Antifeminismus als autoritäre Krisenreaktion? Sozialpsychologische Perspektiven auf die Ergebnisse der Leipziger Autoritarismus Studie 2022

Empfohlene Zitierung:

Niendorf, Johanna/Rodemerk, Henriette (2023). Antifeminismus als autoritäre Krisenreaktion? Sozialpsychologische Perspektiven auf die Ergebnisse der Leipziger Autoritarismus Studie 2022. In: Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (Hg.). Wissen schafft Demokratie. Schwerpunkt Antifeminismus & Hasskriminalität, Band 13, Online-Ausgabe. Jena, 86–99.

Schlagwörter:

Autoritarismus, Antifeminismus, Ressentiment, Feindbilder, Männlichkeit, Sozialpsychologie, Leipziger Autoritarismus Studie

 


Die Ergebnisse der Leipziger Autoritarismus Studie 2022 zeigen, dass antifeministische Einstellungen in der deutschen Gesellschaft weitverbreitet sind. Gleichzeitig stehen sie in einem engen Zusammenhang mit anderen autoritären Orientierungen und menschenfeindlichen Einstellungen. In dem Beitrag ordnen wir diese Ergebnisse im Kontext der Autoritarismforschung ein. Aus einer sozialpsychologischen Perspektive gehen wir dabei der Frage nach, welche psychodynamischen Funktionen Antifeminimsmus haben kann. Dabei analysieren wir Antifeminismus sowohl als Ideologie im Sinne einer grundlegenden Weltanschauung als auch in Bezug auf psychische Konflikte und ihre Verarbeitungsmuster auf der Ebene des Ressentiments. Es zeigt sich, dass Antifeminismus in als krisenhaft wahrgenommenen Zeiten ein Phantasma von Ordnung, Stabilität und Sicherheit bietet.


Einleitung

Angesichts der Ergebnisse der aktuellen Leipziger Autoritarismus Studie (LAS) 2022 gibt es in Bezug auf antidemokratische und autoritäre Einstellungen in der deutschen Gesellschaft keinen Grund zur Beruhigung. Auch wenn, und das ist natürlich durchaus eine erfreuliche Nachricht, die manifeste Zustimmung zu rechtsextremen Aussagen abgenommen hat, zeigen sich konstant hohe Zustimmungswerte für Autoritarismus. Insbesondere bei antifeministischen Einstellungen lässt sich sogar ein Anstieg gegenüber der letzten Befragung aus dem Jahr 2020 erkennen (Decker et al. 2022). Somit kann nicht von einem Rückgang gesprochen werden, sondern vielmehr von einer Verschiebung der Motive autoritärer Orientierungen (ebd.). Antifeminismus spielt dabei für die Gefährdung der Demokratie eine tragende Rolle, auch mit Blick auf die Legitimation von Gewalt. Das lässt sich leider auch über die Einstellungsebene hinaus im Kontext rechtsterroristischer Angriffe, den konstant hohen Zahlen von Femiziden und der tagtäglichen Gewalt im digitalen Raum beobachten (Höcker et al. 2020; Kalkstein et al. 2022).

Im Folgenden diskutieren wir die Rolle, die Antifeminismus für autoritäre Orientierungen spielt und stellen die Ergebnisse der LAS 2022 in Bezug auf antifeministische Einstellungen vor. Zur Einordnung der Befunde umreißen wir Erklärungsfaktoren für die weite Verbreitung und diskutieren aus einer sozialpsychologischen Forschungsperspektive die Anziehungskraft und die Funktionen, die antifeministische Einstellungen als Phantasma von Ordnung, Stabilität und Sicherheit in krisenhaften Zeiten haben können.

 

Antifeminismus als autoritäre Orientierung

In der „Leipziger Autoritarismus Studie“ (bis 2016 als Leipziger „Mitte“-Studien bekannt, seit 2018 LAS, vgl. Decker et al. 2022b) werden seit nunmehr 20 Jahren politische Einstellungen und (anti-)demokratische Orientierungen in Deutschland erhoben und im Rahmen der Autoritarismusforschung kontextualisiert. Die zentrale Annahme ist, dass ein hohes Maß an Autoritarismus die Bereitschaft hervorbringt, andere Menschen abzuwerten und zu verachten, worunter auch antifeministische Einstellungen fallen. Um diesen Zusammenhang nachvollziehbar zu machen, soll kurz eingeordnet werden, was sowohl unter Antifeminismus als auch Autoritarismus zu verstehen ist, um die hohen Zustimmungswerte zu beiden Einstellungsmustern in der LAS 2022 entsprechend einordnen zu können.

