Einleitung
Die Klimakrise und ihre dramatischen globalen Folgen stellt eine, wenn nicht die zentrale Zukunftsherausforderung für die Gegenwartsgesellschaft dar. Auch wenn Auswirkungen des Klimawandels und die nötigen Handlungsoptionen für einen Ausstieg aus fossilen Energien seit Jahrzehnten bekannt sind und in zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen untersucht und kontinuierlich aufgearbeitet werden (vgl. z. B. IPCC 2023), hinken die unternommenen Anstrengungen und politischen Maßnahmenpakete den notwendigen Transformationsprozessen dramatisch hinterher. Laut Jochem Marotzke, Co-Autor einer interdisziplinären Studie des Klima-Exzellenzclusters CLICCS, liegt der Grund dafür jedoch nicht an fehlenden technologischen oder ökonomischen Voraussetzungen. Den Analyse-Ergebnissen nach braucht es vor allem „deutlich mehr Dynamik in vielen Bereichen der Gesellschaft, um solch schnelle und drastische Emissionsminderungen zu bewirken – etwa eine andere Strategie von Unternehmen und mehr öffentlichen Druck“ (Puttfarcken und Deutsches Klima Konsortium 2023).
Maßgeblich für diesen öffentlichen Druck verantwortlich sind diverse Akteur*innen der Klimabewegung. Trotz teils großer gesellschaftlicher Widerstände und gezielter antidemokratischer Instrumentalisierung gegen Klimaschutzpolitik (Klinker et al. 2022) kann die nachhaltige Sensibilisierung und Politisierung der Gesellschaft in Bezug auf die Klimakrise als großer Etappenerfolg der Klimabewegung verbucht werden. Einstellungsumfragen (Riebe und Marquardt 2022, 42f.) zeigen, dass seit 2019 – dem Zeitpunkt der ersten globalen Klimastreiks von Fridays for Future – das Thema „Klima“ beinahe durchgängig als eines der wichtigsten Probleme in Deutschland angegeben wird. Dennoch zeigen aktuelle Befragungen, dass die Zustimmung zur Klimabewegung im Zeitraum der letzten zwei Jahre stark zurückgegangen ist. Erhielt die Klima- und Umweltbewegung in einer Studie in Deutschland 2021 noch grundsätzliche Unterstützung von 68% der Befragten (Gagné und Krause 2021, 41), hat sich dieser Wert 2023 halbiert (More in Common 2023). Die Ergebnisse mögen nur eine Momentaufnahme sein, dennoch belegen sie in Anbetracht der Dringlichkeit klimapolitischer Entscheidungen einen alarmierenden Trend und stellen die Frage nach dessen Ursachen.
Ein Teilaspekt dieser Frage wird im vorliegenden Beitrag untersucht, der auf einem mehrteiligen Online-Bericht des IDZ-Projekts Digital Awareness (Klinker und Brüggemann 2023) aufbaut. Konkret geht es dabei um den Auftritt, die Kommunikationsstrategien und die Ansprache der heterogenen Klimabewegung in Deutschland auf Social-Media-Plattformen – im Speziellen auf X (ehemals Twitter), Facebook und Instagram. Ziel des vorliegenden Artikels ist es, ein digitales Panorama des breiten Akteur*innenspektrums der Klima- und Umweltschutzbewegung zu erstellen. Nachdem die Rolle sozialer Medien für die politisch-gesellschaftliche Kommunikation verschiedener Akteur*innen der Klimabewegung eingeordnet wurde, stellt der Artikel einen umfangreichen, plattformübergreifenden Datensatz vor, der aus 17 Quellensets verschiedener Akteur*innengruppen besteht und einen analytischen Blick auf die oftmals generalisierte Klimabewegung zulässt. Mittels datengeleiteter Methoden wird im Anschluss die inhaltliche wie strategisch-kommunikative Schwerpunktsetzung des heterogenen Akteur*innenfelds herausgearbeitet.
