Einleitung

„Antifeminismus kann verstanden werden als Reaktion auf die feministischen Errungenschaften der Frauen- und Emanzipationsbewegungen. Als Weltanschauung und teils organisierter Widerstand richtet er sich in Wort und Tat gegen Frauen und LGBTIQA+.“ (Hartmann & Rahner, in diesem Band, S. 22)

Im November 2022 fand in Jena die Fachtagung „Antifeminismus und Hasskriminalität“ statt, organisiert vom Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) Jena. Das IDZ befindet sich in Trägerschaft der Amadeu-Antonio-Stiftung (AAS) und ist Teilinstitut des Forschungsinstituts Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ). Der vorliegende Tagungsband dokumentiert die Beiträge dieser Fachtagung, die das IDZ als Jenaer Teilinstitut des FGZ veranstaltet hat.

Der Band vereint Beiträge von zivilgesellschaftlichen Akteur*innen, Vertreter*innen von Behörden und aus dem Justizbereich sowie von Wissenschaftler*innen. Überschneidungen und Schnittmengen von Antifeminismus und Hasskriminalität werden sowohl aus wissenschaftlich-theoretischen als auch aus praxisbezogenen Perspektiven analysiert und diskutiert. Dabei werden ideologische und strukturelle Wurzeln von Antifeminismus in den Blick genommen und u. a. in Bezug auf geschlechtsspezifische Gewalt kontextualisiert. Antifeminismus wird dabei als Brückenideologie verstanden, die der Gleichstellungs- und Emanzipationspolitik von Frauen und LGBTIQ+1 entgegenwirkt und unterschiedliche politische Milieus miteinander vereint. Die reale Bedrohung antifeministischer Bestrebungen zeigt sich in gesellschaftlichen Strukturen und Praktiken der Ausbeutung, Unterdrückung und Diskriminierung aufgrund der zugeschriebenen Geschlechtsidentität, aber auch direkt in Hassrede und Gewalttaten. Viele der Herausforderungen im Umgang und der Bekämpfung antifeministischer und misogyner Gewalttaten für Behörden, Justiz und Zivilgesellschaft werden benannt und diskutiert.

Im vorliegenden Band werden nun die Beiträge aller Referierenden sowie Transkriptionen der beiden Podiumsdiskussionen veröffentlicht.2

Zum Einstieg präsentieren wir die beiden einleitenden Grußworte zur Veranstaltung: zunächst von Gilda Sahebi und von Laura Wahl, die dabei mit globalem bzw. lokalem Fokus u. a. Bezüge zu antifeministischer Politik im Iran und in Thüringen herstellen. Dem folgt eine Problembeschreibung von Ans Hartmann & Judith Rahner, die Grundkonzepte definieren, das Ausmaß der Gewalt beschreiben und anschließend fordern, Antifeminismus und geschlechtsspezifische Gewalt als Hasskriminalität anzuerkennen. Ursula Birsl interpretiert in ihrer Keynote Antifeminismus vor allem als Reaktion auf die aktuell zunehmende Liberalisierung und Gleichberechtigung aller Geschlechter und erläutert systematische Parallelen zum Antisemitismus.

Es folgen Beiträge, in denen die Inhalte der sechs verschiedenen themenbezogenen Sessions der Fachtagung dargestellt werden.

Die Dokumentation von Session 1: Agitation gegen Gender beginnt mit einem Beitrag von Cynthia Freund-Möller, in dem ‚rechte Frauen‘ und ‚nationaler Feminismus‘ erörtert werden. Danach folgt ein Text von Paula Kreutzmann, der sich Überschneidungen von Antisemitismus und Antifeminismus in Abtreibungsdebatten widmet. Anschließend diskutiert Malte Pannemann Zusammenhänge zwischen Männlichkeit, Gewalt und Misogynie. Danach werden von Johanna Niendorf & Henriette Rodemerk ausgewählte Befunde der Leipziger Autoritarismus Studie 2022 vorgestellt und Antifeminismus als autoritäre Krisenreaktion diskutiert. Nur in der Online-Version findet sich das Transkript der Podiumsdiskussion zur Situation im Iran, in dem Antifeminismus Ideologie, Struktur und System ist. Am 23. November 2022 haben Dastan Jasim, Gilda Sahebi & Bahar Oghalai unter Moderation von Anne Tahirovic im Rahmen eines Online-Gesprächs aktuelle Geschehnisse im Iran in Geschichte und Gegenwart eingeordnet.

