Bedrohungen und Gewalt gegen politische Amtsträger*innen – eine Gefahr für die Demokratie

In letzter Zeit haben sich mediale Berichte über Drohungen gegenüber und Angriffe auf Politiker*innen, Mitarbeiter*innen der Polizei und Feuerwehr, Journalist*innen und Rettungskräfte im Einsatz gehäuft. Insbesondere die verbale und physische Gewalt gegen Politiker*innen scheint – sowohl auf der lokalen/regionalen Ebene als auch im nationalen Maßstab – in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen zu haben. Der Beitrag fasst die Ergebnisse einer im Dezember 2021 durchgeführten Online-Befragung zusammen, in der Politiker*innen im bergischen Städtedreieck (Wuppertal, Remscheid, Solingen) zu ihren Gewalterfahrungen befragt wurden. Dabei zeigt sich, dass bereits ein Drittel der befragten Politiker*innen Gewalt erlebt hat, wobei verbale Gewalt – nicht zuletzt im Internet und in sozialen Medien – weitaus häufiger vorkommt als physische Gewalt. Weit mehr als die Hälfte der Befragten ist der Ansicht, dass bei der Gewalt gegen Politiker*innen die größte Gefahr von Rechtsaußen ausgehe. Drohungen und Gewalt gegen Politiker*innen stellen nicht nur ein individuelles, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem und eine massive Gefahr für die Demokratie als Staats- und Lebensform dar. Gewalt gegen Politiker*innen greift das Fundament, das Herz der Demokratie an, denn Politiker*innen und Amts- und Mandatsträger*innen übernehmen eine zentrale Funktion und Rolle für das Gemeinwesen, die unersetzlich für eine lebendige und funktionierende Demokratie und eine offene Gesellschaft ist.

Demokratie unter Druck: Problembeschreibung und Gesellschaftsdiagnose

Die liberale Demokratie ist unter Druck, und zwar von mehreren Seiten. Noch vor knapp 30 Jahren war nach dem Fall der Mauer und der Implosion der Sowjetunion die Annahme weit verbreitet, dass sich das westliche Modell mit liberaler Demokratie und kapitalistischer Marktwirtschaft durchgesetzt habe und weltweit überlegen sei. Doch heute zeigt sich: Die Hoffnungen auf ein „Ende der Geschichte“ (Fukuyama 1989; 1992) waren verfrüht. Die Demokratie als Staats-, Regierungs- und Lebensform ist keinesfalls alternativlos. Autoritäre und autokratische Systeme sind mitnichten von der Bildfläche verschwunden. Ganz im Gegenteil: China ist politisch, militärisch und wirtschaftlich längst eine Weltmacht. Länder wie Saudi-Arabien, Katar oder die Vereinigten Arabischen Emirate zeigen ein neues, überaus großes Selbstbewusstsein und werden als Handelspartner und Energielieferanten für den Westen immer wichtiger. Russland hat mit dem Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 erstmals seit langer Zeit einen Krieg auf europäischem Boden entfesselt, der einen langwierigen geopolitischen Konflikt um die internationale Ordnung nach sich ziehen könnte.

Aber auch in demokratischen Gesellschaften selbst haben sich in den letzten Jahren im politischen Feld und in der politischen Kultur dramatische Veränderungen vollzogen, die diese Demokratien aus dem Inneren heraus unter Druck setzen. So kam es in den vergangenen Jahren – und zwar sowohl in West- und Osteuropa als auch in den USA und etwa in Lateinamerika – zu einem massiven Erstarken rechtspopulistischer und nationalistischer Parteien und Bewegungen. Aktuelle Studien (Zick und Küpper 2021; Zick et. al. 2019) verdeutlichen immer wieder, dass auch und gerade in Deutschland rechtspopulistische bis rechtsextreme Einstellungen bis weit in die gesellschaftliche Mitte hinein verbreitet sind.

