Von Fabian Klinker & Sven Brüggemann
Der Umgang mit der Klimakrise und die Klimaschutzpolitik ist längst zu einem zentralen gesellschaftlichen und politischen Reizthema geworden. Viele Akteur*innen der Klimabewegung leisten dabei wichtige Arbeit zur Aufklärung über die massiven Auswirkungen des Klimawandels, sorgen für notwendigen öffentlichen Druck auf die Politik und tragen zur gesellschaftlichen Sensibilisierung für dieses Thema bei. Neben vielen analogen Formaten des Protests und des Austauschs, sind soziale Medien zu zentralen Plattformen der Mobilisierung, der Vernetzung und öffentlichen Meinungsbildung geworden. Ziel dieses Berichts ist es, einen ersten systematischen Überblick über die verschiedenen Akteur*innen der Klimabewegung, ihrer Online-Auftritte und ihrer öffentlichen Kommunikation auf den Plattformen Facebook, Twitter und Instagram zu erhalten. Wie funktioniert die digitale Mobilisierung, welche Akteur*innen bestimmen das Feld? Welchen medialen Widerständen sind sie im Social-Media-Diskurs ausgesetzt? Wie kann die Reichweite klimaschützender Ideen vergrößert und das Thema noch stärker in der Gesellschaft verankert werden? Diese Fragen sollen in vier Teilen des Online-Berichts auf der Grundlage eines großen Social-Media-Datensatzes mit quantitativen Methoden und qualitativen Einschätzungen beantwortet werden:
Seit Jahren sorgen engagierte, oftmals junge Klimaaktivist*innen öffentlichkeitswirksam mit ihren Demonstrationen, Protestaktionen und Aufklärungskampagnen für einen kontinuierlichen Druck auf die Politik im Hinblick auf die Klimakrise mit ihren dramatischen globalen Folgen. Neben konkreten politischen bzw. juristischen Entscheidungen wie dem Bundesverfassungsgerichtsurteil für mehr Klimaschutz vom 21. April 2021 nach Verfassungsbeschwerden mehrerer Klimaschützer*innen (vgl. tagesschau 2021) kann mit Sicherheit die nachhaltige Sensibilisierung und Politisierung der Gesellschaft zu diesen Themen als ihr größter Erfolg verbucht werden. Verschiedene Einstellungsumfragen (vgl. Riebe/Marquardt 2022: 42f.) zeigen, dass seit 2019 – dem Zeitpunkt der ersten globalen Klimastreiks von Fridays for Future – das Thema „Klima“ durchgängig als eines der wichtigsten Probleme in Deutschland angegeben wird. Junge Menschen unter 30 Jahren gaben laut einer Nachwahlbefragung zur Bundestagswahl 2021 der Friedrich-Ebert-Stiftung (vgl. 2022: 31) sogar zu 58% an, dass Klima- und Umweltschutz zu den wichtigsten zwei politischen Herausforderungen gehören. Sie berufen sich auf die wissenschaftliche Faktenlage wie sie regelmäßig beispielsweise im IPCC-Bericht veröffentlicht wird sowie politische Vertragsgrundlagen wie dem Pariser Klimaabkommen. Dennoch hinken die unternommenen Anstrengungen und politischen Maßnahmenpakete dem notwendigen Transformationsprozess dramatisch hinterher. Grund dafür ist nicht hauptsächlich ein Defizit der technologischen Voraussetzungen, sondern eher ein fehlendes gesellschaftliches Wandlungsbewusstsein wie Klimaforscher Jochem Marotzke die Ergebnisse einer interdisziplinären Studie des Klima-Exzellenzclusters CLICCS der Universität Hamburg zusammenfasst:
„Die technisch-ökonomischen Möglichkeiten für eine Dekarbonisierung bis 2050 wären theoretisch vorhanden. Trotzdem bräuchte es unserer Analyse nach deutlich mehr Dynamik in vielen Bereichen der Gesellschaft, um solch schnelle und drastische Emissionsminderungen zu bewirken – etwa eine andere Strategie von Unternehmen und mehr öffentlichen Druck.“ (Puttfarcken/Deutsches Klima Konsortium 2023)
Dieser öffentliche Druck, der maßgeblich von unterschiedlichen Akteur*innen der Klimabewegung getragen wird, kann demnach als essenziell für erfolgreiches Handeln in der Klimakrise angesehen werden. Die teilweise massiven Widerstände gegenüber gesellschaftlichen Wandlungsprozessen werden jedoch aktuell eindrucksvoll im medialen Diskurs um die Gruppe Die Letzte Generation deutlich. Über die konkreten Protestformen und den teils alarmierenden Sprachgebrauch darf durchaus gesellschaftlich gestritten werden. Dass mit einer bundesweiten Razzia gegen die Letzte Generation bestimmte Organisationen stellvertretend für die gesamte Klimabewegung kriminalisiert werden und häufig eher eine angebliche Radikalisierung derselben, als deren Forderungen und Lösungsvorschläge im Umgang mit der Klimakrise im medialen Fokus stehen, spielt jedoch zuvorderst dem folgenschweren Verharren im Status Quo und dem Populismus rechter und klimaregressiver Akteur*innen in die Hände (vgl. tagesschau 2023).