Die Rolle sozialer Medien für die Klimabewegung und digitalen Aktivismus
Soziale Bewegungen passen sich fortlaufend dem gesellschaftlichen Kontext und den technologischen Entwicklungen an und finden so immer neue mediale Ausdrucksformen (Drüeke 2022, 275). Das Web 2.0 und soziale Medien, begriffen als „participatory culture“ (Jenkins 2006, 3), eröffnen mit neuen Vernetzungs- und Austauschformaten und einem vielfältigen Informationsangebot ein großes Potenzial der öffentlichen Wirksamkeit und einen immensen Handlungsspielraum für soziale Bewegungen. Jedoch bringen die digitalen Affordanzen (Zillien 2008), die sich aus der Verflechtung sozialer Interaktionen und algorithmischer Berechnungen ergeben, und das stetig wachsende Medienangebot eine zunehmende Fragmentierung der Öffentlichkeit mit sich (Settles 2022, 233). Es lässt sich speziell für die Klimabewegung und unter dem Eindruck gezielter Desinformationskampagnen und online verbreiteter Verschwörungserzählungen mit Jasmin Siri fragen: „Wie kann kollektive Bindung einer ausdifferenzierten Öffentlichkeit unter der Bedingung fortschreitender Medienevolution organisiert werden?“ (Siri 2020, 99).
Die Kommunikation auf Online-Plattformen erfüllt je nach Nutzungsabsicht im breiten Akteur*innenspektrum der Klimabewegung mehrere Funktionen (gleichzeitig). Unterscheiden kann man zwischen der Informationsfunktion, der Interaktionsfunktion und der Partizipationsfunktion, die für politische Prozesse in modernen Demokratien essenziell sind (Emmer 2019, 371). Auch im Falle der Klimabewegung variieren diese unterschiedlichen Typen zwischen den Akteur*innen und Anliegen: Besteht das Hauptinteresse des Online-Postings eher in der Aufklärung bspw. zu den Folgen des Klimawandels (Informationsfunktion), geht es um die Bindung und den Dialog mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen zu den Themen Klima, Umwelt, Energie etc. (Interaktionsfunktion) oder soll bspw. über Aufrufe zu Demonstrationen oder Petitionen zu direkter demokratischer Teilhabe motiviert werden (Partizipationsfunktion)? Selbstverständlich ist auch die jeweilige Zielgruppe entscheidend, die mit den entsprechenden Social-Media-Beiträgen erreicht werden soll. Hier kann der Fokus auf interner oder externer Kommunikation liegen (Rau und Simon 2022).1
Die verschiedenen sozialen Plattformen und ihre Nutzungs- und Partizipationsmöglichkeiten sind dabei selbst im stetigen Wandel, etablieren ein spezifisches Publikum und bringen eigene Kommunikationsformen mit sich, die unterschiedlich bespielt werden (sollten). In dieser Analyse wurden trotz großem Konkurrenzangebot die Plattformen X, Facebook und Instagram untersucht, die laut Umfragen noch immer zu den relevantesten zählen (Koch 2022). Mit dieser Plattformauswahl, die forschungspragmatisch getroffen wurde und die auch in den Möglichkeiten des Datenzugangs begründet liegt, ist nochmal deutlich hervorzuheben, dass die vorliegende Analyse nur einen Ausschnitt der jeweiligen Kommunikations- und Mobilisierungsstrategien abbilden kann, die neben anderen digitalen auch maßgeblich durch analoge Formate und Kanäle geprägt sind. Alle Ergebnisse und Schlussfolgerungen beziehen sich demnach nur auf das Online-Verhalten der untersuchten Akteur*innen auf den Plattformen X, Facebook und Instagram.
