Anfeindungen gegen kommunalpolitische Amtsträger*innen und Beschäftigte in der Kommunalverwaltung: Ergebnisse einer Befragung in Thüringen

Bedrohungen, Einschüchterungsversuche und Angriffe auf Kommunalpolitiker*innen sind in jüngster Vergangenheit zunehmend in das öffentliche Bewusstsein gerückt. Das Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft hat im Sommer 2022 die erste Befragung in Thüringen zu den Erfahrungen mit Anfeindungen und Angriffen in der Kommunalpolitik durchgeführt. Dabei wurden explizit auch Beschäftigte in den Kommunalverwaltungen in die Befragung mit einbezogen. Der vorliegende Beitrag stellt erste Ergebnisse der Befragung vor. Sie zeigen: Vor allem verbale und schriftliche Beleidigungen und Bedrohungen gehören für viele Amtsträger*innen und Verwaltungsangestellte zum Arbeitsalltag. Seit Beginn der Corona-Pandemie wird zudem eine Zunahme an Anfeindungen beobachtet. Viele Befragte wünschen sich folglich u. a. eine effektivere Strafverfolgung und bessere Beratungsangebote.

Einleitung1

Bedrohungen, Einschüchterungsversuche und Angriffe gegen Kommunalpolitiker*innen sind in jüngster Vergangenheit zunehmend in das öffentliche Bewusstsein gerückt. An sich ist dieses Phänomen kein Neues. Doch besonders im Kontext der zunehmenden Verrohung öffentlicher Diskurse sowie steigendender Protestaktivitäten gegen Asylpolitik, staatliche Pandemiebekämpfungsmaßnahmen oder zuletzt in der Energiekrise spiegeln diese Anfeindungen die zunehmende Unzivilität eines aggressiven ‚Wutbürgertums‘ (Speit 2019). Die Schwelle für persönliche Beleidigungen oder gar Gewalt gegenüber jenen Verantwortungsträger*innen, die als Repräsentant*innen des ‚Systems‘ wahrgenommen werden, scheint gesunken zu sein. Dazu zählen neben Amtsträger*innen wie Bürgermeister*innen auch Beschäftigte in den Kommunalverwaltungen, die politische Entscheidungen vor Ort um- und durchsetzen müssen. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, die zunehmende Aggressivität systematisch sichtbar zu machen, um ihr entgegenzuwirken und Betroffene zu schützen.

Vor allem in den sozialen Medien haben Anfeindungen gegenüber den Vorjahren zugenommen. Es sind längst nicht mehr ausschließlich anonym agierende Personen, sondern auch ganz offen mit ihren Klarnamen auftretende Personen, die u. a. Politiker*innen zur Zielscheibe ihrer drastischen ‚Kritik‘ oder ihres blanken Hasses erkoren haben. Populistischer Hass auf Politik(-er*innen), welcher das Maß einer ‚Unzufriedenheit mit politischen Entscheidungen‘ überschreitet und sich nicht mehr nur in legitimen und demokratischen Protestformen äußert, richtet sich gegen ‚die Eliten‘, gegen ‚die da oben‘ (Müller 2016). Doch bei Amtsträger*innen auf kommunalpolitischer Ebene bzw. Angestellten der Kommunalverwaltungen ist die Unterscheidung zwischen ‚oben‘ und ‚unten‘, zwischen dem Staat auf der einen Seite und den Bürger*innen auf der anderen, nur schwer aufrechtzuerhalten: Gerade in kleinen Kommunen im ländlichen Raum sind es vor allem ortsansässige Ehrenamtliche, Bürger*innen und Nachbar*innen, die für ihr Gemeinwesen und die zentralen Aufgaben der Daseinsvorsorge Verantwortung übernehmen.

Bundesweit liegen mittlerweile mehrere Befragungen zu den Erfahrungen mit Anfeindungen von politischen Amtsträger*innen vor (u. a. Alin et al. 2021; Erhardt 2021; Frevel et al. 2019; s. auch Beitrag Imbusch/Steg in diesem Band). In einer bundesweiten Studie im April 2021 gaben 57 % der bundesweit 1.641 befragten Bürgermeister*innen an, im Rahmen ihrer Tätigkeit mindestens einmal Beleidigungen, Bedrohungen oder tätlichen Angriffen ausgesetzt gewesen zu sein (forsa 2021). In 14 % der Fälle richteten sich die Anfeindungen auch gegen Familienmitglieder. Eine Studie in Hessen zeigte im gleichen Jahr, dass fast 8 % der 422 befragten Bürgermeister*innen körperliche Gewalterfahrungen gemacht hatten und fast 11 % Todesdrohungen erhielten (Bannenberg et al. 2021, 6).

