Problembeschreibung: Antifeminismus, geschlechtsspezifische Gewalt und Hasskriminalität

Empfohlene Zitierung:

Hartmann, Ans/Rahner, Judith (2023). Antifeminismus, geschlechtsspezifische Gewalt und Hasskriminalität. In: Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (Hg.). Wissen schafft Demokratie. Schwerpunkt Antifeminismus & Hasskriminalität, Band 13, Online-Ausgabe. Jena, 20–33.

 

Schlagwörter:

Antifeminismus, Frauenfeindlichkeit, Sexismus, geschlechtsspezifische Gewalt, queerfeindliche Gewalt, Hasskriminalität

 


Antifeminismus zeigt sich in vielen Formen, eine davon ist geschlechtsspezifische Gewalt. Obwohl frauen- und queerfeindliche Gewalt ein weitverbreitetes Problem sind, ist das Dunkelfeld zur Erfassung dieser Gewaltform weiterhin groß. Der vorliegende Beitrag fasst bestehende Studienergebnisse zusammen und zeigt, wie und warum offizielle Datenerfassungen von zivilgesellschaftlichen Berichten abweichen. Hierdurch wird die Notwendigkeit deutlich, Antifeminismus und geschlechtsspezifische Gewalt als Hasskriminalität anzuerkennen. Die konkreten Auswirkungen auf Betroffene werden an den Beispielen des Silencing und digitaler Gewalt dargestellt, die zu einer Verdrängung von Frauen und queeren Menschen aus dem öffentlichen Raum führen soll – klar eine antifeministische Strategie.


Einleitung

Nach dem Grundgesetz hat der Staat die Aufgabe, die Gleichberechtigung von Frauen und Männern nicht nur rechtlich zu gewähren, sondern aktiv auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuarbeiten. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2017 gilt dieser Grundsatz auch für Menschen, deren Geschlecht nicht den binären Kategorien (Mann/Frau) entspricht. Trotz dessen ist Sexismus, also die Diskriminierung aufgrund des (zugeschriebenen) Geschlechts, eine häufig gemachte Erfahrung, insbesondere von nicht cis männlichen Personen. So beschreiben laut Statistischem Bundesamt (2019) in der Altersgruppe von 16- bis 24-jährigen Frauen in Deutschland rund 68 %, Sexismus bereits erlebt zu haben.

Eng verbunden mit sexistischen und frauenfeindlichen Einstellungen ist der Antifeminismus. Verstanden werden kann dieser als Reaktion auf die feministischen Errungenschaften der Frauen- und Emanzipationsbewegungen. Als Weltanschauung und teils organisierter Widerstand richtet er sich in Wort und Tat gegen Frauen und LGBTIQA+1. Auch Einrichtungen und Organisationen, die sich für Gleichstellung der Geschlechter, gegen Sexismus oder für die Stärkung geschlechtlicher und sexueller Selbstbestimmung einsetzen, sind betroffen. Antifeminismus ist ein „zutiefst politisches Ressentiment, das tiefe historische Wurzeln hat und fest mit der Aufrechterhaltung patriarchaler Strukturen verknüpft ist“ (FE.IN 2019, 22). Antifeminismus ist „mehr als bloße Gegenbewegung zu feministischen Kämpfen“, sondern vielmehr eine „eigenständige Ideologie“ (fempi Netzwerk 2022, 5). Durch die breite Anschlussfähigkeit des Antifeminismus aufgrund seiner sozialen Akzeptanz besitzt er eine „Scharnierfunktion“ (Lang/Peters 2015) zu antidemokratischen und rechtsextremen Ideologien2 und ist grundlegend anschlussfähig an weitere menschenfeindliche Ideologien, wie Rassismus, Antisemitismus oder Rechtsextremismus. Die breite Akzeptanz zeigt sich auch in den Ergebnissen der Leipziger Autoritarismusstudien (Decker et al. 2022), welche antifeministische Einstellungen als wesentlichen Teil von autoritärem Denken und rechter Ideologie interpretieren. Hierbei ist über die letzten Jahre eine Zunahme der Zustimmung zu antifeministischen Aussagen zu konstatieren. Im Mittel stimmten ein Viertel aller Befragten antifeministischen Aussagen zu. 27 % der Befragten sind beispielsweise der Meinung, dass sich Frauen, „die mit ihren Forderungen zu weit gehen, sich nicht wundern müssen, wenn sie wieder in ihre Schranken gewiesen werden“. Im Mittel stimmen rund ein Viertel der Befragten der Aussage zu, Frauen würden Schilderungen zu sexualisierter Gewalt häufig übertreiben, um Vorteile aus der Situation zu schlagen. Das offenbart, wie eng Debatten zu geschlechtsspezifischer Gewalt mit Antifeminismus verbunden sind und sich zum Beispiel in sogenanntem „Victim Blaming“3 zeigen.