Datengrundlage und Online-Performance
Grundlage für die Analyse bildet ein systematisch aufgebauter umfangreicher Datensatz – bestehend aus 17 Quellensets verschiedener Akteur*innen aus der Klima- und Umweltschutzbewegung, die über das kommerzielle Social-Listening-Tool Radarly von Meltwater (Meltwater 2023) zusammengestellt wurden. Der plattformübergreifende Datensatz wurde nach bestimmten Kriterien (z. B. Themenbezug, Reichweite, regionale Struktur)2 erstellt und beinhaltet Social-Media-Accounts verschiedener Umwelt- und Klimaschutzorganisationen (z. B. Fridays for Future, Letzte Generation, Greenpeace), Hochschulbündnisse, Aktivist*innen, Wissenschaftler*innen, wissenschaftlicher Institutionen sowie Initiativen, Aktionsbündnisse und Umweltstiftungen. Der Datensatz umfasst über 1.600 Accounts verteilt auf die Plattformen X, Facebook und Instagram. Analysiert wurden ca. 36.000 Einzelposts im Zeitraum vom 27. Februar bis 21. Mai 2023, in dem mehrere kommunikations- und mobilisierungsrelevante Ereignisse stattfanden (globaler Klimastreik am 03.03., Klimavolksentscheid in Berlin am 26.03., Koalitionsausschuss der Regierung am 29.03., Intensivierung der Protestaktionen der Letzten Generation, insbesondere Verkehrsblockaden in Berlin ab Ende April). An dieser Stelle sollen einige wesentliche Erkenntnisse aus der online veröffentlichten detaillierten Beschreibung und Analyse der Online-Performance nach Social Interactions (Likes, Shares, Kommentare etc.) des Datensatzes zusammengefasst werden (Klinker und Brüggemann 2023):
- Unterschiedliche Ansätze bei der Accountabdeckung: Die nach Social-Media-Accounts größte hier untersuchte Gruppe ist Fridays for Future. Sie ist deutschlandweit flächendeckend vertreten und kann ihre Inhalte dadurch regional gut anpassen. Eine andere Strategie verfolgte bspw. die Letzte Generation, die im Untersuchungszeitraum lediglich mit einem Account je Plattform in Erscheinung trat und die Aufmerksamkeit damit auf einen zentralen Online-Auftritt bündelte.
- Große Unterschiede in der Plattformabdeckung: Während einige Organisationen (z. B. Fridays for Future, Greenpeace) jeweils ähnlich viele Accounts auf X, Facebook und Instagram betreiben und damit auch jeweils plattformspezifische Formate nutzen und Zielgruppen erreichen können, setzen andere Organisationen ihren Fokus auf eine einzelne Plattform und verzichten damit auf eine potenziell größere digitale Öffentlichkeit. Bspw. konzentrieren hier untersuchte Einzelpersonen (Aktivist*innen, Wissenschaftler*innen) ihre Social-Media-Kapazitäten hauptsächlich auf X.
- Social Interactions (siehe Abb. 1): Die quantitative Analyse von sozialen Interaktionen bestätigt andere Forschungsergebnisse, nach denen Einzelpersonen mit personalisierten Inhalten besonders hohe Interaktionswerte aufweisen und damit auch einen starken Einfluss auf den Online-Diskurs haben (Raupp 2022, 452). Bei den untersuchten Quellensets konzentrierte sich dieser Einfluss auf wenige auf Social-Media extrem erfolgreiche Personen (z. B. Luisa Neubauer, Stefan Rahmstorf). Eine hohe Accountabdeckung ist nicht gleichzusetzen mit einer hohen Online-Performance. Vor allem der Letzten Generation gelang es mit lediglich drei zentralen Accounts sehr viele Interaktionen hervorzurufen und damit Aufmerksamkeit auf ihre Inhalte zu lenken. Andere sehr breit aufgestellte Organisationen traten gemessen an den Social-Interaction-Werten im Untersuchungszeitraum wenig in Erscheinung.
Abb. 1: Absolute Social-Interactions der untersuchten Quellensets
Thematische und kommunikativ-strategische Schwerpunkte
Abb. 2: Topic Models ausgewählter Quellensets
Um einen Überblick über die verschiedenen Themen und Narrative der oben beschriebenen Akteur*innen der Klimabewegung zu erhalten, bietet es sich an, diese maschinell über ein sogenanntes Topic Modelling zu ermitteln3. Auf diese Weise können über die statistische Berechnung des typischen Sprachgebrauchs zum einen Gemeinsamkeiten im Themenspektrum der Akteur*innen ermittelt werden, zum anderen Unterschiede und Spezifika. Im vorliegenden Fall bestand die Datengrundlage aus allen X-, Facebook- und Instagram-Posts (27.02.2023 bis 21.05.2023) acht ausgewählter Quellensets4 und umfasst über 23.400 einzelne Posts. Die acht Quellensets sind: NABU, Letzte Generation, Fridays for Future, Wissenschaftler*innen, Aktivist*innen, Greenpeace, WWF und Initiativen|Bündnisse.