Um auch in Thüringen einen umfassenderen Blick zu erhalten, inwieweit Personen in der Kommunalpolitik, aber auch deren Mitarbeiter*innen in den Kommunalverwaltungen, von Bedrohungen, Einschüchterungsversuchen und Angriffen betroffen sind, wurde im Sommer 2022 eine Online-Befragung unter haupt- und ehrenamtlichen kommunalpolitischen Amtsträger*innen sowie Beschäftigten in Kommunalverwaltungen durchgeführt. Leitfadengestützte Interviews ergänzen die Befragung. Von Interesse waren nicht nur Art und Kontexte der Anfeindungen, sondern auch ihre Auswirkungen und die Reaktionen der Betroffenen. Zusätzlich wurden der Unterstützungsbedarf und die Vorstellungen der Befragungsteilnehmer*innen erfasst, welche politischen und gesellschaftlichen Strategien gegen Angriffe auf Kommunalpolitiker*innen und Verwaltungsmitarbeitende notwendig sind. Der vorliegende Beitrag stellt erste Ergebnisse der Untersuchung vor.

Methodisches Vorgehen und Stichprobe

Die Studie basierte auf einer standardisierten quantitativen Onlinebefragung. Der Onlinefragebogen wurde in Anknüpfung an die Ergebnisse der o. g. Studien von Bannenberg, Pfeifer und Erb (2021) und forsa (2021) konzipiert und mit einigen Fragen ergänzt und an die Landkreise, Städte und Gemeinden Thüringens versendet.

Es nahmen 129 Personen an der Befragung teil. Die Mehrheit der Befragten ist männlich (63 %) und hauptamtlich tätig (78 %). In Hinblick auf die Funktion der Teilnehmer*innen sind 71 haupt- und ehrenamtliche kommunalpolitische Amtsträger*innen (z. B. Bürgermeister*innen, Landrät*innen; 55 %) sowie 57 Beschäftigte in den Kommunalverwaltungen (z. B. Amtsleiter*innen, Sachbearbeiter*innen; 44 %) vertreten2. Alle Altersgruppen – von den 18- bis 25-Jährigen bis zu den über 66-Jährigen – sind vertreten; die größte Gruppe unter den Befragten ist 56 bis 65 Jahre alt. Die Dauer der Amts- bzw. Funktionsausübung der Studienteilnehmer*innen variiert: 38 % der Befragten sind seit 1 bis 5 Jahren in ihrer Funktion tätig, genauso viele bereits seit über 10 Jahren. An der Befragung nahmen Personen aus sämtlichen Gemeindegrößen teil – von Orten mit unter 1.000 bis hin zu Städten mit über 100.000 Einwohner*innen3. Zusätzlich zur quantitativen Befragung wurden zwei leitfadengestützte Interviews mit Beschäftigten in der Kommunalverwaltung geführt. In den Interviews konnten Aspekte der quantitativen Befragung vertieft und konkrete Fälle von Anfeindungen, deren Auswirkungen auf die Betroffenen sowie ihr Umgang damit thematisiert werden.

Gegliedert nach den Forschungsfragen der Studie werden im Folgenden zentrale Ergebnisse dargestellt.

Anfeindungen in Thüringen: eine Bestandsaufnahme

Da dies die erste Befragung zu Anfeindungen in der Kommunalpolitik und -verwaltung Thüringens ist, gibt es für das Bundesland bisher noch keine Daten zu Arten und Kontexten von erlebten Anfeindungen und Angriffen. Die Studienteilnehmer*innen wurden somit zunächst zu ihren Erfahrungen mit Anfeindungen auf sich selbst sowie auf Mitarbeiter*innen und Familienmitglieder befragt.

Werden Anfeindungen erlebt und wenn ja, in welcher Form?

In der Onlinebefragung gaben 73 der 129 Studienteilnehmer*innen an, in den letzten 5 Jahren Anfeindungen erlebt zu haben (s. Abb. 1). Über die Hälfte der Studienteilnehmer*innen (57 %) hat also bereits Erfahrungen mit Beleidigungen, Bedrohungen, Sachbeschädigungen oder sogar körperlicher Gewalt in Zusammenhang mit ihrer Arbeit gemacht. Besonders betroffen sind hauptamtlich Beschäftigte. Zudem zeigen sich Unterschiede nach Gemeindegröße: So erleben deutlich mehr Befragte aus Groß- und Mittelstädten Anfeindungen als Personen, die in kleineren Städten arbeiten. Kein Unterschied zeigt sich hingegen in Bezug auf das Geschlecht der Befragten.

