Kleine Anfragen der AfD im Thüringer Landtag: zwischen rechten Identitätsthemen, Protestthemen-Piraterie und autoritären Gegenangriffen auf die Zivilgesellschaft und Demokratie

Im vorliegenden Beitrag werden die Ergebnisse einer Untersuchung zu den 1.268 Kleinen Anfragen der AfD-Abgeordneten während der 6. Wahlperiode des Thüringer Landtages (2014–2019) überblicksartig und zusammenfassend vorgestellt. Mithilfe der qualitativen Inhaltsanalyse wurden die Kleinen Anfragen zuerst in Themenfelder eingeordnet und anschließend in sieben Metakategorien zusammengefasst. Es lässt sich schlussfolgern, dass die AfD in der 6. Wahlperiode des Thüringer Landtages überwiegend ein fremdenfeindliches bis rassistisches Agenda-Setting betrieben hat, das in Teilen rechtsextreme und demokratiefeindliche Motive, Impulse und Tendenzen aufwies. Darüber hinaus ist durch die Untersuchung belegbar, dass die Thüringer AfD versucht hat, mithilfe der Kleinen Anfragen aus dem Parlament heraus einen autoritären Gegenangriff auf die Zivilgesellschaft und Demokratie in Thüringen durchzuführen.

Parlamentarische Aktivitäten der Partei Alternative für Deutschland (AfD) im Bundestag und in den Landesparlamenten sind vielfach wissenschaftlich untersucht worden (vgl. insb. Berzel et al. 2017 und Butterwegge et al. 2018). Einzelstudien zu den parlamentarischen Aktivitäten der AfD im Thüringer Landtag waren hingegen bisher nur Momentaufnahmen (vgl. Häusler/Roeser 2015; Berzel et al. 2017: 33; Schickert 2017). Um diese Forschungslücke teilweise zu schließen, wurden im Rahmen einer staatswissenschaftlichen Abschlussarbeit alle 1.268 Kleinen Anfragen der AfD-Abgeordneten der 6. Wahlperiode (2014–2019) im Thüringer Landtag mithilfe einer qualitativen Inhaltsanalyse (vgl. Kuckartz 2012; Mayring 2008) ausgewertet. Im Folgenden werden die wichtigsten Befunde und Interpretationen überblicksartig und zusammenfassend vorgestellt.

Warum Kleine Anfragen und was ist zu beachten?

Kleine Anfragen sind Teil des parlamentarischen Frage- und Auskunftsrechts von Mandatsträger:innen, mit denen sie Informationen von der Regierung und Ministerialverwaltung erhalten können. In Thüringen ergibt sich aus der Landesverfassung für jede:n Landtagsabgeordnete:n das Recht, Anfragen zu stellen (Art. 53 Abs. 2 der ThürVerf i. V. m. Art. 67 Abs. 1 ThürVerf). Dieses Verfassungsrecht wird bezüglich der Kleinen Anfragen in § 90 der Geschäftsordnung des Thüringer Landtages konkretisiert.
Kleine Anfragen können eingesetzt werden, um die Exekutive zu kontrollieren, um eigene Themen und Anliegen zu setzen bzw. zu repräsentieren und um Öffentlichkeit herzustellen (vgl. Siefken 2010; Hünermund 2018; VerfGH Thüringen, 22.04.2020 – VerfGH 20/19: 16ff.). Demzufolge sind sie ein Ausfluss der programmatisch-ideologischen Ausrichtung von Abgeordneten bzw. deren Fraktion bzw. deren Partei, sodass sie darüber Auskunft geben können. Der Vorteil von Kleinen Anfragen ist, dass sie im Vergleich zu anderen parlamentarischen Tätigkeiten und Instrumenten (z. B. Ausschussarbeit, Große Anfragen) weniger Fachwissen und Vorbereitung benötigen und daher einfacher und schneller geschrieben bzw. gestellt werden können.