Die Begriffstrennung zwischen Antifeminismus, Sexismus und Frauenhass ist eine notwendige analytische Beschreibung. In der Praxis und der Beschreibung von Gewalterfahrungen lassen sie sich als Phänomene nicht immer klar voneinander abgrenzen, denn eine sexistische Haltung ist nicht zwangsläufig in einem antifeministischen Weltbild begründet, jedoch ist sie häufig die Voraussetzung für einen antifeministisch motivierten Angriff oder geschlechtsspezifische Hasskriminalität. Dennoch ist die Kategorie „Antifeminismus“ wichtig, um die Abwertungen von feministischen Emanzipationsbewegungen als politische Strategie und Teil organisierter Gegenbewegungen verstehen und beschreiben zu können. Antifeminismus äußert sich in konkreten Angriffen. Aber genauso sind Erzählungen und Ideen, die sich als antifeministisch beschreiben lassen, sehr virulent in gesellschaftlichen Debatten um Geschlechtergerechtigkeit, Gleichstellung und Selbstbestimmung – und weisen dabei häufig Bezüge zu weiteren menschenfeindlichen Ideologien auf4.

So lässt sich etwa der Wirkmächtigkeit antifeministischer Narrative, die sich systematisch auf eine „natürliche“ bzw. „biologisch begründete“ Geschlechterordnung beziehen, nicht allein mit einer Analyse der darin enthaltenen sexistischen und frauenfeindlichen Einstellungen begegnen. Die Verteidigung natürlicher Zweigeschlechtlichkeit, stereotyper Geschlechterrollen von Mann und Frau sowie einer „traditionellen“ Familienführung sind zwangsläufig verbunden mit der strategischen Diffamierung und Pathologisierung von queeren Menschen. So legitimieren antifeministische Feindbilder u. a. Gewalt gegenüber Personen aus der LGBTIQA+-Community, welche als unnatürlich und teilweise auch als gefährlich dargestellt werden.

Die breite, gesellschaftlich verankerte Akzeptanz sexistischer, frauenfeindlicher Einstellungen ermöglicht und begünstigt geschlechtsspezifische Gewalt. Antifeminismus legitimiert systematisch geschlechtsspezifische Gewalt. Äußert sich Antifeminismus in Angriffen und Gewalt gegen Einzelpersonen oder feministische Organisationen und Strukturen, ist immer auch das damit verbundene feministische Feindbild gemeint. Antifeministisch motivierte Gewalt erfüllt dabei verschiedene Funktionen. Sie bedroht und verunmöglicht Selbstbestimmung und Teilhabe, schränkt zivilgesellschaftliche und politische Diskurs- und Handlungsräume ein und vermittelt damit immer auch eine politische Botschaft. Das Ausmaß und die Auswirkungen geschlechtsspezifischer Gewalt machen deutlich, wie notwendig die kritische Auseinandersetzung mit damit zusammenhängenden sexistischen, frauenfeindlichen Einstellungen und antifeministischen Bestrebungen ist. Im Folgenden wird demgemäß ein Ausschnitt der bisherigen Studienlage zu geschlechtsspezifischer Gewalt und Hasskriminalität diskutiert.

