit als Frauen sowie als beruflich und politisch erfolgreiche Mütter, die der vermeintlichen feministischen Mär von den Tücken der Vereinbarkeit widersprechen.

Variante b): Die Mahnerin

Daneben finden sich ebenso Argumentationsmuster, in denen die an Frauen gerichtete Erwartung, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen, als unzumutbare Belastung für Frauen und Familien benannt wird. Auch hier erfolgt ein Rekurs auf den Feminismus, von dem sich nicht nur abgegrenzt, sondern dem die Verantwortung für die Überlastung von Frauen und Familien angelastet wird. Eine Protagonistin der AfD erklärte in ihrer Rede im Deutschen Bundestag:

So werden Mütter von Genderideologen und Wirtschaftsverbänden in die Erwerbsarbeit gepresst, ob sie es wollen – dann mag es so sein – oder auch nicht; dann ist es nicht gut. Die meisten Mütter sind nämlich nicht Aufsichtsräte in DAX-Vorständen, sondern verwirklichen sich selbst an der Kasse von Aldi. […] Was in Wahrheit staatliche Ausbeutung ist, das nennen Sie Emanzipation.11

Die Protagonistin benennt sich nicht selbst als Frau und Mutter, sondern spricht als Expertin für geschlechtsspezifische Herausforderungen anderer Frauen und Familien. In staatsmännischem Duktus macht sie sich zur Mahnerin und Fürsprecherin von Müttern und Discounter-Angestellten – und lastet deren Situation einem vermeintlich nicht eingelösten Emanzipationsversprechen des Feminismus an.

Fragen rund um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf werden von rechten Protagonistinnen nicht negiert, sondern explizit problematisiert und zum Teil einer Wertedebatte um Familienformen und Lebensweisen gemacht. Das Problem der Vereinbarkeit löst die autoritäre und extreme Rechte, indem sie Frauen nicht länger „in die Erwerbsarbeit [zwingt]“12. Und hierfür wiederum braucht es Frauen innerhalb der autoritären und extremen Rechten, die jene Lebensweisen verkörpern. So führte ein Mitglied der AfD auf dem Blog des Arcadi-Magazins aus:

Ich gehöre zu den Frauen, die es lieben, Mutter zu sein und die sich gern um Haus und Hof kümmern. Und damit gehöre ich auch zu den Frauen, die von führenden Politikern häufig als grundsätzlich inkompetent, entbehrlich und ersetzbar dargestellt werden.13

Ähnlich wie andere Protagonistinnen, die im Arcadi-Magazin porträtiert werden, verknüpft sie die eigene Weiblichkeit mit Mutterschaft. Eine andere Autorin des Magazins beschreibt die aus der Sorgeverantwortung resultierenden Aufgaben als „urweiblich“ und sich selbst „erst seit der Schwangerschaft als wirkliche, vollwertige Frau“14. Beide Protagonistinnen präsentieren im selbst gewählten (phasenweisen) Rückzug aus der Erwerbsarbeit die Lösung für Fragen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf – und verknüpfen dies mit einer Kritik an einer neoliberalen Logik, welche die Bedeutung von Care-Arbeit verkennt.

Anders als autoritär und extrem rechte Protagonistinnen in ihrer Abgrenzung vom Feminismus behaupten, sind Fragen rund um die Doppelbelastung von Frauen durch die Gleichzeitigkeit von Erwerbs- und Sorgearbeit seit jeher Inhalt feministischer Theorie und Debatte (Becker-Schmidt 1987). Während Feminist:innen die Anerkennung von Sorgearbeit auch in monetärer Form (vgl. die Debatte um Lohn für Hausarbeit) fordern und in gesellschaftlichen Debatten sowie in gleichstellungspolitischen Programmen über eine Umverteilung und faire Verteilung von Sorge- und Erziehungsarbeit zwischen den Geschlechtern gesprochen wird, geht es in den Einwürfen extrem rechter Protagonistinnen in der Regel um die Erziehungsverantwortung von Müttern, denen ganz im Einklang mit traditionellen Geschlechterrollen diese Aufgabe zugewiesen wird.

Anknüpfungspunkte an tatsächliche Herausforderungen in den Lebenslagen heranwachsender Frauen

Die Leipziger Autoritarismus-Studie 2020 untersucht erstmals antifeministische Einstellungen in allen Teilen der Bevölkerung und verortet diese als Teil autoritär rechten Denkens. Dem zugrunde legen die Forschenden ein breites Verständnis von Antifeminismus: Neben dem „rechtsnationalen“ und dem „konservativen Antifeminismus“ benennen die Autor:innen einen „neoliberale[n] Antifeminismus, der das Argument der individuellen Leistungsorientierung gegenüber der Frauenförderung in der Gleichstellungspolitik ausspielt“ einbezieht (Höcker et al. 2020: 256). Die beiden oben umrissenen Argumentationsmuster zeigen, dass die einzelnen antifeministischen Spielarten nicht immer trennscharf voneinander zu unterscheiden sind – sondern insbesondere in der zeitgenössischen autoritären und extremen Rechten in einer Mischform auftreten: bei den „Macherinnen“, die in bester neoliberaler Weise zeigen wollen, als Frauen und Mütter beruflich und politisch erfolgreich sein zu können, so sie nur hart genug daran arbeiten. Oder bei jenen „Mahnerinnen“, die feministische und Gleichstellungspolitiken anprangern und für die Probleme von Frauen und Familien in Deutschland verantwortlich machen.