Das Ergebnis dieses Topic Modellings ist in Abbildung 2 dargestellt. Auf der linken Seite sind die Akteur*innen abgebildet, von denen in der entsprechenden Breite ihrer Übereinstimmung zum jeweiligen Topic auf der rechten Seite Ströme abfließen. Hinter den Topics steht eine Auswahl der entsprechenden Topic-Keywords, die für diese Texte besonders typisch sind. Um nicht den Eindruck zu erwecken, die rein statistisch signifikanten Keywords würden eindeutig qualitativ kohärente, also inhaltlich zusammenhängende Themen beschreiben, wurde darauf verzichtet, die Topics namentlich zu benennen. Vielmehr soll deren hier zutage tretende Struktur beschrieben und interpretiert werden. Dabei fällt auf, dass sich die Themenschwerpunkte, Zielsetzungen und die Art der Social-Media-Ansprache aller hier untersuchten Akteur*innen auch in deren Topiczusammensetzung widerspiegeln. Überschneidungen lassen sich beispielsweise in den Themenbereichen Umweltschutz, Naturschutz, Artenvielfalt (Topic 29) zwischen dem NABU, WWF, Greenpeace und einigen Initiativen|Bündnissen ausmachen. Ebenfalls akteur*innenübergreifend ist der von mehreren Gruppen (neben Fridays for Future) geteilte Aufruf zum Klimastreik oder der Appell zur Unterzeichnung von Petitionen (Topic 11). Auf den Klimavolksentscheid in Berlin am 26. März (Topic 20 und 30) wurde hingegen laut Topic-Analyse in relevantem Umfang nur von den Accounts von Klimaneustart Berlin (Quellenset Initiativen|Bündnisse) mobilisiert. Fridays for Future konzentriert sich auf ihr Kerngeschäft – die Mobilisierung für Klimastreiks (Topic 7, 28) anhand tagespolitisch relevanter Ereignisse und Problemstellungen (z. B. Verkehrswende, ÖPNV, FDP). Außerdem werden verstärkt gesellschaftliche und systemische Zusammenhänge, die die Klimakrise mit sich bringt, angesprochen (peoplenotprofit, feministisch, solidarisch, Konzern). Die Letzte Generation postet fast ausschließlich zu den von ihnen organisierten Protesten (friedlich, Widerstand, Berlin) und ihren Forderungen und Adressat*innen (Gesellschaftsrat, Bundesregierung). Wissenschaftler*innen besprechen vor allem neue Forschungsergebnisse (Wissenschaft, Paper, IPCC, Studie) oder ordnen bestimmte Entscheidungen und aktuelle Debatten wissenschaftlich ein. Ein großes, vor allem tagespolitisches Themenspektrum weisen selbsterklärend Aktivist*innen auf, die bei dieser Topic-Analyse vor allem durch die Beurteilung der Klimakrise mit ihren demokratiegefährdenden, gesellschaftsrelevanten Folgen auffällig werden (Demokratie, Gesellschaft, rassistisch, Solidarität).
Eigenheiten der untersuchten Akteur*innen in Zielsetzungen, Themenschwerpunkten und Aktionsformen wurden in dieser Topic-Analyse deutlich. Einige klimapolitisch relevante Anlässe wie der Volksentscheid „Berlin klimaneutral 2030“ wurden nur von wenigen Akteur*innen aufgegriffen – zumindest in diesem Beispiel zeigten sich die einzelnen Klimaschutzorganisationen nicht übergreifend kampagnenfähig. Dabei wurde womöglich eine Chance verpasst, mit einer akteur*innenübergreifenden Mobilisierung dem gescheiterten Volksentscheid als realpolitischen Klimaplan doch noch zum Erfolg zu verhelfen und damit auch klimaprogressive Ideen fester in der Gesellschaft zu verankern. Denn in vielen Punkten gibt unter den untersuchten Akteur*innen großes Vernetzungspotenzial: Das zeigt sich bspw. in der erfolgreichen breiten Mobilisierung zum Klimastreik von Fridays for Future, ähnlichen Ansprachen an verantwortliche Adressat*innen (z. B. Bundesregierung, Bundeskanzler, FDP, Wissing) und gemeinsam geteilten Grundüberzeugungen. So thematisieren Topic 36 und 37, in denen sich die meisten Akteur*innen vereinen: die aktuelle Lage mit den Problemen fossiler Energien, die Rolle der Regierung und die Notwendigkeit schnellen, gemeinsamen Handelns.