Generell findet häufig eine Generalisierung der Inhalte und Protestmethoden der Klimabewegung statt, obwohl diese aus einer Vielzahl an unterschiedlichen Gruppen, Organisationen und Akteur*innen besteht. Diese eint zwar die Sorge um den rapiden Klimawandel und dessen Auswirkungen, weisen aber erhebliche Unterschiede in den jeweiligen Strategien, Teilzielen und Themenschwerpunkten vor. So werden beispielsweise unter dem Begriff Klimabewegung sowohl Klimaschutzgruppen bzw. -organisationen, die sich dem Kampf gegen die Klimakrise verschrieben haben, als auch Naturschutzorganisationen, die sich für den Erhalt der Artenvielfalt von Tieren und Pflanzen einsetzen, gefasst.
Auch wenn sich Klimaschutzgruppen bzw. -organisationen demselben Ziel verschrieben haben unterscheiden sie sich in den Forderungen, wie das Ziel erreicht werden soll. So fordert Fridays for Future die Regierung auf, Maßnahmen zu erlassen, die ausreichend sind, um das Pariser Klimaabkommen und das 1,5°C-Ziel eingehalten werden können (vgl. Fridays for Future o.D.a). Wie solche Maßnahmen aussehen können, zeigt Fridays for Future mittels einer großen Bandbreite von länder- als auch themenspezifischen Forderungen auf, deren technische Umsetzbarkeit mittels einer Studie nachgewiesen wurde (vgl. ebd.). Einen offeneren Ansatz verfolgt dagegen die Letzte Generation, welche vor allem[1] fordert, dass ein Gesellschaftsrats einberufen werden soll, der Maßnahmen erarbeitet, wie Deutschland bis 2030 die Nutzung fossiler Rohstoffe beendet (vgl. Letzte Generation o.D.). Die verschiedenen Akteur*innen unterscheiden sich nicht nur in den Forderungen, ebenfalls in den Protestformen, wobei die unterschiedlichen Ansätze allesamt der Anspruch einer friedlichen und gewaltfreien Durchführung eint. So setzt Fridays for Future auf eine Vielzahl von dezentral organisierten Demonstrationen, die sogenannten Klimastreiks. Die Aktionsformen der Letzten Generation hingegen haben die Unterbrechung des Alltags, meist durch Straßenblockaden, zum Ziel. Durch die daraus resultierende Empörung und Polarisierung soll die Regierung in eine Dilemma-Situation gebracht werden, in der sie entweder auf die Forderungen der Letzten Generation eingeht oder mit Repressionen reagiert (vgl. Letzte Generation 2022). Mittels der verschiedenen Proteste versuchen große Teile der Klimabewegung Druck auf die Regierung auszuüben, damit diese die jeweiligen Forderungen umsetzt. Einen leicht abweichenden Ansatz in der Strategie verfolgt beispielsweise Extinction Rebellion, die zuerst auf eine persönliche Transformation des Individuums abzielt, indem dieses sich der Realität der Klimakrise stellt und den selbst eingeschlagenen Weg hinterfragt. In Folge beteiligen sich die Personen an Aktionen der Gruppe und an zivilem Ungehorsam, wodurch der Druck auf Institutionen und Regierungen so erhöht werden soll, dass diese das Anliegen nicht weiter ignorieren kann (vgl. Extinction Rebellion o.D.a).