Hinzu kommt, dass wir in den vergangenen Jahren mit einer Vielzahl an gesellschaftlichen Krisen konfrontiert sind, die massive Herausforderungen für den Staat und die liberale Demokratie darstellen (Merkel 2015). Demokratie wird dabei nur unzureichend verstanden, wenn sie auf eine Staats- und Regierungsform reduziert wird. Demokratie bezeichnet, das arbeitete bereits Alexis de Tocqueville in seiner berühmten Studie „Über die Demokratie in Amerika“ (Tocqueville 2014) heraus, nicht nur eine Staats- und Verfassungsform sowie eine Regierungspraxis, sondern ist zugleich auch eine Lebensform (Negt 2010; Dux 2013; Polanyi 2015, 121; Müller 2021, 12) und „Gesellschaftsform“ (Rosanvallon 2017, 11). Als Lebens- und Gesellschaftsform umfasst sie nicht nur die Verfasstheit des politischen Systems, sondern bezieht sich auf das soziale Gemeinwesen, auf die Gesellschaft und das gesellschaftliche Leben insgesamt.

Vor der Corona-Krise waren es die Banken-, Finanz- und Wirtschaftskrise, die Staatsschulden- und Eurokrise, die sogenannte Flüchtlingskrise und die Klimakrise, die den staatlichen Handlungsrahmen sowie den politisch-medialen und wissenschaftlichen Diskurs bestimmten. Das überaus schädliche und prinzipiell existenzbedrohende Gefahrenpotenzial für die Demokratie, das von schweren politischen Krisen und vom erstarkenden autoritären Rechtspopulismus ausgeht, ist von Forscher*innen in jüngerer Vergangenheit immer wieder analysiert worden (Schäfer und Zürn 2021; Manow 2020; Przeworski 2020; Runciman 2020; Heitmeyer 2018; Levitsky und Ziblatt 2018).

Darüber hinaus hat sich in den letzten Jahren ein weitreichender gesellschaftlicher Wandel vollzogen, begleitet von einer Zunahme sozialer Ungleichheiten und einer wachsenden gesellschaftlichen Polarisierung. Das führte zu einem erheblichen Unzufriedenheits- und Protestpotenzial. In diesem gesellschaftlichen Rahmen bildete sich in den letzten Jahren eine lautstarke außerparlamentarische Oppositionsbewegung heraus, die weniger auf konstruktive demokratische Partizipation setzt, sondern in einer Pervertierung demokratischer Normen Druck von der Straße her aufbaut und sich zuletzt beträchtlich radikalisiert hat. Diese wird zwar durch unterschiedliche Strömungen gebildet und ist heterogenen sozialen Ursprungs, gleichwohl ist ihre Masse durch ‚falsche‘ Argumente leicht instrumentalisierbar und weist zumindest in – nicht allzu geringen – Teilen auch offen antidemokratische Tendenzen auf.

Als Begleiterscheinung oder gar Resultat dieser Entwicklung muss das in Deutschland vergleichsweise neue – wenn auch nicht gänzlich unbekannte – Phänomen der Bedrohung von Politiker*innen und der Gewalt gegen Politiker*innen gesehen werden. Insbesondere Gewaltformen verbaler und physischer Natur gegen Politiker*innen – sowohl auf der lokalen und regionalen Ebene als auch im nationalen Maßstab – scheinen in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen zu haben. Nicht zuletzt gab es bereits tödlich (z. B. Walter Lübcke) oder lebensbedrohlich verlaufende Attacken (z. B. Wolfgang Schäuble und Henriette Reker) auf Politiker*innen, sodass sich hier eine Polarisierung der Gesellschaft offenbart und Formen der Verrohung und Entzivilisierung zeigen, denen auf begründeter empirischer Grundlage nachgegangen werden muss.

Angesichts dieser Entwicklungen stellt sich die Frage, inwiefern, in welchem Ausmaß und aus welchen Gründen die Gewalt gegen Amts- und Mandatsträger*innen ansteigt. Aufgrund der dramatischen politischen und zivilgesellschaftlichen Konsequenzen bedarf es zudem dringender Aufklärung, wie umfangreich die Gewalt gegen Amts- und Mandatsträger*innen wirklich ist, wie schwerwiegend sich die Folgen für die Betroffenen darstellen – und wie gravierend die Konsequenzen für das demokratische Gemeinwesen sind.