 

Antifeminismus

Antifeminismus kann nach Lang/Peters (2018) allgemein als (organisierte) Gegnerschaft gegenüber feministischen Emanzipationsbestrebungen verstanden werden. Antifeministische Mobilisierungen weisen eine lange Tradition auf und begleiten die Frauenbewegung seit ihrem Beginn (vgl. Dohm, 1902). Dabei zeigt sich eine aufeinander bezogene Dynamik zwischen feministischen Kämpfen und den Gegenbewegungen daran, wie antifeministische Positionen inhaltlich ausgerichtet sind und welche Verschiebungen historisch stattfinden (Fritzsche 2022; Lang und Peters 2018): Gegenwärtig richten sich antifeministische Agitationen maßgeblich gegen eine Auspluralisierung von sexuellen, geschlechtlichen und familiären Lebensformen und die Vorstellung einer sozialen Gewordenheit von Geschlecht (Feindbild Gender).

Zudem lässt sich Antifeminismus nicht nur an bestimmten Akteurskonstellationen und Gruppen ausmachen, sondern ist als geteiltes soziales Phänomen in der Bevölkerung erkennbar, wie die Ergebnisse zeigen. In der Forschung zu Antifeminismus wird weiterhin darauf verwiesen, dass es empirisch betrachtet nicht den einen Antifeminismus gibt, sondern es sich vielmehr um verschiedene Strömungen handelt (Lenz 2018, 21; Henniger 2020). Da in den folgenden Ausführungen der Fokus auf die verbindenden Elemente gelegt wird, sehen wir es dennoch gerechtfertigt, in diesem Beitrag Antifeminismus im Singular zu verwenden (Birsl 2020, 44).

Mit einem ersten Blick auf das, was Antifeminismus inhaltlich zusammenhält, wird klar, dass es in der Positionierung gegen feministische Anliegen um Konflikte in Bezug auf Geschlechterverhältnisse geht. Sind diese hierarchisch organisiert, so werden darüber hinaus auch Machtverhältnisse verhandelt. Folgt man hier der Politikwissenschaftlerin Ingrid Kurz-Scherf (2002), dann steht im Feminismus nicht nur das Thema Geschlecht im Fokus, sondern als Emanzipationsbewegung geht es um die Demokratisierung bzw. Abschaffung aller gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisse (Kurz-Scherf 200, 45; Birsl 2020, 44–47). Gegen diese Demokratisierung wiederum richtet sich Antifeminismus, indem er das Ziel verfolgt, die bestehenden Herrschaftsverhältnisse zu stabilisieren, zu legitimieren und zu restaurieren (Fritzsche 2022; Lang und Fritzsche 2018, 340). An dieser Stelle deutet sich schon die Verbindungslinie zum Autoritarismus an. Zu dessen zentralen Bestandteilen zählen die Orientierung an einer hierarchischen Gesellschaftsordnung und die Vorstellung von auf Dominanz und Ungleichheit beruhenden (Geschlechter-)Verhältnissen.

 

Autoritarismus: Syndrom und Dynamik

Als besondere Form der Herrschaft basiert Autoritarismus nicht maßgeblich auf Zwang, sondern setzt eine freiwillige Unterwerfung unter Autoritäten voraus. Das bedeutet, es muss einen psychischen Gewinn, eine Funktion geben, welche die Individuen zu dieser Unterwerfung motiviert. Dieser Ausgangspunkt führt die Autoritarismusforschung seit ihren Anfängen zu der Frage, woher dieses Bedürfnis nach Unterwerfung kommt – auch um einen Blick auf Möglichkeiten der Veränderung zu eröffnen (Decker 2018, 32). So verweist die Analyse autoritärer Orientierungen sowohl auf soziale Verhältnisse, unter denen Menschen leben, als auch darauf, wie diese Verhältnisse subjektive Bedürfnisse und Handlungsmotivationen hervorbringen. Das bedeutet, Autoritarismus hat nach unserem Verständnis eine individuelle und eine gesellschaftliche Seite, die sich durch eine sozialpsychologische Perspektive aufeinander beziehen lassen, auch in Hinblick auf unbewusste Antriebe, die menschliches Handeln motivieren können.