Abbildung 1: Anfeindungs- und Angriffserfahrungen4

Die am häufigsten erlebte Form der Anfeindung sind verbale oder schriftliche Beleidigungen (s. Abb. 2). Alle 73 Personen gaben an, dass sie schon mindestens einmal über einen der abgefragten Wege (E-Mail, Brief, Telefon, digitale Netzwerke/Plattformen, persönlich) beleidigt wurden. Am zweithäufigsten wurden Bedrohungen erlebt, gefolgt von Sachbeschädigungen von Arbeits- oder Privateigentum. 15 % dieser Teilstichprobe gaben an, sehr selten oder selten körperlich angegriffen worden zu sein.

Abbildung 2: Anfeindungs- oder Angriffserfahrungen unter den Betroffenen nach Art

Die Befragten wurden gebeten, konkrete Situationen zu beschreiben, die sie erlebt hatten. Besonders oft beschrieben sie E-Mails und Briefe mit beleidigenden und/oder bedrohenden Inhalten, die verschiedene Studienteilnehmer*innen „fast täglich“ erlebten und die als „Alltag“ wahrgenommen wurden. Darüber hinaus berichteten einzelne Befragte von Sachbeschädigungen, z. B. „Unterhaltschuldner, die bei Vorsprachen im Büro Mobiliar umherwerfen und Türen schmeißen“, und sehr selten auch von körperlichen Angriffen. Vor allem Personen, die in der Eingriffsverwaltung arbeiten, also häufig Kontrollen und Maßnahmen bei Betrieben und Privathaushalten vor Ort durchführen (z. B. Kinder- und Jugendschutz, Tierschutz, Lebensmittelüberwachung), erleben im Kontext ihrer Arbeit immer wieder (versuchte) Handgreiflichkeiten oder Angriffe mit Gegenständen oder Waffen. Beispielsweise schilderte ein Interviewpartner einen Fall, in dem ein Mitarbeiter „in den Schwitzkasten genommen“ wurde.

Erleben die Befragten Anfeindungen gegenüber Mitarbeiter*innen oder in ihrem privaten Umfeld?

Über die Hälfte der Befragten (61 %, n = 124) berichtete, in den letzten fünf Jahren mindestens einmal Anfeindungen gegenüber Arbeitskolleg*innen mitbekommen zu haben. Darunter finden sich alle bereits beschriebenen Formen von Beleidigungen, Bedrohungen und Sachbeschädigungen bis hin zu (sehr seltenen) körperlichen Angriffen. So schrieb eine Person, dass „Mitarbeitende ständig persönlich und am Telefon beleidigt [werden]“. Während die meisten Situationsbeschreibungen verbale Anfeindungen beinhalteten, wurden auch einzelne Fälle von körperlicher Gewalt genannt, z. B. ein „Angriff mit Stichwaffe (Machete)“.

Deutlich weniger, aber immerhin 9 Studienteilnehmer*innen schilderten, dass sich die Anfeindungen auf ihr Privatumfeld ausweiten. So wurden zum Beispiel Familienmitglieder in der Öffentlichkeit abwertend oder beleidigend auf die Tätigkeit der Befragten angesprochen. Zudem haben die Anfeindungen indirekte Konsequenzen für das private Umfeld, wie eine Person ausführte: „Familienangehörige lasen Kommentare auf öffentlich einsehbaren Kommentarspalten, mit denen ich auch persönlich bedroht wurde. Dies erzeugt auch (vielleicht eher: vor allem) ein Bedrohungsgefühl bei den Familienangehörigen.“ Auch die Interviewpartner*innen berichteten von der Belastung des Privatumfelds infolge ihrer Anfeindungserfahrungen.

Werden Anfeindungen als Herausforderung in der Arbeit wahrgenommen?

Nichtsdestotrotz zeigt die Befragung, dass nicht alle Studienteilnehmer*innen Anfeindungen als eine bzw. die zentrale Problemlage in ihrem Arbeitskontext wahrnehmen. Gefragt nach den generellen Herausforderungen in der Ausübung ihrer Tätigkeit, nannte deutlich mehr als die Hälfte der Befragten Aspekte wie Bürokratie, Arbeitsbelastung und die kommunale Finanzlage (s. Abb. 3). Dagegen führte ca. ein Drittel (30 %) aller Befragten persönliche Beleidigungen, Anfeindungen und Angriffe als eine Herausforderung an. Dabei nahmen weibliche Befragte Anfeindungen häufiger (36 %) als Problem in der Ausübung ihrer Arbeit wahr als ihre männlichen Kollegen (25 %).

Abbildung 3: „Persönliche Beleidigungen, Anfeindungen, Angriffe“ im Kontext anderer Herausforderungen bei der Amtsausübung5

Motive und Anlässe von Anfeindungen

Betroffene nahmen multiple und vielfältige Motive hinter den erlebten Angriffen wahr (siehe Abb. 4). Auffällig ist, dass die Unzufriedenheit mit politischen Entscheidungen und Maßnahmen auf höheren politischen Ebenen (Landes- und Bundesebene), insbesondere im Kontext der Corona-Pandemie, am häufigsten als Motiv hinter den Anfeindungen vermutet wurde. Im Gegensatz dazu wurde die Unzufriedenheit mit der konkreten Arbeit der angefeindeten Person nur selten angegeben.