Insgesamt drei Beiträge fassen die Inhalte von Session 2: Hasskriminalität und Gewalt gegen LGBTIQ+ zusammen: Sarah Ponti beschreibt das Ausmaß queerfeindlicher Hasskriminalität in Deutschland und kritisiert ihre staatliche Dokumentation, die zu massiver Untererfassung und einem erheblichen Dunkelfeld führt. Marcello Helwig & Theresa Lauß richten den Fokus auf Thüringen und lokale Gefährdungslagen und Handlungsbedarfe. Albrecht Lüter, Sarah Riese & Moritz Konradi berichten von Erfahrungen des ‚Berliner Monitorings trans- und homophobe Gewalt‘, also der Erfassung und Dokumentation entsprechender Hasskriminalität in der Hauptstadt, mit besonderem Augenmerk auf intersektionale Verschränkungen dieser Art vorurteilsmotivierter Gewalt. In einem weiteren, nur in der Online-Version enthaltenen Podiumsgespräch vom 27. Oktober 2022 „Transfeindlichkeit als antifeministische Strategie“ zeigen Felicia Ewert & Noah Marschner Zusammenhänge von Hasskriminalität und struktureller Transmisogynie in der Gesellschaft auf und entwickeln politische und zivilgesellschaftliche Handlungsmöglichkeiten.

Session 3: Antifeminismus und Rassismus, die sich ebenfalls mit intersektionalen Ansätzen beschäftigt, ist mit vier Beiträgen vertreten: Zunächst schreiben Nilima Zaman & Dunja Noori über die Rassifizierung von Frauen in der Pornografie. Danach reflektiert Sandra Ho in ihrem Text antiasiatischen Rassismus und Antifeminismus. Ayten Kılıçarslan diskutiert in ihrem Beitrag die These eines ‚feministischen Rassismus‘ als ein Dilemma der aktuellen Antirassismusarbeit. Danach findet sich (nur in der Online-Version) die verschriftlichte Podiumsdiskussion „How to name it – zur Kategorisierung geschlechtsspezifischer Gewalt“, in der Christina Clemm, Doreen Denstädt, Katharina Göpner & Judith Hilz das Thema aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet haben. In der gemeinsamen Diskussion wurde u. a. kritisiert, dass eine Sensibilisierung in allen Bereichen fehlt: Sexistische und frauenfeindliche Narrative sind unter Polizist*innen, Anwält*innen und Richter*innen noch gegenwärtig und erschweren einen rücksichtsvollen Umgang mit Betroffenen.

Session 4: Gewalt gegen Politiker*innen und Aktivist*innen umfasst drei Beiträge: Während Dorothee Beck geschlechtsbasierte Gewalt gegen Politiker*innen thematisiert, fokussiert Alice Juraschek Angriffe gegen Gleichstellungsbeauftragte. Jacqueline Muthumbi reflektiert in ihrem Text über den aus ihrer Sicht in Deutschland vorwiegend weißen Feminismus und Anti-Rassismus. Dabei wirft sie u. a. die Frage auf, wo dabei die Perspektiven und Errungenschaften nicht-weißer Frauen ihren Raum finden.

Die Dokumentation von Session 5: Antifeministische (Online-)Subkulturen enthält drei Beiträge und beginnt mit einem Text von Veronika Kracher, die am Beispiel der frauenfeindlichen Hasskampagne gegen Amber Heard Mechanismen der Misogynie aufzeigt. Max Neuhäuser schreibt über den weit verbreiteten alltäglichen Sexismus innerhalb der cis-männlich geprägten Gaming-Szene. Ann-Kathrin Rothermel erläutert Strategien und Narrative der Manosphere und antifeministischer Influencer*innen, u. a. am Beispiel der Kampagne #Gamergate.