In Bezug auf die individuelle Seite sprechen wir vom autoritären Syndrom, die gesellschaftliche Seite bezeichnen wir als autoritäre Dynamik. Gesellschaftliche Transformationsprozesse konfrontieren Individuen beständig mit Unsicherheit und erfordern mit den Veränderungen und einhergehenden Widersprüchen auf persönlicher und kollektiver Ebene umzugehen. Neben dieser konfliktreichen Herausforderung stellt die Gesellschaft dem Individuum lebensnotwendige Sicherheit und Schutz zur Verfügung. Leben in Gesellschaft bedeutet aber auch Anpassung und auf die Erfüllung bestimmter individueller Bedürfnisse zu verzichten oder sie in angepasster Form auszuleben. Mit diesem grundlegenden widersprüchlichen Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft können Aggressionen einhergehen, die sich in autoritärer Form gegen vermeintlich Abweichende, Unterlegene oder Schwächere richten. Dabei handelt es sich um die Verschränkung gesellschaftlicher Dynamiken und individueller autoritärer Reaktionen, die eine psychische Funktionen erfüllen (Decker et al. 2022b, 12).

Charakteristisch für das autoritäre Syndrom aufseiten der Individuen ist „die Affinität zu rigiden Ideologien, die es gestatten, sich gleichzeitig einer Autorität zu unterwerfen, an ihrer Macht teilzuhaben und die Abwertung anderer im Namen der Ordnung zu fordern“ (Decker 2018, 51). Weitere Elemente sind neben der autoritären Unterwerfung und der autoritären Aggression gegen Andere auch die Orientierung an konventionellen Werten (Konventionalismus) und die Bereitschaft, an das Wirken ‚fremder Mächteʻ zu glauben, die im Hintergrund politische und gesellschaftliche Prozesse lenken (Projektivität mit den Dimensionen Verschwörungsmentalität und Aberglaube). Dass diese Komponenten mit der Entwicklung antidemokratischer, ethnozentrischer, rechtspopulistischer und extrem rechter Einstellungen maßgeblich zusammenhängen, ist vielfach empirisch belegt (vgl. Decker et al. 2020). Im Folgenden werden diese Elemente im Hinblick auf das Verständnis von Antifeminismus beleuchtet.

 

Das Autoritäre im Antifeminismus

Wendet man diese zuvor beschriebenen Elemente autoritärer Orientierungen auf antifeministische Einstellungen an, zeigen sich deutliche Verbindungslinien. So korrespondiert die für den Autoritarismus charakteristische Vorstellung einer hierarchischen Gesellschaftsordnung auch mit dem Festhalten an patriarchaler Herrschaft und an auf Ungleichheit basierenden, heteronormativen Geschlechterverhältnissen. Mit der Akzeptanz bzw. Unterwerfung unter die hegemoniale Geschlechterordnung geht die Verteidigung von konventionellen und starren Geschlechterrollen einher. Im Sinne einer sozialer Dominanzorientierung (Sidanius und Pratto 1999) auf Einstellungsebene findet sich darin der Wunsch wieder, durch Machtverhältnisse strukturierte soziale Beziehung zu bewahren und unter dem Eindruck von gesellschaftlicher Transformation aggressiv zu verteidigen. Da „[a]lles was an Aggression und Feindseligkeit vorhanden ist“ (Fromm 1999, 172f.), nicht gegenüber der Autorität geäußert werden kann, richtet sich die autoritäre Aggression gegen vermeintlich Schwächere, Abweichende und Widersacher*innen einer repressiven Ordnung. Damit werden im Antifeminismus Feminist*innen und queere Personen zu Feindbildern. Befördert wird dies durch ein Männlichkeitsideal, das an männlicher Überlegenheit und gewaltsamer Abwehr orientiert ist (Decker et al. 2022, 86). Bevor wir auf dieses Zusammenspiel von Ideologie und Ressentiment eingehen, werfen wir einen Blick auf die aktuellen Ergebnisse der Autoritarismus-Studie.