Abbildung 4: Vermutete Motive hinter den Anfeindungen

Von wem gehen die Anfeindungen aus?

In den Situationsbeschreibungen der Teilnehmenden zeigt sich, dass die meisten Anfeindungen (soweit nachvollziehbar) nicht aus organisierten politischen bzw. interessensgeleiteten Gruppen, Szenen oder Bewegungen kommen. Viele Anfeindungen finden im Kontext von alltäglichen Kontrollen und Maßnahmen (z. B. Verkehrsüberwachung, Tierschutz, illegale Baustellen) statt. Eine Interviewpartnerin (Mitarbeiterin einer Kommunalverwaltung) erklärte das sprichwörtlich: „Der, der schlechte Nachrichten überbringt, wird sowieso immer hingerichtet.“ Da sie in ihrer Tätigkeit meistens mit der Durchsetzung von Maßnahmen, z. B. durch die Anordnung von Bußgeldern und Hausbesuche, betraut ist, werde ihr oft mit einer ablehnenden Haltung begegnet, die schnell in feindliches und aggressives Verhalten umschlagen könne.

In Bezug auf organisierte politische bzw. interessensgeleitete Gruppen wurden insbesondere die sogenannten Reichsbürger*innen in den offenen Beschreibungen der Angriffe 9 Mal explizit genannt. Der Begriff ‚Reichsbürger‘ ist eine Sammelbezeichnung, die Mitglieder mehrerer, heterogener rechtsextremer und verschwörungsideologischer Gruppen umfasst. Gemeinsam ist ihnen die Ablehnung der staatlichen Strukturen der Bundesrepublik Deutschland, gemischt und unterfüttert mit einem antisemitischen und menschenfeindlichen Weltbild (für einen Überblick siehe Rathje 2021). Folglich sprechen diese Gruppen gerade auch der Kommunalpolitik und -verwaltung ihre Legitimität ab. Studienteilnehmer*innen berichteten von systematischen schriftlichen und verbalen Drohungen sowie finanziellen Nötigungen durch die sogenannte Malta-Masche6. In einem weiteren Fall beschrieb eine Person, wie sie und ein Mitarbeiter „[im] Rahmen der persönlichen Zustellung einer Nutzungsuntersagung für ein beabsichtigtes Rechtsrockkonzert [...] verbal bedroht mit Konsequenzen angesichts des behördlichen Tuns“ wurden. Eine andere Person berichtete von einem konkreten antisemitischen Vorfall im Rahmen einer Demonstration: „Als kurz nach Beginn des russisch/ukrainischen Krieges das Rathaus in ukrainischen Farben angeleuchtet wurde, wurde ich von Demonstranten vorm Rathaus als ‚Zionistenschwein‘ beschimpft.“ Auch wenn die Beispiele in unserer Befragung Einzelfälle darstellen, so zeigen sie doch deutlich die Bedrohungslage, der sowohl Verwaltungsangestellte als auch Kommunalpolitiker*innen bei Positionierungen gegen antidemokratische Kräfte ausgesetzt sind.

Wie sehen Anfeindungserfahrungen im Kontext der Corona-Pandemie aus?

Seit Beginn der Corona-Pandemie im Jahr 2020 gibt es immer wieder mediale Meldungen von Anfeindungen gegenüber politischen Vertreter*innen und Behördenmitarbeiter*innen im Zuge der Beschließung und Umsetzung der Infektionsschutzmaßnahmen (z. B. Süddeutsche Zeitung 2021, tagesschau.de 2021).

In der vorliegenden Studie berichtete über die Hälfte der Befragten, die Anfeindungen erlebt haben, von einer Zunahme an Anfeindungen seit Beginn der Corona-Pandemie (s. Abb. 5). Vor allem diejenigen beobachteten eine Zunahme, die „Unzufriedenheit mit der Corona-Politik“ als ein Motiv hinter den Anfeindungen auf sie vermuteten. Auch in den konkreten Beschreibungen von Vorfällen findet sich dieser Aspekt wieder. Beispielsweise schilderte eine Person, „[vor] allem im Zusammenhang mit den Coronamaßnahmen häufig Beleidigungen (auf Social Media sehr häufig, per Email und telefonisch gelegentlich) gegenüber Sekretariat, Referenten, Pressestelle, Gesundheitsamt, Rechtsamt“ mitbekommen zu haben, „die sich aber nur auf Social Media, und auch dort nur sehr selten, zur Bedrohung zuspitzen.“