Formen und Ausmaß von geschlechtsspezifischer Gewalt und Hasskriminalität

Definitionen und Kriminalitätsstatistik

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) definiert geschlechtsspezifische Hasskriminalität als Straftaten, die durch Vorurteile gegenüber dem Geschlecht einer Person motiviert und als Folge geschlechtsspezifischer Ungleichheiten anzusehen sind (OSZE 2021). Solche Straftaten richten sich gegen Personen, Eigentum oder Vereinigungen, die mit Personen oder Gruppen verbunden sind, aufgrund ihres tatsächlichen oder vermeintlichen Geschlechts. Häufig ist auch eine, aus Sicht der Täter*innen, Abweichung von vermeintlichen Geschlechternormen Teil der Tatmotivation. Danach kann jede*r unabhängig von Geschlecht Opfer von geschlechtsspezifischer Hasskriminalität werden. Frauen und Mädchen sind allerdings überproportional häufiger betroffen. Geschlechtsspezifische Gewalt wird laut OSZE als geschlechtsspezifische Hasskriminalität eingeordnet, wenn Täter*innen während des Vorfalls geschlechtsspezifische Vorurteile zum Ausdruck bringen – also zum Beispiel sexistische Beleidigungen oder Vorurteile zur Rolle von Frauen im Privaten oder in der Öffentlichkeit verbreitet werden. Vorurteilsindikatoren und bestimmte Fragen zu vorurteilsbasierten Motivlagen können bei der Einordnung helfen, bspw.: Sind Betroffene der Ansicht, dass es sich um eine Tat aufgrund des Geschlechts der betroffenen Person handelt? Ist die betroffene Person Feminist*in, LGBTIQA+-Aktivist*in oder setzt sich für Gleichstellung und gegen Sexismus ein?

Das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) definiert unter geschlechtsbasierter Gewalt alle Gewaltformen, die Menschen aufgrund normativer Geschlechtervorstellungen, ihrer Sexualität oder Geschlechtsidentität oder ihres Geschlechtsausdrucks erfahren (ECCHR o. J.) – und sie hat ein gigantisches Ausmaß. Geschlechtsspezifische Hasskriminalität und Gewalt an Frauen und marginalisierten Geschlechtern sind Ausdruck patriarchaler Machtverhältnisse und haben viele Gesichter: u. a. Partnerschaftsgewalt, sexualisierte Gewalt, sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz und im öffentlichen Raum, Stalking, Menschenhandel, psychische und digitale Gewalt oder Femizide. Statistisch gesehen versucht täglich ein Mann in Deutschland, seine (Ex-)Partnerin umzubringen. An jedem dritten Tag gelingt ihm das. 2021 wurden in Deutschland 113 Frauen durch ihren (Ex-)Partner ermordet. 115.342 Frauen erlebten 2021 in (Ex-)Partnerschaften geschlechtsspezifische Gewalt (Bedrohung, Vergewaltigung, Körperverletzung, Nötigung etc.), so Zahlen des Bundeskriminalamts aus dem Jahr 2022 (Bundeskriminalamt 2021)5. Diese Zahlen zeigen aber lediglich das Hellfeld, denn nur ein Bruchteil der geschlechtsbasierten Fälle wird bei Strafverfolgungsbehörden überhaupt angezeigt (Hellmann 2018).

Geschlechtsspezifische Gewalt: ein großes Dunkelfeld

Die sogenannte Dunkelfeldforschung zum tatsächlichen Ausmaß und zur Verbreitung von Gewalterfahrungen wird seit vielen Jahren in Deutschland vernachlässigt. Die Zahlen und Daten sind dementsprechend veraltet, nicht miteinander vergleichbar oder fokussieren mit dem Thema Partnerschaftsgewalt zwar eine wichtige, aber nicht erschöpfende Facette von Gewalt. Repräsentative Daten zur Gewaltbetroffenheit von Frauen in Partnerschaften stammen beispielsweise aus dem Viktimisierungssurvey „Sicherheit und Kriminalität in Deutschland 2020“ (SKiD 2020) oder aus der Studie des BMFSFJ (2005) zur „Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland“. Danach haben 25 % der Frauen mindestens einmal in ihrem Leben körperliche/oder sexualisierte Partnerschaftsgewalt erlebt. Die aktuellsten deutschlandweiten Daten zur Gewaltbetroffenheit von Frauen, auch außerhalb von Partnerschaftsgewalt, sind fast 10 Jahre alt und stammen aus einer europaweiten Befragung der European Union Agency for Fundamental Rights (FRA). Demnach haben 3 % innerhalb der letzte 12 Monate Gewalt erlebt (FRA 2014).