Drei Texte widmen sich Session 6: Digitale Gewalt. Zunächst beschreibt Simone Rafael den digitalen Raum für Frauen als Ort des Empowerments, der aber keinen Safe Space darstellt. Im Gegenteil: Online sichtbare Frauen sind massiv von digitaler Gewalt betroffen, die oft zu Bedrohungen und Gewalt im Offline-Raum wird. Laura Dellagiacoma stellt in einem empirischen Beitrag die Daten einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage zu intersektionaler Betroffenheit und Auswirkungen von Online-Hassrede vor. Der Beitrag von Ines Karl schildert die Bemühungen und Erfolge der Berliner Staatsanwaltschaft seit 2012, eine höhere Anzeigenbereitschaft bei Hasskriminalität zu erreichen, unter anderem durch eine enge Zusammenarbeit mit den zivilgesellschaftlichen Communitys. In der ebenfalls verschriftlichten zweiten Podiumsdiskussion der Fachtagung (nur in der Online-Version) haben Josephine Ballon, Sonja Hentrich & Ann-Sophie Bohm unter Moderation von Viktoria Kamuf integrierend die gewonnenen Erkenntnisse und Handlungsperspektiven diskutiert. Für die zivilgesellschaftliche Perspektive lässt sich beispielsweise festhalten, dass es sich lohnt und wichtig ist, Räume einzunehmen und sich laut, sichtbar und bestimmt gegen antifeministische Bewegungen zu stellen.

Ergänzend berichtet Jolanda Krok von einer empirischen Studie, die nicht Teil der Fachtagung war, den Band aber inhaltlich erweitert. Sie liefert Antworten auf die Frage, inwiefern bestimmte Diversitätsmerkmale (z. B. Geschlecht, sexuelle Orientierung, ethnische Zugehörigkeit) mit dem Erleben von Belästigung im öffentlichen Raum zusammenhängen und wie spezifische Kombinationen dieser Merkmale intersektional in spezifischen Erfahrungen resultieren.

Wie üblich schließt der Band mit der Rubrik Aktuelles aus der Forschung, in der Zusammenfassungen ausgewählter wissenschaftlicher Veröffentlichungen zu den Themenbereichen „Rechtsextremismus- und Demokratieforschung“ sowie „Vielfalt, Engagement und Diskriminierung“ kompakt dargestellt sind.

Diese Tagungsdokumentation dient dem Dialog zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Sphären. Die Inhalte der Fachtagung werden daher einem breiten Publikum dauerhaft zur Verfügung gestellt. Damit sollen aktuelle und zukünftige theoretische und praktische Debatten zum Thema bereichert werden, um Antifeminismus und Hasskriminalität wirksamer bekämpfen zu können, den demokratischen Zusammenhalt zu erhöhen und letztendlich eine gerechtere Gesellschaft für alle zu erreichen.

Finanziert wurde die Veranstaltung aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung sowie der Bundeszentrale für politische Bildung. Ein herzliches Dankeschön dafür!

___________

1    In diesem Band verwenden die Autor*innen unterschiedliche deutsche und englische Akronyme synonym als Sammelbegriffe zur Benennung von Personen, die nicht hetero und/oder cis sind – darunter LSBT, LSBTI, LSBTIQ, LSBTIQA, sowie LGBTI, LGBTIQA, LGBTIQ+, LGBTQIA*.

2    Dabei unterscheiden sich die Druck- und die Online-Ausgabe dieses Bandes: Aus Platzgründen sind die beiden Podiumsdiskussionen, die im Rahmen der Fachtagung stattgefunden haben, nur im digitalen Online-Format enthalten. In der Online-Ausgabe sind darüber hinaus zwei weitere Veranstaltungen schriftlich dokumentiert: das Online-Gespräch „… Nur halb so viel wert wie ein Mann“ sowie das digitale Podiumsgespräch „Transfeindlichkeit als antifeministische Strategie“. Die Online-Version des Bandes findet sich hier: https://www.idz-jena.de/schriftenreihe/ueber-die-schriftenreihe.