Kleine Anfragen stellen in den Parlamenten „eine mehr oder weniger ausgeprägte Aktivität der AfD-Fraktionen dar“ (Berzel et al. 2017: 37). Zum einen ergibt sich das aus der Funktionslogik des parlamentarischen Regierungssystems: Oppositionsfraktionen wie die AfD nutzen im Vergleich zu Regierungsfraktionen wesentlich häufiger die Möglichkeit, Kleine Anfragen zu stellen.1 Zum anderen versucht die AfD mit Kleinen Anfragen, „fundamentaloppositionelle Politik“ (Schroeder/Weßels 2020: 100) zu betreiben. Aufgrund all dessen und „[a]ufgrund der Quantität bieten Kleine Anfragen [im Vergleich zu Anträgen und Initiativen der AfD] eine bessere Ausgangsbasis, um das inhaltliche Profil der parlamentarischen Aktivitäten der Fraktionen [der AfD] zu bestimmen“ (Berzel et al. 2017: 37).

Die qualitative Inhaltsanalyse gilt als die bevorzugte Methode, um diese auszuwerten (vgl. ebd; Hünermund 2018: 458). Hierbei ist mit Blick auf die parlamentarische Streit- und Debattenkultur (vgl. Jost/Maurer 2020) und im Vergleich zu anderen parlamentarischen Tätigkeiten von AfD-Abgeordneten im Thüringer Landtag (vgl. Schillig/Tutino 2021) zu beachten, dass in Kleinen Anfragen die ‚zivilere‘ Diskursseite der AfD zum Vorschein tritt. Zudem dürfen sie nicht isoliert und losgelöst von der programmatisch-ideologischen Ausrichtung und Entwicklung der Fragesteller:innen, der AfD als Gesamtpartei und deren jeweiliger Aktivitäten im und außerhalb des Parlaments analysiert werden. Deswegen gilt es bei deren inhaltsanalytischer Codierung quellenkritisch zu fragen: Was sind bzw. könnten die „Motive“ (Hünermund 2018: 458) und der „Impuls“ (Siefken 2010: 28) für die Kleinen Anfragen sein? Was kann die Komposition der Bestandteile (Titel, Vorbemerkung und Fragestellungen; was wird besonders hervorgehoben bzw. vernachlässigt) darüber verraten? Und welche Konnotation schwingt bei all dem mit bzw. welcher Eindruck entsteht bei der Codierung?

Vorstellung der wesentlichen Befunde

Die 1.268 Kleinen Anfragen der AfD wurden zuerst in induktiv generierte Kategorien eingeordnet. Berücksichtigt wurde dabei der gesamte Inhalt einer Kleinen Anfrage (Titel, Vorbemerkung und die gestellten Fragen). So konnten 54 verschiedene Themenfelder identifiziert werden. Diese wurden schließlich zu sieben Metakategorien (vgl. Tabelle 1) zusammengefasst, mit denen sich die Kleinen Anfragen in einen größeren Zusammenhang einordnen und interpretieren lassen.

Die drei wichtigsten Metakategorien bei den Kleinen Anfragen der AfD

Die erste Metakategorie fasst 338 Kleine Anfragen der AfD zusammen, aus denen Vorurteile und Ablehnung gegenüber Asyl, Migration, Geflüchtete und den Islam hervorgehen (vgl. Tabelle 2). Das war der thematische Schwerpunkt bei den Kleinen Anfragen der AfD in der 6. Wahlperiode des Thüringer Landtages. Zugleich ist diese Metakategorie (mit Ausnahme von Björn Höcke, der insgesamt nur 12 Kleine Anfragen stellte) bei allen Fraktionsmitgliedern der AfD, die nicht ausgeschlossen worden sind bzw. austraten, jeweils relativ häufig besetzt gewesen. In vielen Kleinen Anfragen dieser Metakategorie werden v. a. männliche Asylbewerber, Geflüchtete und Migranten nahezu ausschließlich, einseitig, pauschal und vorverurteilend als Problem, Belastung, Risiko, Bedrohung und Gefahr sowie als potenzielle Straftäter geframed – und damit nicht als Individuen, sondern „als Teil eines Kollektivs“ (Butterwegge et al. 2018: 73). Offenkundiger Impuls sind fremdenfeindliche bis rassistische Vorurteile und Stereotype. Die Intention dürfte sein, verschiedene negative Affekte und Ressentiments gegenüber (v. a. männlichen und minderjährigen) Geflüchteten, Asylbewerber:innen und Migrant:innen zu schüren bzw. zu bedienen (vgl. ebd: 75ff.).#
 