Soziale Bewegungen passen sich fortlaufend dem gesellschaftlichen Kontext und den technologischen Entwicklungen an und finden so immer neue mediale Ausdrucksformen (vgl. Drüeke 2022: 275). Das Internet und insbesondere soziale Medien spielen folglich auch für die Klimabewegung eine enorm wichtige Rolle und erfüllen gleich mehrere Funktionen parallel: Sie dienen der Mobilisierung für Demonstrationen und Protestaktionen, sind Sprachrohr, um ein möglichst breites Publikum zu mehr Engagement im Klimaschutz zu ermutigen, dienen der Kommunikation von politischen Forderungen und der Anbahnung strategischer Bündnisse und können selbst als primärer Protestkanal fungieren. Die Relevanz von Online-Medien wurde gerade während der Corona-Pandemie deutlich, als große Versammlungen und Demonstrationen aufgrund des Infektionsschutzes nicht möglich waren. Zwei globale Klimastreiks wurden beispielsweise (weitestgehend) online u. a. auf Facebook und YouTube ausgetragen und haben auch digital viel Unterstützung erfahren (vgl. Fridays for Future o.D.b). Die Relevanz sozialer Medien zeigt sich auch an deren Stellenwert innerhalb verschiedener Organisationen der Klimabewegung selbst: Viele Gruppen haben eine eigene Strategie zur Social-Media-Nutzung erarbeitet, haben dafür spezielle Arbeitsgruppen etabliert oder geben Handbücher zu digitaler Kommunikation heraus (vgl. Extinction Rebellion o.D.b). Auch wenn viele Protestformen und Mobilisierungswege sowie wichtige Formate zur internen Organisation und Vernetzung noch immer in der analogen Welt stattfinden, ist der digitale Auftritt und die Online-Präsenz und -Kommunikation entscheidend mitverantwortlich für die Erreichung der jeweiligen Ziele. Generell sind emanzipatorische Bestrebungen und demokratische Entwicklungen nur mit dem Internet, digitalen Kanälen und sozialen Medien denkbar. Die Professorin für Gesellschaft und Internet Helen Margetts stellt dazu fest:
„This [the internet] is where democracy happens now and there is no going back. We cannot get rid of all this. It is where democracy happens. If we want to make democracy better, this is what we have to tackle.” (House of Lords 2019)
Die verschiedenen sozialen Plattformen und ihre Nutzungs- und Partizipationsmöglichkeiten sind dabei selbst stetig im Wandel, etablieren ein spezifisches Publikum und bringen eigene Kommunikationsformen mit sich, die unterschiedlich bespielt werden (sollten). In dieser Analyse wurden insgesamt drei Plattformen – Facebook, Twitter und Instagram – untersucht. Trotz gelegentlicher Abgesänge auf Facebook, ist dieses Unternehmen laut der ARD/ZDF-ONLINESTUDIE 2022 insgesamt immer noch führend, was die wöchentliche Nutzung angeht (35% der Befragten). Erst an zweiter Stelle landet wie in den Jahren zuvor Instagram (31%). Twitter hingegen ist erst auf dem fünften Platz anzutreffen (10%). Bei jüngeren Menschen zwischen 14 und 29 Jahren hat Instagram Facebook inzwischen aber bei weitem den Rang abgelaufen (74% zu 42% der Befragten), außerdem liegt Instagram auch bei der intensiven Nutzung (mind. einmal täglich) knapp vor Facebook. (vgl. Koch 2022: 472f.)