 

Befunde zu Autoritarismus und Antifeminismus: Ergebnisse LAS 2022

Im Rahmen der LAS 2022 wurden 2.522 in Deutschland lebende Personen in einer Altersspanne von 16 bis 91 Jahren nach ihren politischen Einstellungen befragt. Dabei erhielten die Befragten bei einem persönlichen Interview einen Fragebogen, den sie selbstständig ausfüllten. Ein solches Vorgehen hat den Vorteil, dass Befragte, beispielsweise im Vergleich zu einem Telefoninterview, eher bereit sind, offen auch sozial unerwünschte Vorstellungen anzugeben (Decker et al. 2022a, 32).

 

Ergebnisse Autoritarismus

Neben der Erfassung rechtsextremer Einstellungen ist die Untersuchung des autoritären Syndroms seit Beginn der Studienreihe im Jahr 2002 fester Bestandteil der Erhebung. Dabei werden die drei Elemente betrachtet, die zusammen eine sadomasochistische Dynamik bilden: erstens die Unterwerfung unter Autoritäten, zweitens die damit in Verbindung stehenden Aggressionen, die sich gegen sozial abweichendes Verhalten oder Personen bzw. soziale Gruppen richten, und drittens das Festhalten an einer bestehenden Ordnung (Decker et al. 2022a, 77).

Die Zustimmungswerte für 2022 zeigen, dass autoritäre Tendenzen in der deutschen Gesellschaft nach wie vor sehr weit verbreitet sind. Besonders die Items der autoritären Aggression finden breite Zustimmung in der Bevölkerung. Fast die Hälfte der Befragten (47,7 %) findet „Unruhestifter sollten deutlich zu spüren bekommen, dass sie in der Gesellschaft unerwünscht sind“. Auch beim Konventionalismus zeigen sich hohe Zustimmungswerte: 45,7 % finden „Traditionen sollten unbedingt gepflegt und aufrechterhalten werden“. Für die autoritäre Unterwürfigkeit fällt die Zustimmung etwas geringer aus, aber immer noch etwas mehr als ein Viertel findet: „Wir brauchen starke Führungspersonen, damit wir in der Gesellschaft sicher leben können“ (Decker et al. 2022a, 78). An diesen Zahlen zeigt sich das grundsätzlich antidemokratische Potenzial in einer Gesellschaft, hier noch unabhängig von konkreten politischen Zielen und Inhalten. An welche ideologische Begründung sich diese generelle Abwertungs- und Aggressionsbereitschaft anhaftet, ist auch davon abhängig, wie in der gesellschaftlichen Dynamik Widersprüche zutage treten und verhandelt werden. Antifeminismus kommt dabei gegenwärtig scheinbar eine wachsende Bedeutung zu.

 

Ergebnisse Antifeminismus

So zeigen die Ergebnisse für Antifeminismus zum einen, dass es sich kontinuierlich um ein breit geteiltes Phänomen handelt, welches für bis zu 25 % der befragten Personen anschlussfähig ist. Zum anderen ist die Zustimmung zu antifeministischen Aussagen im Vergleich zur Messung 2020 gestiegen. So vertreten 33 % der männlichen Befragten und 19 % der Frauen 2022 antifeministische Einstellungen (Kalkstein et al. 2022, 253).

Die Erfassung der Zustimmung zu einem gewaltbezogenen Männlichkeitsideal in der aktuellen LAS (Decker et al. 2022a, 75) ermöglicht ein differenziertes Bild zu Antifeminismus und Männlichkeit. So hat sich in der Berechnung der aktuellen Daten der Einfluss von (männlichem) Geschlecht vergleichsweise verringert, wohingegen ein an Gewalt und Härte orientiertes Bild von Männlichkeit antifeministische Einstellungen maßgeblich begünstigt. Weiterhin zeigt sich ein starker Zusammenhang zwischen antifeministischen und sexistischen Einstellungen, der nahelegt, dass die politische Gegnerschaft zu Emanzipationsbestrebungen in der Regel mit einer Fixierung auf traditionelle und heteronormative Geschlechterrollen einhergeht (Kalkstein et al. 2022, 258f.). Weiterhin steht Antifeminismus in enger Verbindung zu anderen vorurteilsmotivierten Abwertungsbereitschaften und Einstellungen, neben Sexismus ist insbesondere eine Nähe zu Homophobie und tradiertem Antisemitismus anhand der Datenauswertung zu erkennen (Kalkstein et al. 2022, 254f.). Signifikant und ebenfalls stark sind die Verbindungen sowohl zur sozialen Dominanzorientierung als auch zur Verschwörungsmentalität. Das Geflecht von Vorurteilen und Ressentiments erscheint maßgeblich durch autoritäre Aggression gegen vermeintlich Schwächere, Fremdes und Abweichendes zusammengehalten zu werden (Decker et al. 2022a, 67). Antifeministische Einstellungen sind fest in autoritäre Dynamiken eingebunden, wie die Korrelationen zu den Abwertungen weiterer sozialer Gruppen, aber auch die statistischen Zusammenhänge zu den Kerndimensionen des autoritären Syndroms verdeutlichen. In der aktuellen Studie zeigt sich erneut die Bedeutung von Antifeminismus als eine Variante rechtsautoritären Denkens (Kalkstein et al. 2022, 256f.). Wenig überraschend ist somit auch der starke Zusammenhang von Antifeminismus und rechtsextremer Einstellung. Die Orientierung an rechten Überzeugungen hängt neben autoritären Einstellungen maßgeblich mit antifeministischen Positionen zusammen.