Tabelle 1: Absolute und relative Häufigkeit der Kleinen Anfragen der AfD pro Metakategorie



Tabelle 2: Themenfelder der Metakategorie „(Vorurteile und Ablehnung gegenüber) Asyl, Migration, Geflüchtete und Islam“; * Anzahl in Relation zu allen 1.268 Kleinen Anfragen, ** Abweichung zu Tabelle 1 wegen Rundungsfehlern

Die zweitwichtigste Metakategorie fasst 232 Kleine Anfragen der AfD zusammen, aus denen der Eindruck einer gezielten Verunsicherung über die innere Sicherheit hervorgeht (vgl. Tabelle 3): Durch einen Fokus auf (behauptete) personelle, finanzielle und strukturelle Mängel und Missstände bei der Polizei, den Gefängnissen und in der Justiz wird suggeriert, (1) dass das staatliche Gewaltmonopol und der Rechtsstaat wegen Überlastung bei gleichzeitiger Unterbesetzung quasi kurz vor dem Kollaps stehe, (2) dass die Kriminalität einzig infolge der sog. Flüchtlingskrise und des Zuzuges von Geflüchteten deutlich ansteigen würde bzw. angestiegen sei, und (3) dass die Landesregierung falsche Prioritäten setze und die Bevölkerung nicht mehr effektiv schützen könne. Dadurch sei die Sicherheit der Bürger:innen bereits in der Gegenwart stark in Gefahr und sie verschlechtere sich ohne ein ‚korrektes‘ politisches Gegensteuern weiter. All das baut ein Gefühl der Angst auf bzw. verringert das Sicherheitsgefühl unabhängig von der tatsächlichen Sicherheitslage.



Tabelle 3: Themenfelder der Metakategorie „(Verunsicherung über) Innere Sicherheit“; * Anzahl in Relation zu allen 1.268 Kleinen Anfragen, ** Abweichung zu Tabelle 1 wegen Rundungsfehlern

Die beiden ersten Metakategorien sind relativ eng miteinander verknüpft, denn sie deuten an, wie die vermeintlich verringerte Sicherheit nach Auffassung der AfD wiederhergestellt werden könne: Geflüchtete, Nicht-Deutsche etc. stärker bestrafen, schneller abschieben oder gar nicht erst ins Land lassen. Diese komplexitätsreduzierende Problemsicht auf Kriminalität und Sicherheit lassen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus deutlich zutage treten. So kann die von der gesamten AfD systematisch betriebene (vgl. Hestermann/Hoven 2019) „Überdramatisierung und Verzerrung der tatsächlichen Lage der inneren Sicherheit in Verbindung mit einer einseitigen, hetzerischen Fokussierung auf Ausländerkriminalität […] dem Aufbau von Angst und Vorurteilen gegenüber“ den als Feindbild markierten „Gruppen Vorschub leisten und im Extremfall gar zur Selbstjustiz motivieren“ (Beelmann et al. 2020: 23).