Hierbei bezieht sich die autoritäre und extreme Rechte auf Weiblichkeitsnormen und weibliche Lebenslagen in vielen Teilen der Gesellschaft: Von Mädchen und Frauen wird ganz allgemein erwartet, sich neben (Aus-)Bildungserfolgen und erfolgreicher Karriere um die Familie, um Kinder und zu pflegende Angehörige zu kümmern. Dies ist durch die Monate der Pandemie nicht nur deutlich geworden, sondern hat sich noch mal verschärft (siehe u. a. Frey 2020; OECD 2020; Zucco/Lott 2021, Harth 2021). Beide Bereiche – Lohnarbeit und die Arbeit in der Familie – verlangen Frauen Widersprüchliches ab: Wo es hier heißt, ‚du allein trägst die Verantwortung für die eigene Karriere, nutze es‘, heißt es dort ‚nimm dich selbst zurück für Andere‘. Nichtsdestotrotz wissen wir aus den Jugendstudien der vergangenen Jahre (ex. Calmbach et al. 2020; Sinus; Calmbach/Debus 2013) um die große Bedeutung von Familie und der eigenen Familienplanung unter Jugendlichen und Heranwachsenden: Das Zusammenleben in einer Partnerschaft mit Kindern benennen Jugendliche unabhängig von Geschlecht und Milieu als für sie relevantes Lebensziel (Calmbach et al. 2020: 32).

Und dennoch zeigen sich Unterschiede zwischen den Geschlechtern: „Die befragten Mädchen“, so konstatieren es Marc Calmbach und Katharina Debus in einer eigenständigen Erhebung auf Basis des Sinus-Lebensweltenmodells, „sind zurückhaltender mit ihren Kinderplänen als die Jungen: Sie gehen mehrheitlich davon aus, für Kinder Abstriche in anderen Lebensbereichen machen zu müssen und antizipieren daher Einschränkungen durch eine Familiengründung.“ (Calmbach/Debus 2013: 89)

Der Wunsch nach dem Leben mit Kindern in traditionellen Familienkonstellationen ist nach wie vor hoch unter Jugendlichen – und der damit verbundene Druck über die Jahre nicht geringer geworden. Ein Reden über die finanziellen und sozialen Risiken der Familiengründung, denen Mütter ungleich stärker ausgesetzt sind als Väter, findet heute Eingang in mediale Debatten. Für einen Teil der untersuchten 14 bis 17-Jährigen stellen die Autor:innen heute ein Wissen darum fest, „dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine große Herausforderung darstellt […]. Mädchen und Jungen wollen mit Kindern berufstätig sein – vor allem für die jungen Frauen ist eine gelungene Work-Life-Balance ein wichtiger Modernitätsmarker.“ (Calmbach et al. 2020: 80f.) Dem größeren Teil der Mädchen und Frauen fehle es dagegen an konkreten Vorstellungen sowie an Wissen und Kompetenzen, konkrete Lösungen rund um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in ihre Lebensplanung mit einzubeziehen (Calmbach/Debus 2013: 112).

Die autoritäre und extreme Rechte greift dies auf: Es findet seinen Ausdruck in der Selbstinszenierung von Protagonistinnen der AfD als ‚Macherinnen‘, die ‚Kinder und Karriere quasi spielerisch koordinieren‘ und gegen jede Form von Gleichstellungspolitik, Quoten etc. hetzen. Wir finden aber ebenso den rechtsnationalen Antifeminismus, der die Frau in ihrer Rolle als Mutter aufwertet und die Berufstätigkeit von Frauen als Zumutung geißelt. Autoritär und extrem rechte Gruppierungen formulieren damit Angebote an Mädchen und Frauen, den Wunsch nach Familie in die eigene Lebensplanung zu integrieren. Sie tun dies, indem sie dazu auffordern, sich den widersprüchlichen Anforderungen eines neoliberalen Antifeminismus zu widersetzen, der an die stete Leistungsbereitschaft für Beruf und Karriere appelliert und dabei den Wunsch heranwachsender Frauen (und Männer) nach der „Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben bzw. Familie“ ignoriert (Calmbach et al. 2020: 242). Oder in anderer Weise, wenn Frauen ermuntert werden, strukturelle Ungleichheiten durch die individuelle Leistung auszugleichen, statt diese zu reflektieren und zu problematisieren.