Abbildung 5: Veränderung der Häufigkeit von Anfeindungen seit Beginn der Corona-Pandemie

Dabei wurden coronapolitikbezogene Anfeindungen nicht nur in Reaktion auf die konkrete Arbeitspraxis (z. B. Durchsetzung der Infektionsschutzmaßnahmen) beschrieben, sondern auch im Rahmen von organisierten Protesten. Beispielsweise berichtete eine Person von einer „Corona Demonstration vor dem Wohnhaus“; einer anderen wurde „[im] Kontext der Montagsdemonstrationen [...] in sozialen Netzwerken mit ‚Besuchen‘ gedroht“. Auch hier zeigt sich: Die Anfeindungen auf die Befragten können über den Arbeitskontext hinaus in das Privatleben hineinwirken.

Auswirkungen von und Umgang mit Anfeindungen

Die beschriebenen Anfeindungen wirken sich bei vielen Studienteilnehmer*innen negativ auf ihr Arbeits- und Privatleben aus. Viele ergreifen deswegen nicht nur Maßnahmen wie polizeiliche Anzeigen, sondern schränken zum Beispiel ihre öffentlichen Aktivitäten und Social-Media-Aktivitäten ein.

Welche Auswirkungen haben die Anfeindungen auf die Betroffenen?

Von den 73 Befragten, die selbst Anfeindungen erlebt haben, gaben 41 % an, dass sie die Erfahrung von Anfeindungen im Kontext ihrer Arbeit als „eher belastend“ bis „sehr belastend“ empfinden. Auch auf das Privatleben wirken sich die erlebten Anfeindungen bei fast einem Drittel der Befragten belastend aus. Ein Interviewpartner erzählte beispielsweise von kontinuierlichen Anfeindungen durch eine Person, die „auch aufs Persönliche übergegangen ist, dass man wirklich schlecht schlafen konnte, dass man eben wirklich auch für sich gesagt hat, wie soll das eigentlich mal weitergehen“.

Immerhin 13 % der betroffenen Befragten fühlen sich infolge der Anfeindungen in der Weiterführung ihres Amtes eingeschränkt. Eine Person schrieb konkret von der „Überlegung zur Beendigung der Tätigkeit nach Ablauf der Amt- bzw. Wahlperiode (sic!)“. Andererseits sieht sich ein Viertel der von Anfeindungen Betroffenen durch die Erfahrungen bestärkt darin, das Amt weiterzuführen.

Bei der Einschätzung der generellen Sicherheitslage zeigen sich ebenfalls unterschiedliche Auffassungen. Fast zwei Drittel aller Befragten schätzten die Sicherheitslage in ihrem Arbeitsumfeld als „sicher“ bis „sehr sicher“ ein. Gleichzeitig nahmen 30 % die Sicherheitslage als nur „teils sicher/teils unsicher“ war. Dabei fällt auf: Frauen schätzen ihr Arbeitsumfeld eher als weniger sicher ein als die männlichen Studienteilnehmer.

Wie gehen Betroffene mit den Anfeindungen um?

Die betroffenen Personen haben eine Vielzahl von Maßnahmen benannt, die sie im Nachgang an Anfeindungen ergriffen haben (s. Abb. 6). Nur 7 % der von Anfeindungen Betroffenen gaben an, gar nichts unternommen zu haben. Dieses Ergebnis verdeutlicht, dass die Anfeindungserfahrungen über den konkreten Vorfall hinaus Auswirkungen auf das Arbeits- und Privatleben der Betroffenen haben. Unter den genannten Maßnahmen finden sich sowohl institutionalisierte Vorgehensweisen, wie Anzeigen bei der Polizei oder das In-Kenntnis-Setzen von Vorgesetzten, als auch eher informelle Umgangsweisen, etwa die Einschränkung sozialer Aktivitäten. Auffällig ist allerdings: Nur sehr wenige der von Anfeindungen Betroffenen kontaktierten professionelle Melde- oder Beratungsstellen (5 %).

Abbildung 6: Umgang mit Anfeindungen

Die Auswirkungen der Anfeindungen zeigen sich auch im Kontext der beruflichen Öffentlichkeitsarbeit, zu der die Studienteilnehmer*innen separat befragt wurden. Während die Mehrheit der Befragten keine Auswirkungen benannte (41 %) bzw. Öffentlichkeitsarbeit als nicht relevant im eigenen Arbeitskontext beschrieb (22 %), schränkte ein Viertel der von Anfeindungen Betroffenen die beruflichen Aktivitäten im Netz und auf Social Media ein. Bei einzelnen Befragten führten Anfeindungen sogar zur Absage oder Einschränkung öffentlicher Auftritte (8 %) oder Pressetermine (5 %).

