Einbeziehung von Menschen mit Behinderung in die Ebenen der Politik – Anspruch der UN-Behindertenrechtskonvention und Wirklichkeit in Thüringen


Die rechtlichen Gegebenheiten für eine politische Partizipation von Menschen mit Behinderungen in Thüringen sind ambivalent. Gesetzliche Rahmenbedingungen sind teils gegeben, aber ausbaufähig. Das konkrete Wirken ist ebenso zwiespältig. Während auf der einen Seite die Interessenvertretung von Menschen mit Behinderungen in Landesgremien grundsätzlich gegeben ist, fehlt auf der anderen Seite die rechtlich verbriefte Gleichberechtigung durch fehlendes Stimmrecht. Zur Durchsetzung muss man sich der klassischen Mittel einer Interessenvertretung bedienen. Dabei besteht grundsätzlich eine gute Zusammenarbeit mit Entscheidungsträgern, auch wenn nicht alle Forderungen bisher umgesetzt werden konnten.


 

Empfohlene Zitierung:

Brick, Alexander (2024). Einbeziehung von Menschen mit Behinderung in die Ebenen der Politik – Anspruch der UN-Behindertenrechtskonvention und Wirklichkeit in Thüringen. In: Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (Hg.). Wissen schafft Demokratie. Schwerpunkt Behindernde Gesellschaft, Band 15. Jena, 180–189.

Schlagwörter:

Partizipation, UN-Behindertenrechtskonvention, Interessen- und Selbstvertretung, Thüringen

 

Einführung

„Bei der Ausarbeitung und Umsetzung von Rechtsvorschriften und politischen Konzepten [...] führen die Vertragsstaaten mit den Menschen mit Behinderungen, einschließlich Kindern mit Behinderung, über die sie vertretenden Organisationen enge Konsultationen und beziehen sie aktiv ein.“ (Netzwerk Artikel 3 e. V. 2018, 13)

Diesen Anspruch erhebt die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) in Artikel 4, Abs. 3. Doch wird Politik diesem Anspruch in all ihren Facetten gerecht? Der Text versucht einen kurzen Einblick in die Thüringer Gegebenheiten zu gewähren und dabei sowohl positive als auch negative Beispiele zum Anspruch der UN-BRK zu geben. Hierbei wird die Situation aus der Perspektive der LIGA der politischen Interessen- und Selbstvertretung von Menschen mit Behinderungen in Thüringen e. V. (LIGA SV) dargestellt.

Klarzustellen ist vorweg, dass sich nicht nur die LIGA SV für Menschen mit Behinderungen einsetzt. Es ist mitnichten ein Alleinstellungsmerkmal. Leistungserbringer, Träger der Eingliederungshilfe, Vereine, Verbände und Einzelpersonen, die mit Menschen mit Behinderungen zu tun haben, so hofft und glaubt der Verfasser, verfolgen das Ziel, diese zu einem selbstbestimmten Leben zu befähigen. Fraglich ist jedoch erstens, ob die Umsetzung der UN-BRK und die Ermöglichung eines selbstbestimmten Lebens der Fokus der Arbeit aller Beteiligten ist oder ob nicht andere Interessen primär verfolgt werden. Zweitens muss herausgestellt werden, dass die LIGA SV sich dem Peer-Gedanken verpflichtet fühlt und daher die Betroffenen nicht nur in den Mittelpunkt ihrer Arbeit stellt, sondern der festen Überzeugung ist, dass sie grundsätzlich in der Lage sind, für sich selbst zu sprechen. Dort, wo dies nicht oder noch nicht gelingt, sind die notwendigen Unterstützungen zur Verfügung zu stellen.

Gesetzliche Voraussetzungen

Unter dem Begriff polity versteht man in der Politikwissenschaft den Rahmen, in dem sich politische Interaktionen abspielen. Einfacher gesprochen sind das Verfassungen, Gesetze und Verordnungen, die die Möglichkeiten zur politischen Beteiligung abstecken. Innerhalb dessen spielt sich auch die Arbeit der LIGA SV ab. Aber auch die inhaltliche Ausgestaltung, als policy bezeichnet, und deren Umsetzung, politics, sollen beleuchtet werden (Bundezentrale für politische Bildung o. J.).