Die dritte Metakategorie fasst 101 Kleine Anfragen zusammen, in denen die AfD-Fragesteller:innen versucht haben, zivilgesellschaftliche und wissenschaftliche Akteur:innen und Projekte, die häufig vom Staat finanziert bzw. gefördert worden sind, einzuschüchtern, zu diskreditieren, zu delegitimieren und zu kriminalisieren (vgl. Tabelle 4). Sie wurden zum Ziel solcher Kleinen Anfragen, (1) wenn sie eine kritische Haltung gegenüber der AfD (z. B. gegenüber Personen, der Programmatik oder Ideologie) einnahmen, (2) wenn sie durch ihre pädagogische Arbeit bzw. durch die Vermittlung von liberal-demokratischen Werten „Widerstand gegen die angestrebte rechte Diskursverschiebung“ (Butterwegge et al. 2018: 86) der AfD geleistet haben und/oder (3) wenn sie Akzeptanz gegenüber nicht-heterosexuellen Menschen und deren Lebensweise fördern bzw. Diskriminierung dagegen abbauen wollten. Häufig betraf dies Akteur:innen und Projekte, die vom „Thüringer Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit“ finanziert bzw. gefördert wurden. Die Kleinen Anfragen der AfD konstruieren dabei abwegige Vorwürfe (z. B. Verdächtigung der Nähe zum „Linksextremismus“) und stellen z. T. antiliberale, Grundrechte einschränkende bis demokratiefeindliche Forderungen (z. B. dass zugunsten der AfD in die Meinungs-, Versammlungs- und Wissenschaftsfreiheit anderer eingegriffen werden solle). Gerade Letzteres offenbart die instrumentell-strategische Einstellung der Thüringer AfD gegenüber den Grundrechten. Insgesamt können die Kleinen Anfragen in dieser Metakategorie so interpretiert werden, dass die AfD aus dem Parlament heraus einen autoritären Gegenangriff auf die Zivilgesellschaft und besonders auf die zivilgesellschaftliche Demokratieförderung führte – und damit stellvertretend einen Angriff auf die Verbreitung liberal-demokratischer Grundwerte.



Tabelle 4: Themenfelder der Metakategorie „Einschüchterung von Zivilgesellschaft und autoritärer Gegenangriff“; * Anzahl in Relation zu allen 1.268 Kleine Anfragen

Weitere Metakategorien bei den Kleinen Anfragen der AfD

Die vierte Metakategorie fasst 112 Kleine Anfragen der AfD zum politischen Extremismus zusammen (vgl. Tabelle 5). Der Schwerpunkt lag auf den Themenfeldern Linksextremismus und Islamismus. Die Kleinen Anfragen zum „Linksextremismus“ dienten der Beobachtung des politischen Gegners, der Informationsbeschaffung und der Diskreditierung von Akteur:innen und Aktionen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren (vgl. Metakategorie 3). All das ist als „Teil einer metapolitischen Strategie zur Diskursverschiebung politkultureller Grenzen“ (Hensel 2020: 275) zu verstehen, um Rechtsextremismus zu verharmlosen (vgl. Schickert 2017: 17ff.). Exemplarisch dafür ist die Kleine Anfrage 6/3396 von Olaf Kießling: Darin machte er sich entweder wider besseres Wissens oder unwissentlich zum politischen Anwalt der neurechten, ethnopluralistisch-identitären Musikgruppe Les Brigandes. Davon abgesehen offenbaren die Kleinen Anfragen der AfD im Vergleich zu den Anfragen der parlamentarischen Expert:innen anderer Landtagsfraktionen in diesem Bereich, von denen die AfD auffällig Fragen und Formulierungen plagiiert hat, kein erkennbar systematisches, sondern eher ein symbolisch-instrumentelles Interesse am Themenkomplex.



Tabelle 5: Themenfelder der Metakategorie „Politischer Extremismus“; * Anzahl in Relation zu allen 1.268 Kleinen Anfragen, ** Abweichung zu Tabelle 1 wegen Rundungsfehlern

Die fünfte Metakategorie fasst 47 Kleine Anfragen der AfD zusammen, in denen die Fragesteller:innen einseitig Negativseiten, Belastungen, Folgekosten und Probleme beim Ausbau von Windkraft- und Photovoltaikanlagen in Thüringen hervorgehoben haben (vgl. Tabelle 6) – ohne ein Wort darüber zu verlieren, warum dieser Ausbau im Rahmen der Energie- und Klimapolitik und vor dem Hintergrund des anthropogenen Anteils am Klimawandel sinnvoll bis notwendig ist. Im Gegenteil werden der Tier-, Natur- und Umweltschutz gegen die Windkraft- und Solaranlagen vorgeschoben. Die Motive dahinter dürften sein, von der fragwürdigen Faktenbasis der eigenen klimawandelskeptischen bis -leugnenden Positionen abzulenken, die Akzeptanz für den Ausbau der erneuerbaren Energietechniken zu senken und gezielt Verwirrung, Unsicherheit oder Skepsis zu streuen.