Vor diesem Hintergrund werden im Folgenden erste Ergebnisse einer empirischen Studie über die Bedrohungslagen und Gewalterfahrungen von Politiker*innen zusammengefasst. Es handelt sich dabei um eine nicht repräsentative Online-Befragung von Politiker*innen – hier Bürgermeister*innen, Stadtverordnete, Bezirksvertreter*innen – im Bergischen Städtedreieck (Wuppertal, Remscheid, Solingen), die im Dezember 2021 durchgeführt wurde und eine Art Vorstudie für eine größere, bundesweit angelegte Untersuchung von Bedrohungslagen und Gewalterfahrungen von öffentlichen Personen darstellt. Nach einer systematisierten Darstellung der zentralen Ergebnisse unserer Untersuchung werden die Ergebnisse kursorisch mit den Erkenntnissen anderer Studien abgeglichen. Im letzten Teil wird zunächst auf das demokratietheoretische und praktisch-politische Gefährdungspotenzial zunehmender Gewaltformen gegen Politiker*innen eingegangen, ehe einige Hinweise zu effektiven Schutzmaßnahmen und empirisch begründete Handlungsempfehlungen aufgelistet werden.

Zentrale Ergebnisse der empirischen Studie

Die Online-Befragung zielte darauf ab, die konkreten Erfahrungen und Erlebnisse der Politiker*innen im Bergischen Städtedreieck sichtbar zu machen. Dabei ging es zunächst einmal darum, sich zu vergewissern, ob es sich bei den medialen Berichten über die Zunahme von Drohungen und Angriffen lediglich um Artefakte oder um realistische Darstellungen handelt. Darüber hinaus ging es auch darum, zu erfahren, was sich hinter den generellen Beschreibungen von Bedrohungen und Gewalt bei den im Einzelnen vorgebrachten Tatbeständen wirklich verbirgt.

Weil Gewalt viele Facetten aufweisen kann und vielgestaltig ist (Imbusch 2002), erscheint es wenig zielführend, sie lediglich auf schwerwiegende Formen der physischen Gewalt zu reduzieren. Auch psychische, sprachliche oder symbolische Gewalt wie Beleidigungen und Bedrohungen können von den Betroffenen als dramatisch empfunden werden und weitreichende Folgen haben. Deshalb sollte ein weites Verständnis von Gewalt zugrunde gelegt werden, sind doch leichtere Formen der Gewalt wie Anfeindungen, Aggressionen und Abwertungen sowie – häufig online über soziale Netzwerke ausgeübte – Beleidigungen und Bedrohungen bislang noch weitaus häufiger als schwere Gewaltdelikte (Bannenberg 2021).

Die Umfrage fand per E-Mail im Laufe des Dezembers 2021 statt. Der Personenkreis belief sich insgesamt auf 263 Menschen, von denen sich 83 an der Befragung beteiligten. Die Rücklaufquote liegt mit 31,6 % oberhalb vergleichbarer standardisierter Umfragen. Von den 83 Personen, die sich an der Umfrage beteiligten, waren 53 männlich (64 %) und 16 weiblich (19 %); als divers identifizierte sich niemand und keine Antwort auf diese Frage gaben 14 Personen (17 %). In Bezug auf die Altersverteilung zeigt sich, dass die über 60-Jährigen mehr als ein Drittel ausmachen. 30 Personen (36 %) waren bereits 60 Jahre und älter, 18 Personen (22 %) gehörten zur Altersgruppe der 46-60-Jährigen, 12 Personen (14 %) zur Altersgruppe der 31-45-Jährigen und 9 Personen (11 %) schließlich zur Altersgruppe der 18-30-Jährigen. Keine Angaben zum Alter machten 14 Personen (17 %). Die Frage zur Parteizugehörigkeit beantworteten 69 Personen (83 %), 14 Personen (17 %) gaben ihre Parteizugehörigkeit nicht preis. Von den Teilnehmenden gehörten 24 der SPD an, 20 den Grünen, 12 der CDU, 7 der FDP, 4 der Linken, 3 waren parteilos und 1 Person gehörte zur Partei Die Partei. Niemand der Befragten gab an, der AfD anzugehören.