Twitter kann bezüglich der Nutzer*innenschaft in Deutschland eher als Nischenmedium bezeichnet werden, allerdings sind hier besonders viele professionelle Akteur*innen (Politiker*innen, Medienschaffende, Forschende, Aktivist*innen etc.) vertreten, die die öffentliche Debattenlandschaft maßgeblich mitprägen (vgl. Emmer 2022: 69f.). Auch wenn seit der Übernahme Twitters durch Elon Musk einige Nutzer*innen beispielsweise zu Mastodon abgewandert sind und die Gesamtanzahl an deutschsprachigen Tweets sowie deren Meinungsvielfalt seitdem abnehmen (vgl. Hammer/Schories 2023: 31), kann es immer noch als hochrelevantes und meinungsprägendes Medium angesehen werden und ist daher auch Teil der vorliegenden Analyse.
Eine hohe Anzahl an Nutzenden und damit eine potenziell große Reichweite für die jeweiligen Social-Media-Auftritte ist allerdings nicht unbedingt gleichbedeutend mit Effektivität in der politisch-gesellschaftlichen Kommunikation und der Mobilisierung für die eigenen Ziele. Hierfür ist vor allem auch die Art und Weise bedeutsam, wie die spezifischen Plattformfunktionen (Hashtags, Verlinkungen, Markierungen, Erwähnungen etc.) und Kommunikationsformate (Posts, Stories, Reels etc.) eingesetzt werden, um möglichst viele Menschen zu einer Reaktion und damit zu sozialen Interaktionen wie Likes, Shares, Reweets, Kommentaren etc. zu bewegen. Wie erfolgreich die unterschiedlichen Akteur*innen der Klimabewegung diesbezüglich agieren, ist Teil der folgenden Analysen. Allgemein lässt sich aber vorwegnehmen, dass beispielsweise auf Facebook deutlich weniger solche Interaktionen hervorgerufen werden im Vergleich zu Instagram. Twitter zeichnet sich in vor allem durch die Funktionen des Weiterleitens und der Verschlagwortung aus, die in Form von Retweets und Hashtags gegenüber anderen Plattformen, die längst über ähnliche Praxen verfügen, besonders ausgeprägt genutzt werden. Damit ist Twitter prädestiniert für kurzfristig vernetzte alternative Diskursräume (vgl. Emmer 2022: 69.).
Natürlich lässt sich mit dieser Plattformauswahl kein abschließendes Bild der Online-Kommunikation unterschiedlicher Akteur*innen der Klimabewegung zeichnen. Neben anderen relevanten sozialen Plattformen und Messengerdiensten wie dem bereits erwähnten Mastodon, Telegram, Snapchat oder YouTube hat die 2016 gegründete Videoplattform TikTok in den letzten Jahren erheblichen Einfluss gewonnen und gehört laut JIM-Studie 2022 (vgl. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2022: 27) mittlerweile bei jungen Menschen zu den beliebtesten sozialen Medien. Die Plattform ist auch für politische Inhalte deshalb so interessant, da der Algorithmus der sogenannten For-You-Page so arbeitet, dass er eine hohe Viralität und damit auch sehr hohe Aufrufzahlen der geteilten Videos begünstigt und nicht so stark wie bei anderen Plattformen von der Freund*innenstruktur der User*innen abhängig ist, die tendenziell Reichweite-begrenzend wirkt (vgl. Serrano/Papakyriakopoulos/Hegelich 2020: 264). Auch die Akteur*innen der Klimabewegung haben das große Potenzial von TikTok bereits erkannt und in ihre Online-Strategie integriert. Dennoch haben wir diese Plattform in der vorliegenden Analyse nicht berücksichtigt, was einerseits in der forschungspragmatischen Notwendigkeit, eine bestimmte Auswahl zu treffen, begründet liegt, andererseits in den Möglichkeiten unseres Datenzugangs.
Damit ist auch nochmal deutlich hervorzuheben, dass die vorliegende Analyse nur einen Ausschnitt der jeweiligen Kommunikations- und Mobilisierungsstrategie abbilden kann und sich alle Ergebnisse und Schlussfolgerungen nur auf das Online-Verhalten der untersuchten Akteur*innen auf den Plattformen Facebook, Twitter und Instagram bezieht. Andere wesentliche Formate wie Face-to-Face-Interaktionen, E-Mail-Verteiler, öffentlichkeitswirksame analoge Kampagnen, Konferenzen oder Podiumsdiskussionen und die Protestaktionen und Demonstrationen selbst, die für die interne wie externe Vernetzung und Öffentlichkeitsarbeit der Akteur*innen eine ganz wesentliche Rolle spielen, sind demnach von der Analyse ausgenommen. Die Mobilisierungskraft der drei untersuchten großen Plattformen ist aus unserer Sicht aber so relevant, dass über deren Analyse wichtige Rückschlüsse über das Online-Verhalten der Akteur*innen gezogen werden können.