Tabelle 6: Themenfelder der Metakategorie „(Negativseiten und Probleme der) Energie- und Klimapolitik“; * Anzahl in Relation zu allen 1.268 Kleinen Anfragen, ** Abweichung zu Tabelle 1 wegen Rundungsfehlern

Die sechste Metakategorie ist eine Sammelkategorie für 334 Kleine Anfragen der AfD zu weiteren policybezogenen Themenfeldern (vgl. Tabelle 7). Sie dokumentiert vor allem eines: Abseits der Kernthemen Asyl, Migration und innere Sicherheit (vgl. Metakategorie 1 und 2) hat die AfD mithilfe der Kleinen Anfragen kein weiteres Themenfeld systematisch oder durchgängig bearbeitet. Kleine Anfragen zur Schul- und Familienpolitik sind zwar ein Schwerpunkt innerhalb dieser Metakategorie, allerdings nahmen sie nach 2017 deutlich ab. Dafür erhielten andere Bereiche mehr Aufmerksamkeit, die v. a. als Protest- und Wahlkampfthemen besetzt werden konnten (z. B. jagdbezogene Themenfelder). Außerdem wurden in Kleinen Anfragen zur Schul-, Familien- und Sozialpolitik häufig negative Zusammenhänge mit nicht deutscher Nationalität bzw. mit Asyl und Migration hergestellt. Diese um die Nationalität und Ethnie aufgeladenen Thematisierungen können Sozialneid und fremdenfeindliche Vorurteile gegen Geflüchtete, Migrant:innen und Asylbewerber:innen aufbauen und instrumentalisieren. Zudem müssen sie vor o. g. fremdenfeindlichen bis rassistischen Impulsen der Metakategorie 1 und 2 sowie vor dem Hintergrund der zunehmenden völkisch-nationalen Radikalisierung des Thüringer Landesverbandes in der 6. Wahlperiode verstanden, eingeordnet und interpretiert werden.



Tabelle 7: Themenfelder der Metakategorie „Weitere policy-Themenfelder“; * Anzahl in Relation zu allen 1.268 Kleinen Anfragen, ** Abweichung zu Tabelle 1 wegen Rundungsfehlern

Die siebte Metakategorie fasst zwei Gruppen von Kleinen Anfragen der AfD zusammen (vgl. Tabelle 8): Die erste Gruppe betrifft Kleine Anfragen, die Vorhaben und Aktivitäten der Exekutive zum Thema haben. Sie entsprechen in der Tendenz einer klassischen Regierungskontrolle durch die Opposition. Die zweite Gruppe betrifft Kleine Anfragen zu Infektionskrankheiten und sonstigen Themenkategorien, die nur ein bis zwei Mal codiert worden sind und in keines der anderen Themenfelder sinnvoll eingeordnet werden konnten (z. B. zur Digitalisierung, Gentechnik, Kryptowährung, Barrierefreiheit).

Egal, ob es um Migration, innere Sicherheit, Sozial- oder Schulpolitik geht: In den Kleinen Anfragen der AfD spiegeln sich sehr häufig und wiederholt fremdenfeindliche bis rassistische Motive wider.



Tabelle 8: Themenfelder der Metakategorie „Exekutive und Sonstiges“; * Anzahl in Relation zu allen 1.268 Kleinen Anfragen

Sonderauswertungen

Nach der inhaltsanalytischen Auswertung wurden die Kleinen Anfragen und Metakategorien gesondert pro Zeiteinheit sowie pro Fraktionsmitglied ausgewertet. Hierbei zeigte sich u. a., dass vor allem der Abgeordnete Stephan Brandner eine selektive, auf kriminelle Geflüchtete etc. verengte Realitätswahrnehmung bzw. Filterung zu haben scheint, die er mit seinen Kleinen Anfragen unablässig zu bestätigen suchte. Hierbei deutete sich eine regelrechte Verzerrung des politischen Tagesgeschehens durch Brandner an, wie sie zur Erzeugung und Propagierung eines rechtsextremen Weltbildes üblich ist (vgl. Wegener 2020). Darüber hinaus wurden die neun Kleinen Anfragen im Themenfeld „Infektionskrankheiten“ explorativ ausgewertet. Der Eindruck, dass mit diesen Kleinen Anfragen relativ unverblümt versucht wurde, Asylbewerber:innen als Überträger und Verursacher neuer Ausbrüche von Infektionskrankheiten in Thüringen zu markieren (vgl. insb. die Fragen 6 und 8 in der Kleinen Anfrage 6/447), hat sich dabei erhärtet: In Reaktionen und Äußerungen auf Antworten der Landesregierung auf Kleine Anfragen betreffend „Infektionskrankheiten“ kommunizierte die AfD u. a. in verkürzter Art und Weise sowie unter Unterschlagung wesentlicher Informationen einen kausalen Zusammenhang zwischen der Zunahme der Asylbewerber:innen und der Zunahme von Infektionskrankheiten in Thüringen.