Darüber hinaus spielen auch spezifische religiöse Vorstellungen eine Rolle. Die Zugehörigkeit zu einer religiösen Gemeinschaft an sich scheint keinen bedeutsamen Zusammenhang zum Antifeminismus aufzuweisen. Jedoch zeigt die Analyse einen deutlichen Effekt von dogmatischen und fundamentalistischen religiösen Vorstellungen für die Orientierung an antifeministischen Positionen (Kalkstein et al. 2022, 259f.). Zudem legt die statistische Analyse nahe, dass in der engen Verbindung von Antifeminismus und sozialer Dominanzorientierung die Funktion einer impliziten Verteidigung von (vorrangig androzentrischen) Machtstrukturen erfüllt wird. Feministische Emanzipation wird dabei zum politisch aufgeladenen Ziel der autoritären Abwertung. Damit dient antifeministische Ideologie als wichtige Grundlage rechter Mobilisierungsstrategien und bietet als Brückenthema Anschluss über (extrem) rechte Milieus hinaus (Höcker et al. 2020; Kalkstein et. al 2022).

 

Sozialpsychologische Erklärungsfaktoren

Doch wie lässt sich die weite Verbreitung antifeministischer Einstellungen erklären? Aus einer sozialpsychologischen Perspektive analysieren wir Antifeminismus sowohl als Ideologie im Sinne einer grundlegenden Weltanschauung als auch in Bezug auf psychodynamische Konflikte und ihre Verarbeitungsmuster auf der Ebene des Ressentiments. So lässt sich die Anziehungskraft antifeministischer Einstellungen aus zwei unterschiedlichen, aber miteinander verschränkten Blickwinkeln beleuchten.

 

Antifeminismus als Ideologie

Antifeminismus als Ideologie beinhaltet Weltanschauungen und Erklärungen über die Funktionsweise der Gesellschaft und die Rolle von Individuen darin. Zentral ist hier die Auffassung einer vermeintlich natürlichen Ordnung der Gesellschaft entlang der Kategorie Geschlecht (Kalkstein et al. 2022, 248). In dieser Vorstellung bestimmt die vermeintlich(e) (geschlechtliche) Ungleichheit von Menschen ihre Funktion für die Gesellschaft und Geschlecht fungiert als „sozialer Platzanweiser“ (Knapp 2012, 101).

Tragende ideologische Fragmente des Antifeminismus sind Sexismus und Misogynie, beide sind gesellschaftlich tief verankert und weit verbreitet (Kalkstein et al. 2022; Planert 1998; Schmincke 2018). Unter Sexismus kann der Glauben an natürliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern verstanden werden, wodurch traditionelle Rollenzuweisungen legitimiert werden (Heitmeyer 2002, 20). Misogynie beschreibt die Vorstellung einer grundsätzlichen Minderwertigkeit von Frauen (Planert 1998). Die natürliche Ordnung zwischen den Geschlechtern ist in der heterosexuellen Kleinfamilie aufgehoben, die als Norm gesetzt und als schützenswert gilt (Notz 2015). Sie fungiert als zentrale soziale Organisationsform in der Vermittlung zwischen Individuum und Gesellschaft und als Modell gesellschaftlicher Rollenerwartungen. Dementsprechend ist das Thema Familie für antifeministische Auseinandersetzung so zentral.