Die vorliegende Analyse zielt darauf ab, ein differenziertes Verständnis der vielfältigen Akteur*innenlandschaft der Klima- und Umweltschutzbewegung zu erlangen. Hierfür wurden über das kommerzielle Social-Listening-Tool Linkfluence insgesamt 17 verschiedene Quellensets auf den Plattformen Facebook, Twitter und Instagram erstellt. Diese Quellensets umfassen die Social-Media-Accounts verschiedener Gruppen, Organisationen, Hochschulbündnisse, Aktivist*innen, Wissenschaftler*innen, wissenschaftlichen Institutionen sowie Initiativen, Aktionsbündnisse und Umweltstiftungen. Die Erstellung der Accountlisten sowie deren Strukturierung ist unweigerlich nicht abgeschlossen, da sich das untersuchte Akteur*innen-Spektrum und ihr Online-Auftritt kontinuierlich verändert. Die Auswahl spiegelt also den aktuellen Arbeitsstand wider und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Für jede Quellensetkategorie wurden verschiedene Kriterien bestimmt, um trotz der großen Vielfalt und Heterogenität der Gruppen wenigstens eine gewisse Vergleichbarkeit herzustellen. Diese sollen hier kurz vorgestellt werden:
Abbildung 1: Plattformverteilung der untersuchten Accounts
Insgesamt wurden auf diese Weise 1621 Social-Media-Accounts zusammengetragen, die sich über alle Quellensets hinweg – wie in Abbildung 1 zu sehen – relativ gleichmäßig auf alle untersuchten Plattformen verteilen. Vergleicht man die einzelnen Quellensets untereinander, zeigen sich jedoch erhebliche Unterschiede in der allgemeinen Accountabdeckung und der Plattformverteilung (siehe Auswahl an Quellensets, Abbildung 2). Die größte Accountabdeckung unter den untersuchten Klima-Organisationen hat mit insgesamt 286 von 345 maximal möglichen Accounts Fridays for Future. Damit tritt sie sehr flächendeckend in Deutschland auf und hat die Möglichkeit, ihre Online-Mobilisierung und -Kampagnen mit spezifisch regionalem Zuschnitt zu adressieren. Mit einigem Abstand, aber dennoch hoher Abdeckung sind die Gruppen Greenpeace und Extinction Rebellion vertreten. Alle bisher genannten Organisationen verteilen ihren Social-Media-Auftritt außerdem sehr gleichmäßig über alle betrachteten Plattformen. Das bringt den grundsätzlichen Vorteil mit sich, die jeweiligen Inhalte für unterschiedliche Kommunikationsformate aufbereiten zu können, um so ein plattformspezifisches Publikum zu erreichen. Deutlich unausgewogener fällt die Plattformverteilung bei beispielsweise BUND, NABU und den Naturfreunden aus, die ihre Online-Kommunikation auf den untersuchten Plattformen hauptsächlich auf Facebook konzentrieren und damit stärker von den dessen oben beschriebenen Eigenheiten abhängig sind. Twitter als den öffentlich-medialen Diskurs prägenden Online-Dienst nutzen dagegen hauptsächlich Einzelpersonen in den Quellensets Aktivist*innen und Wissenschaftler*innen sowie wissenschaftliche Institutionen. Sehr wenig relevant ist für diese Gruppen hingegen Facebook.