Beides gelingt umso authentischer, wenn (junge) Frauen jene Angebote formulieren und gleichzeitig als Role Models für andere Frauen dienen. Und kann insbesondere bei all jenen jungen Frauen verfangen, die nicht die Vielfalt von Lebensweisen und der Gender-Stern umtreibt, sondern Fragen rund um die Vereinbarkeit der individuellen Lebensweise mit dem Wunsch nach Familie und den Anforderungen des Arbeitsmarktes.

Fazit

Die Frage danach, wie insbesondere autoritär und extrem rechte Protagonistinnen ungleiche Lebenslagen von Mädchen und jungen Frauen adressieren, erweitert unseren Blick. Sie macht zunächst Mädchen und Frauen als politische Subjekte und eigenständige Akteurinnen sichtbar. Die Frage macht darüber hinaus Hinwendungen in die autoritäre und extreme Rechte als Angebot der Kompensation gesellschaftlicher Erfahrungen sichtbar – und verweist damit auf eine Vielfalt an möglichen Motiven, sich autoritär und extrem rechten Einstellungen und Lebenswelten zuzuwenden. Die Frage nimmt damit letztlich Bezug auf soziologische Arbeiten, welche die Sinnhaftigkeit rechter Handlungen (und Orientierungen) für die Einzelnen (Sigl 2018: 75) betonen. Die vergeschlechtlichten Angebote, wie sie von autoritär und extrem rechten Protagonistinnen hier benannt werden, antworten auf subjektive Bedürfnisse, die u. a. den ungleichen Lebenslagen und Sozialisationsverläufen von Mädchen und Jungen, von Männern und Frauen entspringen. Jene Lebenslagen mit in den Blick zu nehmen ist Voraussetzung dafür, zielgruppenspezifische Angebote der Rechtsextremismusprävention zu unterbreiten: Dies kann heißen, Angebote von Prävention und Intervention auch an den spezifischen Bedürfnissen junger Frauen auszurichten. Und damit die von rechten Protagonistinnen adressierten Problemlagen von Frauen ernst zu nehmen und gemeinsam mit jungen Frauen an Lösungsangeboten zu arbeiten.

Der Blick auf Angebote und Lebenslagen erklärt für sich stehend noch nicht, warum die jeweiligen Mädchen und Frauen sich autoritär und extrem rechten Lebenswelten auch tatsächlich zuwenden. Hierfür wäre ein milieuspezifischer Blick, der die geschlechterspezifischen Lebenslagen einzelner Milieus mit den jeweiligen Affinitäten für autoritär und extrem rechte Einstellungen in Relation setzt, eine wünschenswerte Erweiterung bisheriger Jugendmilieustudien.


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1    Das Forschungsprojekt unter Leitung von Prof. Dr. Sophie Schmitt und Dr. Marie Reusch ist angesiedelt an der Professur für Didaktik der Sozialwissenschaft an der Justus-Liebig-Universität Gießen und wird gefördert durch das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst (HMWK). Ich danke insbesondere Marie Reusch für wertvolle Debatten zum Thema des vorliegenden Beitrags.
2    Der vorliegende Beitrag diskutiert geteilte Erfahrungen von Mädchen und Frauen und all jenen, die als diese gelesen werden u. a. in Prozessen geschlechtsspezifischer Sozialisation und im Alltag. Auf das Gender-Sternchen wird im Beitrag verzichtet, gleichwohl ist anzumerken: Weder gibt es „die“ Mädchen und Frauen als in sich homogene Gruppe noch ist Geschlecht qua Geburt festgelegt, sondern Mädchen und Frauen werden zu diesen gemacht (zum Weiterlesen: Gildemeister 2010).
3    Analog zum Begriff des Rechtsextremismus verwende ich hier den Begriff der extremen Rechten als Sammelbegriff für „verschiedenartige gesellschaftliche Erscheinungsformen, die als rechtsgerichtet, undemokratisch und inhuman gelten“ (Stöss 2010: 19). Die Erweiterung um den Begriff des Autoritären trägt einem gesellschaftlichen wie auch innerhalb der extremen Rechten vollzogenen Wandel Rechnung (ausführlich: Lang 2021).
4    Zum Begriff der Moderne: Lang/Fritzsche 2018: 340.
5    Exempl.: Zeit Online vom 31.5.2016.
6    In: Der Spiegel vom 26.5.2017.
7    „AfD-Kampagnenfilm 2021: Es gibt da eine Partei, …“, veröffentlicht am 10.04.2021.
8    Internetseite der Gemeinschaft Deutscher Frauen, nicht mehr abrufbar (Privatarchiv).
9    „Marja und Franziska“, im Gespräch mit Noe (2018).
10   Petry, im Interview mit der Jungen Freiheit 35/2014.
11   von Storch, 03.07.2018.
12   Höchst, 01.03.2018.
13   Boumann-Quast 2017.
14   N.N. in ARCADI-Magazin 04/2018.

 

Literatur

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