Gewalt gegen Politiker*innen nimmt zu

Die Ergebnisse der Studie sind eindeutig: Die Bedrohungen von und Gewalt gegen Politiker*innen hat laut Einschätzung der Befragten in den letzten Jahren deutlich zugenommen – sowohl im Bergischen Städtedreieck als auch generell. Auf die Frage, wie die Gewaltentwicklung der letzten Jahre im Bergischen Städtedreieck verlaufen sei, war etwas mehr als die Hälfte (51 %) der Befragten der Meinung, dass Gewalt und Bedrohungen in den letzten Jahren zugenommen haben. Nur 12 % waren der Meinung, diese habe abgenommen; 19 % der Befragten waren unsicher; 18 % beantworteten diese Frage nicht. Auf die Frage, wie sich die Gewalt bzw. die Bedrohungslage gegenüber politischen Amtsträger*innen in den letzten Jahren im Allgemeinen entwickelt habe (s. Abb. 1), fiel das Urteil der Teilnehmenden noch entschiedener und drastischer aus. Fast drei Viertel (73 %) der Befragten schätzten ein, dass die Gewalt gegen und Bedrohung von Amtsträger*innen zugenommen habe; niemand ging davon aus, dass sie abgenommen hätte. 8 % waren unentschieden, während 18 % diese Frage nicht beantworteten.

Abbildung 1: Die Gewalt bzw. die Bedrohungslage gegenüber politischen Amtsträger*innen im Allgemeinen hat in den letzten Jahren ... (Angaben in %)

Gefahr lauert Rechtsaußen

Auf die Frage, aus welcher politischen Richtung generell die größte Gefahr drohe (s. Abb. 2), nannten weit mehr als die Hälfte der Politiker*innen (61 %) den Rechtsextremismus, lediglich 5 % den Linksextremismus und 15 % den religiösen Fundamentalismus. Keine Antwort auf diese Frage gaben 19 %.

Abbildung 2: Von wem geht die größte Gefahr aus? (Angaben in %)

Internet als Sprachrohr der Gewalt

Auf die Frage, durch welche Mittel bzw. auf welchen Wegen ihnen Gefahr drohe (s. Abb. 3), antwortete der Großteil der Befragten (53 %), dass das Internet bzw. soziale Netzwerke den Ursprung für ihre Gefährdung darstellen. Etwa ein Viertel (23 %) war der Meinung, dass aus dem persönlichen Kontakt mit Bürger*innen die größte Gefährdung resultiere. Lediglich 5 % betrachteten den Postweg (z. B. Brief oder Mail) als größte Gefährdung, während 19 % die Frage unbeantwortet ließen.

Abbildung 3: Auf diesem Weg drohen die größten Gefahren: ... (Angaben in %)

Dieses Ergebnis liefert ein starkes Indiz dafür, dass bei den Ursachen und Gründen für die Zunahme der Drohungen und Gewalt gegen Politker*innen – neben gesellschaftspolitischen und sozio-kulturellen Aspekten – die Radikalisierung im Internet eine zentrale Rolle spielt. Auch wenn die Ursachen von Gewalt vielschichtig sind und selten auf eine einzelne Ursache zurückgeführt werden können, ist doch unbestreitbar, dass in bestimmten sozialen Medien eine Verrohung der Sprache zu beobachten ist und sich dort in den letzten Jahren eine Art der Diskussion entzündet hat, die bei manchen Menschen Gewaltneigungen auslöst. Auch von den befragten Amtsträger*innen waren mehr als zwei Drittel (69 %) der Ansicht, dass durch die sozialen Medien eine Radikalisierung von Personen oder Gruppen stattgefunden habe. Niemand von den Befragten widersprach dieser Aussage, 2 % waren sich unsicher, während 29 % der Befragten keine Antwort auf diese Frage gaben (s. Abb. 4).