Abbildung 2: Plattformverteilung ausgewählter Quellensets
Die Frage nach dem Einfluss auf den gesellschaftlichen Klimadiskurs sowie nach dem Erfolg der Online-Mobilisierung lässt sich allerdings allein mit der Account- und Plattformabdeckung der Klimaakteur*innen nicht beantworten. Darüber geben neben den zentralen inhaltlichen wie kommunikativen Strategien, die in den weiteren Teilen des Online-Berichts untersucht werden, vor allem Parameter wie Social Interactions (SI) – also Likes, Shares, Retweets, Kommentare etc. – Aufschluss. Warum sind diese Kriterien aber überhaupt relevant? Zum einen zeigen sie ein bestimmtes Maß an Involviertheit mit dem jeweiligen Post an und sind damit Zeichen einer gewissen diskursiven „Popularität“. Mit einem Like wird die eigene Zustimmung ausgedrückt oder allgemein die Wichtigkeit des Inhalts betont, Shares und Reweets bieten die Möglichkeit, bestimmte Beiträge weiterzuverbreiten und damit deren Reichweite zu erhöhen und über Kommentare kann widersprochen, beigepflichtet oder die eigene Meinung artikuliert werden. Alle Plattformen bieten dafür vergleichbare aber dennoch leicht abweichende Funktionen an, die plattformabhängig auch unterschiedlich favorisiert werden. Zum anderen fließen alle Formen der Interaktion in den spezifischen Algorithmus des sozialen Mediums ein, der dafür sorgt, dass bestimmte Inhalte in den Timelines oder Kommentarspalten sichtbarer werden. Das Maß der Social Interactions, das alle diese Interaktionsarten ungewichtet und plattformübergreifend zusammenrechnet, ist damit zwar sehr generalisierend, bietet aber gerade bei einer großen Datenmenge eine gute Vergleichsgrundlage über das allgemeine Reaktionsverhalten der Social-Media-User*innen auf die hier untersuchten Klimaakteur*innen.
Auf Grund der sehr großen Bandbreite an untersuchten Akteur*innen mit ihren jeweils eigenen Kommunikationszielen und der unterschiedlichen Größe der Quellensets müssen die Ergebnisse sehr differenziert betrachtet werden und geben an dieser Stelle nur einen ersten Überblick. Über den gesamten Untersuchungszeitraum vom 27.02. (Kalenderwoche 9) bis zum 21.05. (Kalenderwoche 20) verteilen sich die Social Interactions aller Social-Media-Posts der Quellensets in absoluten Zahlen wie in Abbildung 3 dargestellt: Aktivist*innen erzielen auf ihren Social-Media-Kanälen mit insgesamt ca. 2 Millionen mit großem Abstand die meisten Interaktionen. Dahinter folgt Fridays for Future, die allerdings auch das größte Quellenset stellen, gefolgt von Wissenschaftler*innen. In Bezug auf SI sind also Einzelpersonen besonders erfolgreich. Dieser Befund, dass individuell, nicht als Organisation agierende Akteur*innen mit personalisierten Inhalten besonders gut in den sozialen Medien funktionieren, deckt sich auch mit anderen Forschungsergebnissen (vgl. Raupp 2022: 452). Auffällig ist in dieser Liste auch die Gruppe der Letzten Generation, die sehr hohe Zahlen erreicht. Trotz ihrer Strategie, ihre Inhalte (während des Untersuchungszeitraums) lediglich über einen zentralen Hauptaccount pro Plattform auszuspielen, landen sie in den absoluten SI-Werten im vorderen Feld. Gruppen wie zum Beispiel Extinction Rebellion, deren Quellenset 135 Accounts umfasst, Ende Gelände mit 93 Accounts oder die Naturfreunde mit 89 Accounts sind erst in der unteren Hälfte der Statistik zu finden. Das öffentlich mediale Interesse, das die erst 2021 gebildete Letzte Generation mit ihren Protestaktionen auslöst, zeigt sich also auch statistisch in den SI-Werten.