Die antifeministische Ideologie ist jedoch nicht nur durch ihren Glauben an eine natürliche Ordnung charakterisiert, sondern auch durch ein Bedrohungsszenario, das zur Konstruktion von Feindbildern führt. So überschreiten antifeministische Einstellungen sexistisches Denken und Handeln, indem sie neben einer Weltanschauung mit dem Kampf gegen ein Feindbild auch eine Handlungsoption aufzeigen, um der Bedrohung Herr zu werden (fempi 2022). Diese Feindbildkonstruktionen wiederum legitimieren Gewalt und tragen teilweise eindeutig antisemitische Züge (Birsl 2020, 44), ein Zusammenhang der sich auch bei der Einstellungsmessung gezeigt hat (Kalkstein et al. 2022, 225) und an historische Verbindungen von Antifeminismus und Antisemitismus anschließt (Dohm 1902; Hessel und Misiewicz, 2020).

Gleichzeitig und trotz dieser Feindbilder bietet die antifeministische Ideologie, auch aufgrund der weiten Verbreitung von Sexismus und den damit verbundenen familiären Normvorstellungen, eine breite Anschlussfähigkeit. Lang und Peters (2015) sprechen demzufolge von einer „Schanierfunktion” für verschiedene autoritäre Orientierungen und Blum (2021) bezeichnet Antifeminismus als „Türöffner” in ein rechtsextremes und antidemokratisches Denken.

 

Antifeminismus als Ressentiment

Als Türöffner kann auch das emotionale ‚Angebot‘ verstanden werden, welches Antifeminismus als Ressentiment bietet. So folgt Antifeminismus einem Bedürfnis und erfüllt eine psychische Funktion für die Menschen, die ihn teilen (Höcker et al. 2020). Charakteristisch für das antifeministische Ressentiment ist dabei zunächst ein emotionales Erleben von Kränkung, Bedrohung und Verlust bzw. von Angst und Verunsicherung: Die vermeintlich natürliche Gesellschafts- und Geschlechterordnung wird durch feministische Emanzipationsbestrebungen bedroht und stellt damit auch die reale Macht von Männern zur Disposition (Kalkstein et al. 2022, 248).

Jedoch bezieht sich das Ressentiment nicht nur auf tatsächlich gemachte Erfahrungen, die mit dem Wandel und der Liberalisierung der Geschlechterverhältnisse einhergehen – das Ressentiment bietet allgemein eine Verarbeitungsweise für gesellschaftliche Widersprüche und innere psychische Konflikte, die mit einer Verunsicherung einhergehen (Höcker und Niendorf 2022). In einer emotionsgeladenen Dynamik werden dabei eigene Gefühle wie Neid, Hass, Kränkung und Angst, aber auch verpönte Wünsche und Fantasien ins Außen projiziert und hier stellvertretend an anderen gehasst und verfolgt (Pohl 2012, 120). Im Antifeminismus wird so das Feindbild ‚Feminismus’ oder ‚Gender’ für schwer aushaltbare Emotionen und uneingestandene Bedürfnisse verantwortlich gemacht. Feminist*innen und queere Personen dienen dabei auch als eine Projektionsfläche für eigenes widersprüchliches Begehren (Höcker und Niendorf 2022).
Bezogen auf den männlichen Subjektivierungsprozess beschreibt der Sozialpsychologe Rolf Pohl (2004) diese Spaltungsdynamik als Männlichkeitsdilemma: Unter dem Druck einer männlichen Geschlechtersozialisation mit rigiden Rollenerwartungen wird das Bild von Männlichkeit mit Macht, Überlegenheit und Unabhängigkeit verbunden. Psychische Anteile, die auf Abhängigkeit, Schwäche und emotionale Bindungswünsche verweisen, finden darin keinen Platz. Diese unliebsamen Anteile werden vom eigenen Selbst abgespalten, auf Frauen und LGBTIQ projiziert und mit Weiblichkeit identifiziert. Der Hass auf Frauen und Weiblichkeit ist vor diesem Hintergrund auch immer der Hass auf die eigene uneingestandene Schwäche und Abhängigkeit (Pohl 2004, 279). So ist es nicht verwunderlich, dass die Ergebnisse einen engen Zusammenhang zwischen der Orientierung an einem gewaltbezogenen Männlichkeitsideal und antifeministischen Einstellungen zeigen (Kalkstein et al 2022, 258).