Wie wird die Unterstützung im Arbeitskontext wahrgenommen?

Gefragt nach bekannten Unterstützungsangeboten, nannten Studienteilnehmer*innen die juristische Unterstützung ihrer Behörde, Beratungsstellen von Verwaltungsgemeinschaften und des Landesinnenministeriums sowie die Website stark-im-amt.de. Gleichzeitig gaben 57 % aller 129 Befragten an, keine Unterstützungsangebote in ihrem Arbeitsumfeld zu kennen.

In der Befragung schilderten mehrere Personen sogar eine behördeninterne Bagatellisierung im Umgang mit Anfeindungen. Eine Person beschrieb ihre Erfahrungen folgendermaßen: „Sachverhalte wurde dem zuständigem Landkreis und dem Dienstvorgesetzten gemeldet. Rückmeldungen beiderseiten (sic!) blieben aus. Hinterücks (sic!) wurde es auch vom Dienstvorgesetzten belächelt und der Amtsleiter diffamiert.“

Im Gegensatz dazu berichtete eine Interviewpartnerin, die in einem Bereich der Kommunalverwaltung mit hohem Risiko für Anfeindungen arbeitet, nach einem Angriff große Unterstützung in ihrer Behörde erfahren zu haben – sowohl praktische Sicherheitsvorkehrungen im Arbeitsumfeld (z. B. Anschaffung von Stichwesten für Hausbesuche) als auch Verständnis und Rückhalt durch Kolleg*innen und Vorgesetzte. Sie schilderte, dass es nach einer solchen Erfahrung sehr wichtig sei, ernst genommen zu werden und nicht das Gefühl zu haben, alleine dazustehen.

Folglich zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen verschiedenen Behörden und Gemeinden in der Unterstützung von betroffenen Personen. Einheitliche Vorgehensweisen scheint es nicht zu geben.

Fazit und Handlungsempfehlungen

Die hier dargestellten ersten Ergebnisse der Studie zu „Anfeindungen und Angriffen auf Kommunalpolitiker*innen und Angestellte der Kommunalverwaltung in Thüringen“ zeigen auf: Diese Anfeindungen gibt es auch in Thüringen und sie können eine reale Herausforderung bzw. Gefahr für Personen in diesen Ämtern darstellen. Die Studie reiht sich ein in empirische Untersuchungen von Anfeindungen gegen Politiker*innen und Amtsträger*innen in anderen Bundesländern bzw. auf Bundesebene. Die Befunde unterstreichen die Notwendigkeit, die Aufmerksamkeit und Sensibilität für dieses Thema auf allen politischen Ebenen weiter zu erhöhen.

Über vergleichbare Studien hinausgehend adressierte die Befragung in Thüringen auch Verwaltungsangestellte auf kommunaler Ebene, da hier Personen alltäglich mit der Umsetzung politischer Entscheidungen betraut sind und somit oftmals als Zielscheibe für politische Unzufriedenheit, geringes Institutionenvertrauen oder gar Hass fungieren. Die Studienergebnisse machen deutlich, dass neben Amtsträger*innen (z. B. Bürgermeister*innen) vor allem Personen, die in der Eingriffsverwaltung tätig sind, von Anfeindungen und Angriffen betroffen bzw. einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind. Dies zeigt sich auch in Zusammenhang mit der Pandemiesituation: Die meisten Befragten nahmen eine deutliche Zunahme von Anfeindungen seit Beginn der Corona-Pandemie wahr. Inwieweit sich die Art der Anfeindungen zwischen Kommunalpolitiker*innen und Verwaltungsangestellten unterscheidet, ist Gegenstand weiterer Auswertungen der vorliegenden Daten7. Während die Anfeindungen auf Verwaltungsangestellte vor allem im Arbeitskontext als Reaktionen auf Handlungen zu folgen scheinen (z. B. Kontrollen der Corona-Schutzmaßnahmen), erleben vor allem Kommunalpolitiker*innen auch Übergriffe in ihr privates Umfeld, wie Anfeindungen von Familienmitgliedern und Demonstrationen vor dem Wohnhaus. Ein gemeinsamer Befund für alle Befragten in Thüringen ist, dass Anfeindungen überwiegend in Form von verbalen und schriftlichen Beleidigungen stattfinden. Dabei spielen soziale Medien und Netzwerke verstärkt eine Rolle. Aber auch in Thüringen kommt es zu körperlichen, gewaltvollen Angriffen und Straftaten gegenüber den befragten Zielgruppen im Kontext ihrer Arbeit.