Abbildung 3: Absolute Social-Interactions der untersuchten Quellensets
Insgesamt fällt jedoch auf, dass sich die SI vor allem auf einzelne besonders erfolgreiche Accounts der jeweiligen Quellensets konzentrieren (siehe Abbildung 4). So zeigt sich bei den Quellensets der Einzelpersonen eine starke Personenzentrierung. Luisa Neubauer erzielt mit ihren Accounts auf Twitter und Instagram (auf Facebook hat sie keinen Account) mehr als 1,1 Millionen soziale Interaktionen und belegt damit über alle Accounts aller Quellensets hinweg die Plätze eins und zwei in Bezug auf SI. Damit vereint sie bereits mehr als die Hälfte der gemessenen Interaktionen des Quellensets Aktivist*innen auf ihre beiden Profile. Auch beim Quellenset der Wissenschaftler*innen liegt der Hauptteil der SI auf wenigen Akteur*innen wie rahmstorf (Platz 6), Vquaschning (Platz 12) und eckart_von_hirschhausen (Platz 21). Auch in dieser Analyse spiegelt sich die hohe Reaktionsfreudigkeit und das Interesse an der Letzten Generation wider. So ist die Gruppe mit all ihren Profilen in den Top 25 vertreten (Instagram: Platz 3, Facebook: Platz 13, Twitter: Platz 16) und erzielt mit diesen drei Profilen auch deutlich mehr Interaktionen als beispielsweise die Hauptaccounts von Fridays for Future (Instagram: Platz 5, Twitter: Platz 16, Facebook: Platz 36).
Abbildung 4: Absolute Social-Interactions nach Einzelaccounts
Schlüsselt man die sozialen Interaktionen nach Plattform auf (siehe Abbildung 5), liegt Instagram mit 55% vor Twitter mit 39% und Facebook mit lediglich 6%. Hier ist jedoch zu beachten, dass die unterschiedlichen Ausprägungen sozialer Interaktion auch in ihrer Wirkung unterschiedlich zu bewerten sind. Ein Like, das auf Instagram im Plattformvergleich sehr häufig vergeben wird, hat einen anderen kommunikativen Effekt als das twittertypische Retweeten. Facebook ist bezüglich der SI für die hier untersuchten Akteur*innen kaum relevant.
Abbildung 5: Plattformverteilung nach Social-Interactions über alle Quellensets
Die sozialen Interaktionen sind über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg jedoch nicht konstant, sondern variieren entlang medialer und gesellschaftlicher Ereignisse, eigenen Protestaktionen, Demonstrationsaufrufen, politischen Entscheidungen oder neuen Erkenntnissen über den Klimawandel. Hier zeigt sich ein differenziertes Bild der Akteur*innen der Klimabewegung in ihren Mobilisierungsmomenten. Um diese zu identifizieren, haben wir die SI in einer Zeitreihe über die Kalenderwochen 09 (27.02.) – 20 (21.05) untersucht. Der Übersichtlichkeit halber haben wir uns dazu entschieden in Abbildung 5 nur die vier Akteur*innengruppen mit den über den Gesamtzeitraum meisten SI zu visualisieren – also Aktivist*innen, Fridays for Future, Wissenschaftler*innen und Letzte Generation.
Bis auf das Quellenset der Wissenschaftler*innen, das relativ konstant zwischen 50.000 und 100.000 Interaktionen pro Woche hervorruft, gibt es bei allen anderen Quellensets erhebliche Schwankungen. In der KW09 verzeichnet Fridays for Future ein Hoch bei ca. 250.000 SI, das mit der Mobilisierung zum globalem Klimastreik am 03. März zusammenfällt. Bei den Aktivist*innen sticht vor allem KW12 heraus, da in dieser Woche mit der Veröffentlichung des IPCC-Syntheseberichts und dem Volksentscheid „Berlin 2030 klimaneutral“ zwei wesentliche mobilisierungs- und kommunikationsrelevante Ereignisse stattfanden. Auch bei den übrigen drei Gruppen ist entlang dieser beiden Ereignisse ein kleines SI-Hoch zu verzeichnen. In KW13 ist vor allem der in dieser Woche tagende Koalitionsausschuss und insbesondere die darin entschiedene Aufweichung der Emmissionsziele einzelner Wirtschaftssektoren ein Thema, das auf den Social-Media-Kanälen von Aktivist*innen und Fridays for Future interaktionsstark besprochen wird. Die Letzte Generation hat ihre SI-Spitze im Untersuchungszeitraum in KW17, in der sie intensive Verkehrsblockaden in Berlin angekündigt und unter teils großem Widerstand auf der Straße und heftigen medialen Debatten durchführt hat.