Ausblick und Diskussion
Ein möglicher Grund für den einleitend angesprochenen Einbruch der Zustimmungswerte zur Klimabewegung könnte in einer strategischen Diversifizierung ihrer Akteur*innen und Online-Auftritte liegen. Die auch für die Klimabewegung in Deutschland prägendste Organisation der letzten Jahre war mit Sicherheit Fridays for Future. Mehrere Faktoren spielten hier zusammen, die ihren großen Mobilisierungserfolg erklären: Sie stellt(e) keine unrealistischen Forderungen und beharrt(e) im Wesentlichen auf die politische Einhaltung bestehender Verträge wie dem Pariser Klimaschutzabkommen. Dabei stützt(e) sie sich auf den wissenschaftlichen Konsens und wurden in diesem Vorgehen und der friedlichen Durchführung der Schulstreiks und globalen Klimastreiks in weiten Teilen wohlwollend von vielen Medien besprochen (Rucht und Rink 2020, 111). Darüber hinaus spielt(e) der versierte und intensive Einsatz von Social-Media-Kommunikation eine wichtige Rolle, wie sich in dieser Analyse bestätigt. Neben den gut orchestrierten und akteur*innenübergreifend geteilten Aufrufen zum globalen Klimastreik zeigt(e) sich die digitale Ansprache und das Framing als sehr wirksam. Dabei wurde großer Wert auf intersektionale und intergenerationale Identifikationsangebote gelegt und positive Zukunftsnarrative und Lösungsszenarien eingebunden.
Mit der 2021 entstandenen Gruppe Letzte Generation ist gegenüber Fridays for Future inzwischen in den Massenmedien und auf Social-Media ein Gegengewicht entstanden, das eine gänzlich andere Strategie verfolgt und mit kontroversen, öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten auch Irritationen in der gesellschaftlichen Bewertung der Klimabewegung im Allgemeinen hervorruft. In den grundsätzlichen Anliegen nach dem Ausstieg aus fossilen Energien und der Einhaltung des 1,5 Grad-Zieles unterscheiden sich die Organisationen kaum. Auch sind die Adressat*innen ihrer zentralen Forderungen nach einem Gesellschaftsrat ähnlich (Letzte Generation o. D.). Jedoch unterscheiden sich die Protestformen in ihrer Auslegung als zivilem Ungehorsam deutlich von Fridays for Future. Die auch im Untersuchungszeitraum insbesondere in Berlin stattgefundenen Straßenblockaden trafen in der Zivilbevölkerung und ebenso in der Presse auf große Ablehnung. Die hier untersuchte Online-Kommunikation der Letzten Generation war gemessen an den Reaktionen sehr erfolgreich, setzte jedoch gänzlich andere Schwerpunkte im Framing. Häufig wurden Videos oder Bilder von teilweise gewaltsamen Übergriffen auf Protestierende und Interviews oder Stellungnahmen von Aktivist*innen zu Gerichtsverhandlungen geteilt. Elemente akteur*innenübergreifender Vernetzungs- und Identifikationsangebote oder elaborierte Lösungsvorschläge spielen in den Online-Postings weniger eine Rolle als emotionale Anrufungen.
In der Diskussion der hier vorgestellten Ergebnisse soll die vereinfachende Gegenüberstellung von Fridays for Future und der Letzten Generation exemplarisch die Herausforderungen der Klimabewegung in der internen wie externen Kommunikationsstrategie verdeutlichen. Dabei gilt es, einen Weg zu finden, der einerseits der notwendigen Intensivierung gesellschaftlichen Drucks auf klimapolitische Entscheidungen in einer sich zuspitzenden Lage gerecht wird und andererseits dafür sorgt, die Unterstützung und Zustimmung in der Bevölkerung nicht weiter zu verlieren und, wenn möglich, wieder auszubauen.