Intersektionalität geschlechtsspezifischer Gewalt

Eine bessere Studienlage unter mehrdimensionaler Perspektive ist dringend notwendig. So weisen Verbände und Beratungsstellen für geschlechtsspezifische Gewalt ebenso wie internationale Studien regelmäßig darauf hin, dass sich für die meisten Formen geschlechtsspezifischer Gewalt und Hasskriminalität der Anteil der Betroffenen erhöht, wenn weitere Marginalisierungen oder strukturelle Faktoren berücksichtigt werden. Eine erstmals repräsentative Studie über die „Lebenssituation und Belastungen von Frauen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen in Deutschland“ ergab, dass fast 50 % der Befragten in ihrem Leben sexualisierte Gewalt erfahren und behinderte Frauen doppelt so häufig körperliche Gewalt erleben wie nicht behinderte Frauen (BMFSFJ 2013). In einer Studie von LesMigras zu Gewalt- und (Mehrfach-)Diskriminierungserfahrungen von lesbischen, bisexuellen Frauen und trans Personen in Deutschland gaben 65 % der Befragten an, in der Öffentlichkeit von Fremden beschimpft oder beleidigt worden zu sein, 22 % erlebten sexualisierte Übergriffe im öffentlichen Raum (LesMigraS 2012). Das Trans Murder Monitoring der Menschenrechtsorganisation TGEU dokumentiert jährlich die Zahl bekannt gewordener Morde an trans, nicht binären und gender-nonkonformen Personen. Jedes Jahr zeigen die Daten, dass die Mehrzahl der Getöteten trans Frauen oder transfeminine Personen sind, die Schwarz, indigen oder of Color sind. Viele davon waren migrantisiert und/oder Sex-Arbeiter*innen (BVT 2022). Geflüchtete Frauen und Mädchen erfahren massive Gewalt auf der Flucht und in Unterkünften. Ihre Recht auf Gewaltschutz wird in Deutschland regelmäßig untergraben.

Hasskriminalität erfassen und verfolgen

Genaue Zahlen zu geschlechtsspezifischer Gewalt und Hasskriminalität außerhalb von Partnerschaften wurden bisher weder von Sicherheitsbehörden noch Dunkelfeldforschung erfasst, sodass hier weder das Hellfeld noch das Dunkelfeld bekannt ist. UN Women Deutschland forderte neben engagierten (Frauen-)Fachverbänden schon längere Zeit, die Aufnahme frauenfeindlicher Gewalt und Frauenhass als eigene Kategorie in der Polizeilichen Kriminalstatistik aufzunehmen, damit strukturelle Ursachen, z. B. hierarchische Geschlechterverhältnisse, Unterdrückung und Misogynie, nicht als „Familien- oder Beziehungsdrama“ individualisiert, verharmlost und verkannt werden (UN Women Deutschland 2021). Immerhin ist die besondere Bedeutung von auf das Geschlecht zielenden Herabwürdigungen und Drohungen im Jahr 2020 von der Großen Koalition im Entwurf eines Gesetzes zur „Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität“ berücksichtigt worden (Deutscher Bundestag 2020). 2021 hat das BKA für die Erfassung politisch motivierter Straftaten bzw. Kriminalität (PMK) die Kategorien „frauenfeindlich“, „geschlechtsbezogene Diversität“ eingeführt. Die zuvor 2020 eingeführte Kategorie „Geschlecht/sexuelle Identität“ wurde damit ausdifferenziert. Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Bekämpfung von geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichteten Straftaten“ stellt in ihrem ersten Sachstandsbericht 2021 allerdings ernüchtert fest: „Die bisher […] im Themenfeld ‚Geschlecht/sexuelle Identität‘ erfassten Fallzahlen sind außergewöhnlich niedrig.“ (Landeskriminalamt Baden-Württemberg 2021)