Die inhaltliche und kommunikative Strategie der unterschiedlichen Akteur*innen wird im zweiten Teil des Online-Berichts genauer analysiert. Anhand der Zeitreihenanalysen wurde jedoch bereits deutlich, dass die Klimabewegung eine sehr heterogene Gruppe unterschiedlicher Akteur*innen ist, die verschiedene Anlässe pointiert und zur Erreichung ihrer Ziele jeweils eigene (Online)-Strategien nutzt. Dies wirft natürlich auch die Frage auf, inwiefern eine digitale Vernetzung unter den verschiedenen Akteur*innen angestrebt oder bereits umgesetzt ist. Welches Potenzial läge darin, gemeinsame Mobilisierungsanlässe stärker zu fokussieren, um eine noch größere gesellschaftliche Aufmerksamkeit zu erzeugen? Auch das wird in einem späteren Teil der Analyse genauer untersucht.
Abbildung 6: Social-Interactions der vier interaktionsstärksten Quellensets über die Kalenderwochen 09-20 2023
Drüeke, Ricarda (2022): Widerstand per Click und Hashtag: Protestbewegungen im Wandel. In: C. Schwarzenegger, E. Koenen, C. Pentzold, T. Birkner, & C. Katzenbach (Hrsg.): Digitale Kommunikation und Kommunikationsgeschichte: Perspektiven, Potentiale, Problemfelder, S. 275-295.
Emmer, Martin (2022): Soziale Medien in der politischen Kommunikation. In: Schmidt, Jan-Hinrik/Taddicken, Monika (Hrsg.): Handbuch Soziale Medien, S. 57-80.
Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.), Hübner, Christine/Eichhorn, Jan/Nicke, Sascha/Eilers, Neele/d|part Think Tank für politische Partizipation (2022): (Nach-)Wahlanalyse: Wie haben junge Deutsche 2021 bei der Bundestagswahl gewählt? Online: https://library.fes.de/pdf-files/pbud/19475.pdf.
Hammer, Luca/Schories, Martina (2023): Datenexploration: Wie hat sich das deutschsprachige Twitter von 2021 bis 2023 verändert? Im Auftrag des ZDF Magazin Royal. Online: https://vogel.rip/pdf/Datenexploration--Wie-hat-sich-das-deutschsprachige-Twitter-von-2021-bis-2023-ver%C3%A4ndert-.pdf.
Koch, Wolfgang (2022): Ergebnisse der ARD/ZDF-Onlinestudie 2022. Reichweiten von Social-Media-Plattformen und Messengern. In: Hager, F. (Hrsg.): Media Perspektiven 10/2022, S. 471-478.
Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (Hrsg.) (2022): JIM-Studie 2022. Jugend, Information, Medien. Basisuntersuchung zum Medienumgang 12-19-Jähriger. Online: https://www.mpfs.de/fileadmin/files/Studien/JIM/2022/JIM_2022_Web_final.pdf.
Raupp, Juliana (2022): Personalisierung. In: Borucki et al. (Hrsg.): Handbuch Politische Kommunikation, S. 441-458.
Riebe, Frauke/Marquardt, Jan (2022): Klimawandel & Wahlentscheidung 2021 – eine Frage des Alters?, easy_social_sciences 67, 39-48.
Serrano, Juan Carlos Medina/Papakyriakopoulos, Orestis/Hegelich, Simon (2020): Dancing to the Partisan Beat: A First Analysis of Political Communication on TikTok. In: WebSci '20: Proceedings of the 12th ACM Conference on Web Science, S. 257-266.
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Extinction Rebellion (o.D.b): Digitale Rebellion. Online: https://extinctionrebellion.de/archiv/rebellion-wave-juni-2020/digital/, zuletzt aufgerufen am 28.06.2023.
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[1] Außerdem fordert die Letzte Generation ein Tempolimit von 100 km/h auf deutschen Autobahnen und ein dauerhaftes 9-Euro-Ticket (vgl. Letzte Generation o.D.)