Asylbewerber:innen wurden dabei undifferenziert und pauschal als „Gefahr“ für die ‚Reinheit‘ der „Volksgesundheit“ (Björn Höcke3) der vermeintlich autochthonen Bevölkerung dargestellt. Sie wurden nicht als Individuen bzw. Menschen beschrieben, sondern auf das Bild als ‚volksgefährliche‘ Krankheitserreger bzw. „Seuchengefahr“ (Corinna Herold in einer Pressemitteilung der AfD-Fraktion 2016) reduziert. Auf diese Weise werden sie abgewertet, denunziert, entmenschlicht sowie zu Tätern gegenüber ‚dem‘ deutschen Volk und zu Feinden ‚des‘ deutschen Volkes konstruiert. Solch eine biologistische Konstruktion von Volksfeinden ist fremdenfeindlich (vgl. Erb/Kohlstruck 2016; Pfahl-Traughber 2019: 300f.) und bedient rassistische Stereotype (vgl. Kemper 2016: 59ff.). Das beides und die gezielte Abwertung von asylsuchenden Menschen sind jeweils Teil des Syndroms der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (vgl. Berghan et al. 2019: 59ff.). Die jeweils dahinter stehende Entmenschlichung, Feindmarkierung und Ausgrenzung ist eine Vorstufe für totalitäre Vernichtungsideologien. All diese Punkte sind Elemente des Rechtsextremismus (vgl. Backes 2018: 112ff.; Pfahl-Traughber 2019: 29ff.).

Die explorative Sonderauswertung hat zudem noch einmal gezeigt: Je ‚inziviler‘ das Kommunikationsmedium bzw. der Kommunikationsweg (hier am Beispiel von Pressemitteilung, Äußerung gegenüber einer Zeitung, Rede auf einer Demonstration), desto klarer tritt die fremdenfeindliche bis rassistische Abwertung von Geflüchteten usw. bei der Thüringer AfD hervor.

Mit Kleinen Anfragen gegen ‚Fremde‘, die Zivilgesellschaft und die Demokratie

Aus der inhaltsanalytischen Auswertung aller 1.268 Kleinen Anfragen lässt sich schlussfolgern: Die AfD hat in der 6. Wahlperiode des Thüringer Landtages überwiegend ein fremdenfeindliches bis rassistisches Agenda-Setting betrieben, das rechtsextreme und demokratiefeindliche Motive, Impulse und Tendenzen aufwies. Inhaltlich haben die AfD-Abgeordneten hauptsächlich auf „rechte Identitätsthemen“ (Butterwegge et al. 2018: 60) (Asyl, Migration, Kriminalität, Linksextremismus) und instrumentalisierbare Protestthemen gesetzt (z. B. bei Jagdthemen, Anti-Windkraft). Gesellschaftliche und soziale Probleme und Konflikte wurden in den Kleinen Anfragen häufig auf die Frage der Ethnie und Nationalität reduziert. Darüber können Angst und Vorurteile gegenüber Nicht-Deutschen, Geflüchteten usw. aufgebaut und geschürt werden. Die insbesondere bei Stephan Brandners Kleinen Anfragen hervorgetretene enge Verknüpfung zwischen den ersten drei Metakategorien (zur Migration etc., inneren Sicherheit etc. und gegen die Zivilgesellschaft etc.) sind ein Zeichen für den „autoritären Konstitutionalismus“ (Dömming/Pichl 2020), d. h. für eine autoritäre Umdeutung des Rechtsstaates und der Grundrechte bei der AfD. Grund- und Freiheitsrechte von ‚Fremden‘ – die pauschal und vorverurteilend u. a. als Kriminelle, Bedrohung und Krankheitserreger verdächtigt, denunziert und dadurch assoziativ in Feindbilder verwandelt werden – und marginalisierten Gruppen werden nicht als Abwehrrechte gegen den Staat und als Minderheitenschutz gesehen, sondern relativiert bis angegriffen. „An die Stelle von Individualschutz tritt Volksschutz“ für die vermeintlich autochthone Bevölkerung (ebd.: 304). Zudem sollen zivilgesellschaftliche Handlungsmöglichkeiten beschränkt werden, wenn sie „Widerstand gegen die angestrebte rechte Diskursverschiebung“ (Butterwegge et al. 2018: 86) der AfD leisten.