Eine Auseinandersetzung mit geschlechtsspezifischer und antifeministisch motivierter Gewalt kann ohnehin nie allein anhand straftatbestandsorientierter Kategorien oder Statistiken aus dem Hellfeld erfolgen. Schon immer waren es feministische und betroffenenorientierte Bewegungen und Debatten, die das gesellschaftliche und rechtsstaatliche Problembewusstsein schärften – immer auch gegen antifeministische Widerstände. Für viele Betroffene ist es nicht leicht oder nicht möglich, sich an Beratungsstellen zu wenden oder Vorfälle bei der Polizei anzuzeigen. Betroffene von Frauenfeindlichkeit, Sexismus oder Queerfeindlichkeit fühlen sich häufig nicht ernst genommen. Strafverfolgungs- und Ermittlungsbehörden fehlt es an Strukturen für Sensibilisierung und Kompetenzaufbau6. Denn selbst strafrechtlich relevante Fälle, die angezeigt werden, gehen nicht immer in polizeiliche Statistiken ein. Sie werden nur selten strafrechtlich verfolgt oder gar verurteilt und in den seltensten Fällen als politisch motivierte Hasskriminalität erfasst. Wie weit Hell- und Dunkelfeld auseinanderfallen, zeigen Statistiken zu Hasskriminalität: Laut OSZE7 wurden 2021 in Deutschland 10.501 Fälle von Hasskriminalität bei der Polizei angezeigt. Lediglich 370 Fälle – also nur 3,5 % – entfallen dabei auf „gender-based hate crime“8. Wie wenig diese Zahlen die Realität widerspiegeln, zeigt ein Blick in die aufgeschlüsselten Zahlen des OSZE-Datenreports (OSZE 2021b): 2021 ist nur ein einziger Fall von sexueller Belästigung in der Statistik aufgeführt. Im Report ergänzt werden die offiziellen, also bei der Polizei angezeigten Zahlen, durch gemeldete Zahlen zivilgesellschaftlicher Monitoring- und Meldestellen, beispielsweise Zahlen für antisemitische Hasskriminalität (873 Fälle) durch das Recherche- und Informationszentrum Antisemitismus (RIAS), Hasskriminalität gegen LGBTI (203 Fälle) von MANNEO (das schwule Anti-Gewalt-Projekt in Berlin e. V.) oder Fälle rassistischer und antisemitischer Hasskriminalität (898 Fälle) des Verbandes der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG).

Auswirkungen von geschlechtsspezifischer Gewalt und Hasskriminalität für Betroffene

Geschlechtsspezifische Gewalt hat körperliche, seelische und sozioökonomische Folgen. Betroffene werden nicht zuletzt an einer gleichberechtigten und umfassenden Teilhabe am gesellschaftlichen Leben gehindert. Gewalt umfasst und betrifft ein breites Spektrum an Kontexten. Familie, Partnerschaft, Arbeitsplatz, Schule oder auch der öffentliche Raum können Schauplatz von Gewalt sein.

Silencing: Wie Frauen aus der Öffentlichkeit gedrängt werden

Spezifischen Formen von Gewalt sind politisch und ehrenamtlich aktive Frauen, die sich kommunalpolitisch bzw. gleichstellungspolitisch engagieren, ausgesetzt. Neben politisch motivierten Angriffen, die auch ihre männlichen Kollegen betreffen, können sich Anfeindungen und Angriffe auf ihr Frausein beziehen und von antifeministischen Haltungen bis hin zu offenem Frauenhass motiviert sein. Frauen sind nach wie vor unterrepräsentiert und besitzen nur etwa ein Drittel der kommunalen Mandate. Sie sind Beleidigungen, Drohungen und tätlichen Angriffen ebenso ausgesetzt wie ihre männlichen Kollegen, allerdings ist verbale Gewalt gegen Frauen bei etwa der Hälfte mit sexualisierter Gewalt und Angriffen aufgrund ihres Geschlechts verbunden (Heinrich-Böll-Stiftung 2021). Betroffene Bürgermeisterinnen berichten häufiger von Übergriffen während der Ratsversammlung als ihre männlichen Amtskollegen (Körber-Stiftung 2021). Bei vielen zeigen die Angriffe Wirkung: Mehr als ein Drittel verhält sich vorsichtiger und misstrauischer, einige meiden bestimmte Orte oder Veranstaltungen. Ebenfalls über ein Drittel verzichtet auf die Nutzung sozialer Medien, ein Teil äußert sich zu bestimmten Themen seltener als früher. In der Expertise „Auswirkungen von Antifeminismus auf Frauenverbände“, die die Amadeu Antonio Stiftung im Auftrag des Deutschen Frauenrats erarbeitet hat, wird aufgezeigt, dass eine Normalisierung antifeministischer Positionen die Arbeit frauenpolitisch engagierter Personen zunehmend erschwert (vgl. AAS et al. 2020).