Abbildung 4: Durch die sozialen Medien hat eine Radikalisierung stattgefunden: ... (Angaben in %)

Ein Drittel der Befragten hat Erfahrungen mit Drohungen und Gewalt

Bereits mehr als ein Drittel der befragten politischen Amtsträger*innen (34 %) hat selbst schon einmal Gewalt oder Bedrohungen konkret erfahren, während fast die Hälfte (47 %) von Gewalt und Bedrohungen bisher verschont geblieben ist. 19 % der Befragten haben diese Frage nicht beantwortet (s. Abb. 5).

Obwohl nur etwas mehr als ein Drittel der Amtsträger*innen selbst Erfahrungen mit Drohungen oder Gewalt gemacht haben, gab doch fast die Hälfte der Befragten (43 %) an, andere politisch aktive Personen zu kennen, die von entsprechender Gewalt betroffen waren. 30 % verneinten diese Frage, von 27 % gab es keine Antwort.

Abbildung 5: Ich habe als Amtsträger*in selbst schon Gewalt/Bedrohung erfahren: ... (Angaben in %)

Verbale Gewalt stärker ausgeprägt als physische Gewalt

Tabelle 1: Persönliche Gewalterfahrungen: Beleidigungen und Bedrohungen (Angaben in absoluten Zahlen; Mehrfachnennungen möglich)

Da die Frage, was konkret als Gewalt aufgefasst wird, je nach persönlicher Konstitution durchaus schwanken kann, wollten wir genauer wissen, was denjenigen, die bereits Gewalt und Aggressionen erlebt haben, widerfahren ist (s. Tab. 1). Dabei zeigt sich zum einen, wie vielfältig die Gewalterfahrungen sind; zum anderen, dass verbale Gewalt in Form von Beleidigungen und Bedrohungen weitaus häufiger ist als physische Gewaltformen (s. Tab. 2). Darüber hinaus wird vor allem bei verbaler Gewalt deutlich, welche zentrale Rolle Internet und soziale Medien spielen. Die Hemmschwelle, Menschen zu beleidigen und zu bedrohen, scheint in der Anonymität des Netzes rasant zu sinken, während Hass und Hetze in der Anonymität des Netzes rapide zu steigen scheinen. So berichten die Befragten von insgesamt 58 Fällen von Beleidung, davon 22 im direkten Kontakt, 19 über das Internet und soziale Netzwerke und 17 per Brief, Mail oder Fax. Bedrohungen gab es insgesamt 24, zumeist über das Internet und soziale Medien (14), gefolgt vom direkten Kontakt (9). Bedrohungen per Brief, Mail oder Fax waren sehr selten und kamen nur einmal vor. Todesdrohungen waren selten, gleichwohl gab es 7 Fälle (je 3 über das Internet und soziale Netzwerke sowie per Brief, Mail oder Fax, eine Drohung im direkten Kontakt). Darüber hinaus wurden fünf Fälle von sexueller Beleidigung und ein Fall von Nötigung berichtet.

Tabelle 2: Persönliche Gewalterfahrungen: physische Gewalt (Angaben in absoluten Zahlen; Mehrfachnennungen möglich)

Vorsicht ja, Resignation nein – Folgen von Gewalt für die Amtsausübung

Neben den Fragen, ob die Befragten selbst Gewalt oder Drohungen erfahren und was sie genau erlebt haben, stellt sich die Frage nach den Folgen dieser Erfahrungen und Erlebnisse für die Betroffenen (s. Abb. 6). So verneint über die Hälfte der Befragten (53 %), dass sich die Anfeindungen, Bedrohungen oder Gewaltvorfälle in irgendeiner Weise auf ihre Amtsführung oder ihr Privatleben ausgewirkt hätten. Etwa 15 % der Befragten betonten aber die Folgen: 2 % nannten Konsequenzen für ihre Amtsführung, 7 % für ihr Privatleben und 5 % sprachen von Folgen sowohl für ihre Amtsführung wie auch für ihr Privatleben. Die Konsequenzen reichten von weniger eindeutigen Positionierungen in strittigen Fragen oder dem Rückzug aus den sozialen Netzwerken bis hin zum Mitführen von Pfefferspray. Unsicher waren sich 5 %, 28 % der Befragten antworteten nicht auf diese Frage.