Die in den Metakategorien inhaltsanalytisch identifizierten Schwerpunkte und daraus abgeleiteten Deutungen lassen sich vielfach in anderen Studien über die parlamentarischen Aktivitäten der AfD wiederfinden, in denen u. a. die Kleinen Anfragen ausgewertet wurden. Ein wichtiger Erkenntnisgewinn der Studie geht aus der Überprüfung der sog. korrelativen Gültigkeit (vgl. Mayring 2008: 112f.) mit den Befunden in Berzel et al. (2017: 37ff., insb. 39) hervor: Die Metakategorie über die „Einschüchterung von Zivilgesellschaft und autoritärer Gegenangriff“ hat eben diesen Angriff der Thüringer AfD-Fraktion aus dem Parlament gegen die Zivilgesellschaft und Demokratie expliziter herausgearbeitet und benannt als beispielsweise Butterwegge et al. (2018: 94ff.). Dieser Gegenangriff der Landtagsfraktion der AfD in Thüringen ist kein Einzelfall, sondern Teil der programmatisch-strategischen Gesamtausrichtung der Partei (vgl. Hafeneger et al. 2020). Zudem schärft diese Metakategorie das Bewusstsein dafür, die AfD in Thüringen nicht nur auf ihren fremdenfeindlichen bis rassistischen Markenkern, ihren rechtspopulistischen Politikstil und auf ihre personellen und ideologischen Verbindungen zum Rechtsextremismus zu reduzieren. Vielmehr sind bei ihren parlamentarischen Aktivitäten auch Gefährdungspotenziale für und Angriffe auf die Zivilgesellschaft und Demokratie wahrzunehmen, zu thematisieren und zu problematisieren, denn der AfD geht es langfristig um einen autoritären, illiberalen Wandel und Umbau der politischen Kultur, Gesellschaft und Struktur. Auf diesem Weg werden nicht nur ‚Fremde‘ als Feindbild der AfD markiert. Die Auswertung der Kleinen Anfragen zeigt: Die AfD vertritt einen radikal rechten, autoritären Konstitutionalismus, der sich gegen ‚Fremde‘, Minderheiten, die Zivilgesellschaft und die liberalen Werte der Demokratie richtet.


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1    Die AfD-Abgeordneten stellten in der 6. Wahlperiode des Thüringer Landtages 1.268 der insgesamt 4.160 Kleinen Anfragen (ca. 30,5 Prozent). Nur die CDU-Fraktion stellte noch mehr – allerdings gehörten ihr auch wesentlich mehr Abgeordnete an. Die Fraktionen der Regierungskoalition stellten zusammen 1.052 Kleine Anfragen.
2   Darunter fallen Kleine Anfragen, die mehr als einer einzelnen Kategorie des politischen Extremismus und nicht allein in die Kategorie „Links- und Rechtsextremismus“ zugeordnet werden konnten. In dieser Sammelkategorie sind unabhängig von ihrer jeweiligen Kombination folgende Kategorien enthalten: Islamismus 9x; Linksextremismus 7x; Rechtsextremismus 5x; Ausländerkriminalität 4x.

3    „Björn Höcke: Rede zur Demonstration in Erfurt am 23. September 2015“ war im Juni 2021 noch unter www.afd-thueringen.de/reden/ dokumentiert. Im Oktober 2021 existiert die Seite nicht mehr (Fehler 404).

 

Literatur

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