Dabei ist Antifeminismus aber nicht nur ein Männerproblem (Fritsche 2021). Auch Frauen können über ein gewaltbezogenes Männlichkeitsideal stellvertretend eigene Gewaltfantasien, aber auch Sicherheits- und Ordnungsbedürfnisse verfolgen. Geschlechterübergreifend kann die Angst vor dem Verlust einer vermeintlichen natürlichen Ordnung, verbunden mit dem Wunsch, diese aufrechtzuerhalten, als zentrale Handlungsmotivation für Antifeminismus verstanden werden (fempi 2022), die auch Gewalt gegen die vermeintlichen Verursacher*innen dieser Verunsicherung legitimiert. Antifeminismus als autoritäre Reaktion zielt darauf ab, „Feministinnen als Feinde und Schuldige der gesellschaftlichen Verhandlung geschlechterdemokratischer Fragen“ (Höcker und Niendorf 2022) auszumachen und zur Verantwortung zu ziehen.

 

Fazit: Antifeminismus in Krisenzeiten

Unser Leben steht aktuell unter dem Vorzeichen einer permanenten Krisenhaftigkeit (Decker et al. 2022b, 18). Auf die Covid-19-Pandemie folgte der Krieg Russlands gegen die Ukraine, folgte die Energiekrise und all das wird flankiert durch die sozial-ökologische Krise im Zuge des Klimawandels. Dieser Zustand der Aneinanderreihung von Krisen ist nicht neu, denn die kapitalistische Produktionsweise führt zu einer permanenten Krisenhaftigkeit, indem sie die „Potentiale zur Verarbeitung ökonomischer, sozialer und politischer Probleme“ eingrenzt (Offe 1972, 17). Allerdings muss diese Krisenhaftigkeit auch als solche wahrgenommen werden, um eine Bedeutung zu erlangen, denn „Krisen vermitteln sich nur durch Subjekte“ (Decker et al. 2022b, 19). Daher stellt sich die Frage auf welche psychosozialen Bedingungen und konkreten gesellschaftlichen Situationen die Krisen treffen (Decker et al. 2022b, 19). Auf die aktuelle Situation scheint die Wahrnehmung einer komplexen Krisenverdichtung zuzutreffen und von vielen Menschen geteilt zu sein (IDZ 2022).

In krisenhaften Zeiten liefern Autoritäten eine, wie Erich Fromm es nannte „Prothesen-Sicherheit“, durch die „die Welt [...] ihren chaotischen Charakter“ verliert (Fromm 1999, 179). Die Autorität wird als Schutz gegen Bedrohungsgefühle gebraucht (Horkheimer 1936, 366; Decker 2018, 38). Ein zunehmender Antifeminismus kann vor diesem Hintergrund als Reaktion und „Bewältigungsstrategie“ gesellschaftlicher und individueller Verunsicherung gedeutet werden (Blum 2019, 97). Dabei wirkt nicht nur ein Wandel der Geschlechterverhältnisse verunsichernd, sondern auch die zunehmende Prekarisierung von Lebensverhältnissen, flankiert von der permanenten Forderung nach Eigenverantwortung (Blum 2019, 98–105). Antifeminismus zu bekämpfen hieße daher auch, seiner ideologischen und psychodynamischen Funktion den Nährboden zu entziehen (fempi 2022) – mit dem Ziel, ohne Angst verschieden sein zu können (Adorno 1951) in einer Welt, die die Bedürfnisse aller besser befriedigen kann, als wir es bisher erleben.

 


Johanna Niendorf, M. A. Sozialwissenschaften, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Else-Frenkel-Brunswik-Institut und promoviert zur körperbezogenenen Verarbeitung von Krisenerfahrungen bei Jugendlichen. Forschungsschwerpunkte: autoritäre Orientierungen, Feindbildungsprozesse, Antifeminismus, Geschlecht und Körper.

Henriette Rodemerk, M. Sc. Psychologie, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Else- Frenkel-Brunswik-Institut und am Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt. Sie forscht mit Fokus auf sozialen Konflikten, Antifeminismus und Geschlechterfragen vor dem Hintergrund von antidemokratischen Tendenzen und Demokratisierungsprozessen.


 

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