Auffällig ist, dass nur sehr wenige der Betroffenen professionelle Melde- oder Beratungsstellen kontaktiert haben. Zudem gab über die Hälfte aller Befragten an, keine Unterstützungsangebote im eigenen Arbeitsumfeld zu kennen. Dies zeigt: Bestehende Angebote müssten noch stärker unter Amtsträger*innen in der Kommunalpolitik und Verwaltungsangestellten bekannt und beworben werden. Entsprechend wünschen sich die Befragten zur Unterstützung für sich selbst und für Kolleg*innen Beratungsangebote und Ansprechpersonen zum juristischen Beistand (59 %), innerhalb der eigenen Behörde (48 %) und zum Umgang mit bereits erfolgten Anfeindungen und Angriffen (41 %). Weiterhin werden präventive Maßnahmen wie Weiterbildungsangebote (40 %), Sicherheitsschulungen (29 %) und erhöhte Sicherheitsmaßnahmen an der Arbeitsstelle (23 %) und bei öffentlichen Veranstaltungen (10 %) befürwortet. Schließlich ist gerade die persönliche Unterstützung unter Kolleg*innen für viele Befragte wichtig: Sie wünschen sich Austausch mit anderen betroffenen Kolleg*innen (24 %) und mehr Rückhalt durch ihre Vorgesetzten (22 %).

Während sich die oben genannten Maßnahmen vor allem auf das direkte Arbeitsumfeld und den Umgang mit Anfeindungen und Angriffen in der eigenen Behörde beziehen, werden auch allgemeine politische Maßnahmen als wichtig empfunden. Um den Schutz von Amtsträger*innen und ihren Mitarbeiter*innen zu verbessern, wurden am häufigsten Maßnahmen im Bereich der Strafverfolgung genannt: eine konsequentere Strafverfolgung von Beleidigungen und Bedrohungen im Internet (84 %), die Meldepflicht solcher Inhalte für Betreiber*innen sozialer Netzwerke (59 %) sowie eine bessere personelle Ausstattung der staatlichen Ermittlungsbehörden zur Verfolgung jener Straftaten (57 %). Noch jede*r Zweite (52 %) befürwortet die „Erweiterung des strafrechtlichen Schutzes vor Verleumdung von Personen des politischen Lebens“, 47 % eine Verschärfung des Strafrechtes – Forderungen, die als Handlungsempfehlungen von der Politik auf Bundes- und Landesebene ernstgenommen werden müssen, um Anfeindungen, Bedrohungen und Angriffen effektiver zu begegnen. 42 % der Befragungsteilnehmer*innen wünschen sich mehr politische Aufmerksamkeit für das Problem.

Aus Perspektive einer kritischen sozialwissenschaftlichen Forschung, die Gefährdungslagen für die demokratische Kultur und Potenziale zu Stärkung einer demokratischen Zivilgesellschaft in den Blick nimmt, leitet sich aus diesen Befragungsergebnissen weiterer Forschungsbedarf ab. Angesichts der gegenwärtigen politischen und gesellschaftlichen Entwicklung ist davon auszugehen, dass das Problem der Anfeindungen gegen Kommunalpolitiker*innen und Verwaltungsmitarbeiter*innen in Thüringen und anderswo auch in Zukunft virulent bleibt. Dies gilt es zu dokumentieren und sichtbar zu machen. Vor allem aber sollten betroffene und gefährdete Amtsträger*innen und Verwaltungsmitarbeiter*innen Ermutigung und Unterstützung finden, die über bereits bestehende Kampagnen wie „Stark im Amt“ hinausgehen: Bisherige Maßnahmen fokussieren vor allem Kommunalpolitiker*innen und weniger die Verwaltungsmitarbeiter*innen und Personen, welche durch Gesetze bzw. politische Entscheidungen ebenfalls direkt im Kontakt mit Bürger*innen in der Kommune stehen. Nicht zuletzt braucht es demokratische Räume und Formate für Partizipation und Austausch, um den Dialog zwischen Zivilgesellschaft und Politik zu stärken.

 

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1    Wir danken Julia Dresselhaus und Lukas Wittmann für ihre Unterstützung bei der Durchführung der Studie sowie allen Teilnehmer*innen für das Teilen ihrer Erfahrungen.

2    Eine Person hat keine Funktion angegeben.

3    Aufgrund der Selbstselektion der Befragungsteilnehmenden ist diese Stichprobe im statistischen Sinne nicht repräsentativ für die Grundgesamtheit aller kommunalpolitischen Amtsträger*innen und in der Kommunalverwaltung Beschäftigten in Thüringen. Durch die thüringenweite Akquise der Teilnehmer*innen ermöglichen die Ergebnisse dennoch einen breiten Einblick in das Spektrum der Erfahrungen mit Anfeindungen von Akteur*innen aus unterschiedlichen kommunalpolitischen Arbeitskontexten.