Abbildung 6: Anfeindungen und/oder Gewaltvorfälle haben sich auf meine Amtsführung oder mein Privatleben ausgewirkt: ... (Angaben in %)

 

Bei weiterführenden Fragen verneinte der Großteil der Befragten (64 %) gravierende persönliche Folgen aufgrund Gewalt und Aggressionen, gleichwohl sprachen 8 % der Befragten von psychischen Folgen; diese bestanden etwa in depressiven Verstimmungen, einer größeren Achtsamkeit und Umsichtigkeit der Person, in Sorgen, die Wohnung oder Familie zu verlassen, in Angstzuständen und physiologischen Reaktionen. 28 % beantworteten die Frage nicht. Auf die Frage, ob die Anfeindungen, Bedrohungen und Gewaltvorfälle Einfluss darauf haben, wie sie ihr Amt ausführen, betonte die Mehrheit der Amtsträger*innen (61 %), dass das nicht der Fall sei. Lediglich 7 % haben überlegt, ob sie ihr aktuelles Amt aufgeben und noch einmal für ein politisches Amt kandidieren. 15 % der Befragten haben angesichts von Bedrohungen und Gewalt Vorsorge- oder Vorsichtsmaßnahmen ergriffen – etwa ein vorsichtigerer Umgang bei öffentlichen Terminen, die Reduzierung von Äußerungen und Auftritten in der Öffentlichkeit und im Internet, die häusliche Installation von Videokameras, das Anbringen von Splitterfolien im Büro oder das Einschalten von Polizei und Justiz. 17 % ließen die Frage unbeantwortet.

Gewalt wegen politischer Einstellungen, Überzeugungen und Handlungen

Abbildung 7: Was waren die Motive für die Aggressionen und Gewalt gegen mich? (Angaben in %)

Auf die Frage, ob die politischen Amtsträger*innen gezielt als Opfer ausgewählt wurden und was die möglichen Motive für die Aggressionen, Bedrohungen und Gewalt gewesen sein mögen (s. Abb. 7), antworteten 27 %, dass die eigenen politischen Einstellungen und Überzeugungen der Grund für die Anfeindungen waren. Fast ein Fünftel (19 %) nannte die politische Tätigkeit bzw. bestimmte Handlungen und Entscheidungen als Motiv. 7 % der Befragten hatten den Eindruck, dass sie aufgrund ihres Geschlechts angefeindet wurden, je 2 % wegen ihrer Herkunft oder der sexuellen Orientierung. Hautfarbe, religiöse Orientierung und Behinderung spielten hingegen keine Rolle. 12 Personen (14 %) wussten nichts zu den möglichen Motiven zu sagen, ein Viertel (25 %) äußerte sich zu dieser Frage nicht.

Ein Fall (nicht nur) für die Polizei

Nach Meinung der Befragten sind vor allem die Strafverfolgungsbehörden und die Institutionen der sozialen Medien verantwortlich dafür, gegen Angriffe und Übergriffe vorzugehen. 57 Personen (69 %) verwiesen auf die Polizei, 27 Personen (33 %) auf Institutionen im Bereich der sozialen Netzwerke (Mehrfachnennungen möglich). An Nachbarschaftsvereinigungen glaubte nur 1 Person (1 %), Bürgerwehren sah niemand als probates Mittel im Umgang mit Gewalt und Drohungen an. 21 Personen (25 %) antworteten auf die Frage nicht.

Die Frage nach einer stärkeren Ahndung oder Bestrafung für Angriffe auf Politiker*innen befürwortete fast die Hälfte der Befragten (46 %), nur 14 % waren der Meinung, dass eine stärkere Bestrafung nicht angemessen sei. 11 % der Befragten waren unentschieden, während sich 29 % sich nicht zur Frage äußerten.