„Von ‚shrinking spaces‘ oder ‚closing civic spaces‘ ist dann die Rede: dem (erzwungenen) Rückzug zivilgesellschaftlicher Akteur*innen, als Folge von Diffamierungen, Drohungen und Gewalt sowie den damit einhergehenden Einschränkungen zivilgesellschaftlicher Handlungsspielräume“ (Behringer 2021, zit.n. Eltze 2021, 62).

Digitalisierung der Gewalt

Der Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff) weist bereits seit einiger Zeit darauf hin, dass sich Formen geschlechtsspezifischer Gewalt im sogenannten sozialen Nahraum, z. B. (Ex-)Partnerschaftsgewalt, zwangsläufig ebenso digitalisieren (Bauer et al. 2021, 63ff.). Durch die Weiterentwicklung von Informations- und Kommunikationstechnik ergeben sich kontinuierlich neue Tatmittel und Gewaltstrategien (Bauer et al. 2021, 311ff.). In einer Umfrage zu den Auswirkungen und Herausforderungen in der Beratung und Unterstützung bei digitaler geschlechtsspezifischer Gewalt nennen Berater*innen der Fachberatungsstellen Frauen mit einem unsicheren Aufenthaltsstatus oder in prekären Lebensverhältnissen, Frauen mit Lernschwierigkeiten, Frauen in Trennungssituationen oder mit gewalttätigen Ex-Partnern, die Umgangsrecht mit gemeinsamen Kindern haben, als besonders gefährdet und verletzlich im Kontext digitaler Gewalt (Hartmann 2017, 6f.).
Laut einer Studie von Amnesty International führt digitale Gewalt zu Stress, Angststörungen, Konzentrationsmangel und Panikattacken bei den Betroffenen – und zu einer Normalisierung misogyner Gewalt in öffentlichen Räumen. Digitale Gewalt kann zudem zum Rückzug und zu einer Beeinträchtigung digitaler Teilhabe führen. Die Studie macht deutlich, dass von Rassismus betroffene Frauen, trans und nicht binäre Personen sowie Frauen mit Behinderungen in besonderer Qualität und Quantität von digitaler Gewalt in sozialen Netzwerken betroffen sind (Amnesty International 2018).

Fazit

Geschlechtsspezifische Gewalt ist eine Menschenrechtsverletzung. Es braucht alle gesellschaftliche Anstrengung und Ernsthaftigkeit, um sie einzudämmen und Betroffene besser zu schützen. Stattdessen werden Geschlechtergerechtigkeit, Antidiskriminierungs- und Gleichstellungspolitiken, körperliche und geschlechtliche Selbstbestimmung sowie (rechtliche) Errungenschaften der Frauenbewegungen als demokratische Grundwerte aus antifeministischen Milieus angegriffen und infrage gestellt. Antifeminismus, Geschlechter- und Familienpolitik müssen als zentrales Mobilisierungsfeld autoritärer und demokratiefeindlicher Kräfte ernst genommen werden. Eine Möglichkeit, vorhandene Daten- und Wissenslücken zu füllen und der Unterrepräsentation von Betroffenenperspektiven entgegenzuwirken, kann ein zivilgesellschaftliches Monitoring und die systematische Erfassung von Betroffenenerfahrungen sein. Für den Bereich Antifeminismus hat sich dies die Fachstelle „Gender, Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Rechtsextremismus“ der Amadeu Antonio Stiftung zur Aufgabe gemacht. Die Meldestelle Antifeminismus dokumentiert seit Februar 2023 antifeministische Vorfälle und Angriffe, die Betroffene über die Webseite antifeminismus-melden.de übermitteln können.