4    Nicht alle Fragen wurden von allen Studienteilnehmer*innen beantwortet, zudem gab es immer die Möglichkeit, als Antwortmöglichkeit „Keine Angabe“ anzuklicken. Daraus ergeben sich unterschiedliche Gesamtzahlen der Antworten für die verschiedenen hier dargestellten Fragen (siehe unterschiedliche n in Abbildungen)

5    Prozentangaben wurden gerundet, daher können Summen pro Zeile von 100% abweichen.

6    Die ‚Malta-Masche‘ bezeichnet ein Verfahren, bei dem insbesondere Reichsbürger*innen fingierte Schulden deutscher Verwaltungsmitarbeiter*innen an maltesische, als Inkassounternehmen getarnte Briefkastenfirmen abtreten, welche diese dann einfordern (Thöne 2017, 191 f.; Bundesregierung 2016, 1 f.).

7    Der abschließende Forschungsbericht erscheint Anfang 2023 hier: www.idz-jena.de/forschung/demokra-tie-unter-druck-anfeindungen-auf-haupt-und-ehrenamtliche-amtstraegerinnen-in-der-kommunalpolitik-thueringens

Literatur

Alin, Selina/Bukow, Sebastian/Faus, Jana/John, Stefanie/Jurrat, Andrina

(2021). Beleidigt und bedroht. Arbeitsbedingungen und Gewalterfahrungen von Ratsmitgliedern in Deutschland. Online verfügbar unter www.boell.de/sites/default/files/2021-01/Beleidigt_und_bedroht.pdf (abgerufen am 15.11.2022).

Bannenberg, Britta/Pfeiffer, Tim/Erb, Dominik

(2021). Gewalt gegen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in Hessen. Online verfügbar unter www.uni-giessen.de/fbz/fb01/professuren-forschung/professuren/bannenberg/forschung/Amtstraeger/BannenbergPfeifferErbGewaltgegenBrgermeisterinnenundBrgermeisterinHessen.pdf (abgerufen am 15.11.2022).

Die Bundesregierung

(2016). Antwort auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Halina Wazyniak, Harald Petzold (Havellland), Annette Groth, weiterer Abgeordneter und die Fraktion DIE LINKE. Drucksache 18/9868. Online verfügbar unter dserver.bundestag.de/btd/18/099/1809978.pdf (abgerufen am 15.11.2022).

Erhardt, Christian

(2021). Attacken auf Kommunalpolitiker in der Corona-Pandemie weiter gestiegen. Online verfügbar unter kommunal.de/attacken-kommunalpolitiker-corona (abgerufen am 15.11.2022).


forsa (2021). Hass und Gewalt gegen Kommunalpolitiker/innen. Einschätzungen und Erfahrungen von Bürgermeister/innen in Deutschland. Online verfügbar unter www.stark-im-amt.de/fileadmin/user_upload/Startseite/Umfrage_Hass_und_Gewalt_gegen_Kommunalpolitiker.pdf (abgerufen am 15.11.2022).

Frevel, Bernhard/Görisch, Christoph/Kaup, Claudia/Kohl, Andreas/Maldinger, Lucia/Bühler, Moritz/Potthoff, Jan

(2019). Übergriffe gegen Beschäftigte in Kommunalverwaltungen. Analyse und handlungsempfehlungen. Online verfügbar unter www.mhkbd.nrw/sites/default/files/media/document/file/Studie_UebergriffegegenBeschaftigteinKommunalverwaltungen-AnalyseundHandlungsempfehlungen.pdf (abgerufen am 15.11.2022).


Müller, Jan-Werner (2016). Was ist Populismus? Ein Essay. Berlin, Suhrkamp.

Rathje, Jan (2021). „Reichsbürger“ und Souveränismus. Aus Politik und Zeitgeschichte 71 (35–36), 34–40.

Speit, Andreas (2019). Die Entkultivierung des Bürgertums. Zürich, Orell Füssli.

Süddeutsche Zeitung

(2021). Mehr Straftaten gegen Politiker seit Pandemie-Ausbruch. Süddeutsche Zeitung vom 06.02.2021. Online verfügbar unter www.sueddeutsche.de/politik/corona-leugner-reichsbuerger-straftaten-querdenker-1.5198073 (abgerufen am 15.11.2022).

tagesschau.de

(2021). Entsetzen nach Fackelaufzug vor Wohnhaus. tagesschau.de vom 04.12.2021. Online verfügbar unter www.tagesschau.de/inland/sachsen-fackel-protest-101.html (abgerufen am 15.11.2022).

Thöne, Meik (2017). Die „Malta-Masche“ der Reichsbürger – oder: Fährnisse unbesehener Vollstreckung. Zeitschrift für das Privatrecht der Europäischen Union 14 (4), 191–197.