Abbildung 8: Sollten Angriffe auf politische Amtsträger*innen stärker bestraft werden? (Angaben in %)

Die Studie im Kontext aktueller Datenerhebungen

Die Ergebnisse unserer nicht repräsentativen Studie über Gewalt und Drohungen gegen politische Amtsträger*innen im Bergischen Städtedreieck korrespondieren mit den Ergebnissen anderer Studien zum Thema Gewalt gegen Politiker*innen. So zeigen offizielle Angaben und Daten zur politisch motivierten Kriminalität in Deutschland, dass es in den letzten Jahren sowohl eine gravierende Zunahme der politisch motivierten Gewalt im Allgemeinen als auch der Straftaten gegen den Staat und die Vertreter*innen des Staates im Besonderen gibt (BMI und BKA 2022; 2021). Gegen Amts- und/oder Mandatsträger*innen wurden im Jahr 2021 insgesamt 4.722 Straftaten (132 Gewalttaten) erfasst (2020: 3.098 Straftaten, davon 89 Gewalttaten). Gerade bei der Gewalt gegen kommunale Amtsträger*innen ist der Anstieg erheblich. So gibt das Bundesinnenministerium an, dass sich die Zahl der erfassten politisch motivierten Straftaten gegen Kommunalpolitiker*innen in den vergangenen Jahren mehr als verdreifachte (BMI 2022, 6). Zu vergleichbaren Ergebnissen kommen eine Online-Befragung der (Ober-)Bürgermeister*innen in Hessen (Bannenberg et al. 2021) und eine im Auftrag der Körber-Stiftung durchgeführte repräsentative Umfrage unter insgesamt 1.641 Bürgermeister*innen aus ganz Deutschland über Hass und Gewalt gegen Kommunalpolitiker*innen (Körber-Stiftung 2021).

Auch wenn aussagekräftige Daten und repräsentative Statistiken für das Gesamtphänomen bisher nur in Ansätzen vorliegen, so ist angesichts unserer eigenen und weiterer empirischer Studien (Bannenberg et al. 2020; Bannenberg 2021) sowie in Anbetracht der medialen Berichterstattung und der Berichte von öffentlichen Amtsträger*innen selbst (Leutheusser-Schnarrenberger und Wendt 2022) klar: Drohungen, Gewalt und Aggressionen gegen Politiker*innen und weitere Personengruppen des öffentliches Dienstes (etwa Polizei, Feuerwehr und Rettungskräfte) sind ein gravierendes und weit verbreitetes Problem in Deutschland. Das vorläufige Fazit, dass verbale, psychische und physische Gewaltformen gegen diese Personengruppen in den letzten Jahren zugenommen haben und wohl auch weiter zunehmen, ist angesichts der vorliegenden Datenlage mehr als plausibel.

Gewalt gegen Politiker*innen: eine Gefahr für die Demokratie

Viele Amts- und Mandatsträger*innen auf kommunaler sowie auf Landes- und Bundesebene sind von Aggressionen, Bedrohungen und Gewalt betroffen. Diese Bedrohungs- und Gewalterfahrungen haben zum Teil dramatische Auswirkungen, zuallererst persönlicher Art, aber auch gesamtgesellschaftlicher und politischer Art. Gewalt gegen Politiker*innen greift Demokratien in ihrem Fundament an, Gewalt gegen Politiker*innen ist eine massive Gefahr für Demokratien als Staats-, Regierungs- und Lebensformen und für offene, liberale Gesellschaften.

Die Ausübung politischer Ämter ist essenziell für eine Demokratie, denn Demokratie ist auf Mitwirkung, Partizipation und Teilhabe angewiesen. Demokratisch gewählte Politiker*innen und andere Amts- und Mandatsträger*innen haben eine zentrale Funktion und Rolle für das Gemeinwesen, die unersetzlich für eine lebendige und funktionierende Demokratie und eine offene Gesellschaft ist. Wenn die unbehelligte politische Betätigung – bei allen parteipolitischen Unterschieden – nicht mehr gewährleistet ist, wenn Politiker*innen um Gesundheit und Unversehrtheit, um Leib und Leben fürchten müssen, ist das nicht nur eine Stilfrage, sondern greift grundlegende Mechanismen der Demokratie an. Gewalt gegen Politiker*innen als ausdrückliche Gewalt gegen Vertreter*innen und Repräsentant*innen des Staates zeugt nicht nur von einer Verachtung für den jeweiligen Menschen, sondern auch und gerade von einer Verachtung für die Demokratie als einer Staats- und Regierungsform sowie einer liberalen Lebens- und Gesellschaftsform selbst.