Der Auftritt auf Social-Media-Kanälen kann in dieser Vernetzungs- und Partizipationsarbeit eine wesentliche Rolle spielen. Die vorliegenden Analyseergebnisse zeigen, dass ein breites und engagiertes Akteur*innenfeld bereits vorhanden ist, das grundlegende Überzeugungen und Ziele teilt und bei bestimmten Mobilisierungsanlässen bereits erfolgreich agiert. Dennoch besteht in mehreren Bereichen Verbesserungspotenzial, um nachhaltig zu einer demokratischen klimagerechten Gesellschaftstransformation beizutragen: Der starke Fokus auf wenige prominente Einzelpersonen verteilt die digitale Aufmerksamkeit ungleichmäßig. Das kann personelle Abhängigkeiten provozieren und unter Umständen wichtige Prozesse und innovative Ideen verlangsamen. Wie sowohl gescheiterte (Volksentscheid) als auch erfolgreichere Mobilisierungsanlässe (Klimastreik) zeigen, sind Vernetzung innerhalb der Klimabewegung und breite Bündnisstrukturen mit Akteur*innen außerhalb der Klimabewegung essenziell für das Erreichen der jeweiligen Ziele. In der Breite fehlen pragmatische, visionäre Narrative, die auf Zukunftsbedürfnisse der Bevölkerung eingehen. Positive Beispiele wie der gemeinsame Protest von Fridays for Future mit ver.di für eine sozial-ökologische Verkehrswende, den Ausbau des ÖPNVs und bessere Arbeitsbedingungen zeigen jedoch, dass eine solche milieuübergreifende Mobilisierung möglich ist und erfolgreich sein kann. Durch gemeinsame Zielstellungen und Lösungsansätze für nachhaltige Formen des Lebens, Arbeitens und Wirtschaftens können Selbstwirksamkeitsmomente und Anreize für gesamtgesellschaftlich mehr Engagement im Umwelt- und Klimaschutz geschaffen und damit der so dringend benötigte gesellschaftliche Druck erhöht werden.
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1 Im Falle der hier untersuchten Akteur*innen und Online-Plattformen X, Facebook und Instagram, die sich vor allem durch ihre breite Öffentlichkeitwirksamkeit auszeichnen, steht tendenziell die externe Kommunikation im Mittelpunkt.
2 Eine detaillierte Übersicht über die Quellensets mit den jeweiligen Kriterien der Accountauswahl ist im angesprochenen Online-Bericht zu finden (Klinker und Brüggemann 2023).
3 Das Topic Modelling wurde mit dem Softwarepaket Mallet (vgl. McCallum 2002) durchgeführt, das mit dem etablierten Latent Dirichlet Allocation-Modell (vgl. Blei et al. 2003) arbeitet, und die Anzahl der algorithmisch errechneten Topics wurde in diesem Fall auf 42 festgelegt. Für genauere methodische Erläuterungen siehe Klinker 2018, 89.
4 Es wurden die fünf jeweils nach Social Interactions (Aggregierte Zahl an Likes, Shares, Kommentare etc.) und geschätzter Reichweite (Wert, der von Radarly maßgeblich über die Follower*innenanzahl berechnet wird und die geschätzte Zahl der User*innen angibt, die die Posts zum Veröffentlichungszeitpunkt gesehen haben könnten) erfolgreichsten Quellensets bei dieser Analyse berücksichtigt – mit Dopplungen ergibt dies 8 Quellensets.
Fabian Klinker, wissenschaftlicher Referent für Social-Media-Analysen am IDZ Jena im Projekt „Digital Awareness“. Untersucht in seiner Dissertation an der Technischen Universität Dresden Funktionsweisen, Strategien und (Dis-)Kontinuitäten (anti-)demokratischer Narrative. Forschungsschwerpunkte: Korpuslinguistik; Data Science; Klimaschutz sowie Hassrede und Rechtsextremismus in sozialen Medien.
Literatur
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