Zivilgesellschaftliches Handeln und die Sichtbarkeit wie auch Sicherheit von Frauen und LGBTIQA+ wird durch Sexismus und Antifeminismus permanent angegriffen und eingeschränkt. Selbstermächtigung soll so verunmöglicht werden. Dabei ist es gerade die Sichtbarkeit der Perspektiven Betroffener und die (sichere) Möglichkeit, Antifeminismus, geschlechtsspezifische Gewalt und Hasskriminalität in ihren spezifischen Grundlagen und multidimensionalen Folgen zu benennen und zu diskutieren, die solidarische Praxen und tatsächliche Verbündetenschaft ermöglichen.

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1     In der Forschung werden häufig „Frauen“ und „LGBTIQA+“ als Betroffenen-Gruppen geschlechtsspezifischer und/oder antifeministische Gewalt benannt. So soll i.d.R. verdeutlicht werden, dass Frauenfeindlichkeit und Antifeminismus Frauen adressiert und Geschlechternormen bzw. Diskriminierungsverhältnisse in Bezug auf sexuelle Orientierung, Geschlechtsausdruck, marginalisierte Geschlechter usw. eine Rolle spielen, sodass LGBTIQA+ ebenfalls und spezifisch betroffen sind. Problematisch hierbei ist, dass es Überschneidungen zwischen den Gruppen gibt, welche so sprachlich differenziert werden. Zudem sollte festgehalten werden, dass geschlechtsspezifische Gewalt und Hasskriminalität aus der frauenfeindlichen, sexistischen und geschlechternormativen Einstellung und Tatmotivation der Täter*innen resultiert, die oft unabhängig von tatsächlichem Geschlecht und Selbstverständnis der Betroffenen ausagiert wird.

2     Dass auch sexistische Einstellungen eng mit menschenfeindlichen und autoritären Einstellungen zusammenhängen, ist ebenfalls in wissenschaftlichen Studien gemessen und belegt (vgl. BMFSFJ 2018; Zick/Küpper 2021).

3     Das Verantwortlichmachen Gewaltbetroffener für die ihnen widerfahrene Gewalt, häufig auf Grundlage oder in Verbindung mit sexistischen Stereotypen und Vergewaltigungsmythen.

4     Die Entfaltung antifeministischer Erzählungen ist häufig auf weitere menschenfeindliche Ideologien angewiesen. So wie es der Fall ist, wenn feministische Themen antifeministisch instrumentalisiert werden und bspw. der Schutz von Frauen vor Gewalt nur dann propagiert wird, wenn dabei rassistische Ideen und Botschaften zum Tragen kommen.

5     Etwa 80 % der in der kriminalstatistischen Auswertung für das Jahr 2021 erfassten Opfer von Partnerschaftsgewalt in Deutschland sind Frauen und etwa 80 % der Taten werden von Männern begangen (Bundeskriminalamt 2022). Dieses Verhältnis ist ein Indikator dafür, dass „Männlichkeit“ und Gewaltausübung sehr eng miteinander verwoben sind.

6     Notwendig sind ebenso Informations- und Sensibilisierungsmaßnahmen, die Ermittlungsbehörden wichtige Hilfestellung bei der Ermittlung der Motive und der Zuordnung der Straftaten in der Statistik leisten können.

7     Als OSZE-Teilnehmerstaat hat sich Deutschland verpflichtet, Statistiken über Hasskriminalität zu erheben und die OSZE regelmäßig darüber zu unterrichten. Hinzu kommt die Verpflichtung, Maßnahmen zur Aus- und Weiterbildung und zum Kapazitätsaufbau für Strafverfolgungs-, Staatsanwalts- und Justizbereich weiterzuentwickeln.

8     Hingegen 9.236 rassistisch motivierte Hasskriminalität oder 3.027 antisemitische Straftaten.

 


Ans Hartmann arbeitet bei der Amadeu Antonio Stiftung zu Antifeminismus und Rechtsextremismus. Weitere Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: digitale Gewalt, kontextualisierte Traumaarbeit und feministische Beratungsarbeit.
Judith Rahner studierte Gender-Studies, Musik- und Erziehungswissenschaften und ist Leiterin der Fachstelle Gender, GMF und Rechtsextremismus bei der Amadeu Antonio Stiftung.

Mehr Informationen zur bundesweiten Meldestelle Antifeminismus unter antifeminismus-melden.de.


 

Literaturverzeichnis

 

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