Um Gewalt gegen Politiker*innen zu bekämpfen und einzudämmen, sind vielfältige reaktive, proaktive und präventive Maßnahmen nötig (Leutheusser-Schnarrenberger und Wendt 2022; Hattke und Kraske 2021). Dabei sind vor allem Politik und Strafverfolgungsbehörden, also Polizei und Justiz, dann aber auch die Online-Plattformen gefordert, denn das Internet ist kein rechtsfreier Raum.

Aufgabe der Politik ist es, einen klaren (straf-)rechtlichen Rahmen in Bezug auf Gewalt gegen Politiker*innen vorzugeben und Online-Plattformen wie Facebook oder Twitter wirksam zu regulieren, da Selbstregulierung offensichtlich nicht funktioniert. Polizei und Justiz müssen stärker und entschiedener gegen Täter*innen, vor allem gegen rechtsextremistische Gewalttäter*innen vorgehen, denn die Gefahren drohen wesentlich von Rechtsaußen. Generell bedarf es bei der Gewalt gegen Politiker*innen einer konsequenten Strafverfolgung und der Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden Rechtsmittel, denn viel zu häufig bleiben Täter*innen unbekannt und kommen ohne Strafe davon. Nicht zuletzt ist es aber auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die eine klare und entschiedene Haltung der Zivilgesellschaft erfordert. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, gegen Verrohung, Hass und Gewalt anzugehen und stattdessen für eine offene, demokratische Gesellschaft und ein ziviles Miteinander einzutreten.

Bereits von Anfang an war die Demokratie mit Feinden konfrontiert und seit jeher musste die Demokratie gegen innere und äußere Feinde verteidigt werden. Gerade die Geschichte in Deutschland zeigt, dass Demokratie keinesfalls selbstverständlich ist, sondern eine fragile und stets gefährdete politische und gesellschaftliche Ordnung darstellt. Demokratie ist eine „politisch verfasste Gesellschaftsordnung, die gelernt werden muss – immer wieder“ (Negt 2010, 13). Demokratische Grundwerte wie Freiheit und Gleichheit, demokratische Grundprinzipien wie die Rechts- und Sozialstaatlichkeit, demokratische Grundrechte wie die Unverletzlichkeit der Menschenwürde, das Recht auf körperliche Unversehrtheit oder die Meinungsfreiheit sind Errungenschaften, die immer wieder aufs Neue behauptet und verteidigt werden müssen. Dies ist in Zeiten von Kriegen, Krisen und Konflikten und in Zeiten zunehmender gesellschaftlicher Spannungen und Polarisierungen nicht einfach, aber auch nicht aussichtslos. Die Demokratie ist nicht wehrlos – und es ist eine lohnenswerte Aufgabe, die Demokratie zu verteidigen.

Literatur

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Bannenberg, Britta/Erb, Dominik/Pfeiffer, Tim

(2021). Gewalt gegen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in Hessen. Online verfügbar unter www.uni-giessen.de/fbz/fb01/professuren-forschung/professuren/bannenberg/forschung/Amtstraeger/BannenbergPfeifferErbGewaltgegenBrgermeisterinnenundBrgermeisterinHessen.pdf (abgerufen am 31.03.2022).

Bannenberg, Britta (2021). Gewalt gegen Amtsträger. Aus Politik und Zeitgeschichte 71 (13–15), 27–34.

Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat/Bundeskriminalamt

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Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat/Bundeskriminalamt

(2022). Politisch motivierte Kriminalität im Jahr 2021. Bundesweite Fallzahlen. Online verfügbar unter www.bka.de/SharedDocs/Downloads/DE/UnsereAufgaben/Deliktsbereiche/PMK/2021PMKFallzahlen.pdf;jsessionid=9A7B6EE1A517A6B2725460A3DD36BD15.live612 (abgerufen am 11.05.2022).

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Imbusch, Peter (2002). Der Gewaltbegriff. In: Wilhelm Heitmeyer und John Hagan (Hg.). Internationales Handbuch der Gewaltforschung. Wiesbaden, Westdeutscher Verlag, 24–55.

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