Thüringer Verfassung

Den groben und großen Rahmen bildet die Thüringer Verfassung. Bisher ist es nicht gelungen, den Begriff der Inklusion in der Thüringer Verfassung zu verankern. Dies wäre ein wichtiges Signal und würde zum Beispiel die Möglichkeit bieten, bei Verstößen vor das Thüringer Verfassungsgericht zu ziehen. Außerdem würde es die Möglichkeit bieten, bei konkurrierenden Gesetzen die Inklusion als wichtiger zu klassifizieren, da diese Verfassungsrang hätte. Beispielsweise sei hier auf den permanenten Konflikt zwischen Schaffung von Barrierefreiheit und dem Denkmalschutz verwiesen. Die Diskrepanz zwischen Denkmalschutz und Barrierefreiheit würde zugunsten der Barrierefreiheit aufgelöst. Jedoch ist die Auslegung der Verfassung und sich daraus ergebene Verpflichtungen immer hoch kontrovers. Daher ist die Änderung der Thüringer Verfassung mit der Aufnahme des Inklusionsbegriffs zwar wünschenswert, aber allein keine Problemlösung. Auch wenn Menschen mit Behinderungen dem mittlerweile überdrüssig sind, weil dem Ausspruch zu selten Taten folgen, kann Inklusion nur gelingen, wenn sich dies in den Köpfen aller Menschen festsetzt. Das heißt, so lange Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Medien, um nur einige Bereiche zu nennen, die Rechte der Menschen nicht nur anerkennen, sondern diese auch umsetzen, ist die formale Aufnahme in die Verfassung symbolisch. Im Zweifel müssten Betroffene weiterhin die ihnen zustehenden Rechte einfordern und notfalls einklagen. Und macht man sich ehrlich: Wer kennt schon die Thüringer Verfassung mit all ihren Facetten.

Landesgesetze

In der Normenhierarchie unterhalb der Verfassung gibt es aber Gesetze, die den Rahmen für eine inklusivere Gesellschaft schaffen. Dabei gilt es zu unterscheiden zwischen Gesetzen, die eine positive Wirkung für Menschen mit Behinderungen entfalten sollen, und Gesetzen, die eine aktive Einbeziehung dieser regeln. Beide Formen dieser Gesetze haben zwar das Ziel, die Umsetzung der UN-BRK voranzubringen, aber der Fokus dieser Abhandlung liegt auf der Beteiligung von Betroffenen. Dies schließt natürlich nicht aus, dass auch die Einbeziehung von Betroffenen durch die anderen Gesetze dem Zweck der Selbstvertretung zugutekommen kann. Eine Mitwirkung bei der Thüringer Bauordnung, die eine wesentliche Grundlage für barrierefreies Bauen beinhalten könnte, würde bspw. Betroffenen direkt zugutekommen, wenn dadurch mehr Menschen selbstbestimmt leben können.

Thüringer Gesetz zur Ausführung des Neuntes Buches Sozialgesetzbuch (ThürAGSGB IX)

Ein einfacher Satz, niedergeschrieben im Paragrafen 7 Thüringer Gesetz zur Ausführung des ThürAGSGB IX ist die Grundlage für das Agieren der LIGA SV:

„Interessenvertretung der Menschen mit Behinderungen im Sinne des Neunten Buches Sozialgesetzbuch ist die LIGA der politischen Interessenvertretung- und Selbstvertretung von Menschen mit Behinderungen in Thüringen e. V.“ (ThürAGSGB IX)

Seit 2018 wird sie im Gesetz benannt. Damit ist sie auch Teil der später zu beleuchtenden Teilhabekommission. Sowohl die Landesregierung als auch der Landtag als Haushaltsgesetzgeber sichern die Interessenvertretung ab, denn mittlerweile erhält sie eine institutionelle Förderung, die es ihr erlaubt, sich diesen Themen im Hauptamt zu widmen. Das gibt Spielraum für eine umfassende Beteiligung auch in anderen Gremien, bspw. den Arbeitsgruppen zur Umsetzung des Thüringer Maßnahmenplans zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention.
Natürlich gibt es weitere Interessenvertretungen, die sich in Thüringen um die Belange von Menschen mit Behinderungen kümmern. Unbedingt erwähnt werden muss an dieser Stelle der Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderungen. Seine Aufgaben werden durch das ThürGIG, welches gleich erläutert wird, bestimmt. Ein wesentliches Tätigkeitsfeld ist die Beratung von Menschen mit Behinderung, die Herstellung von Barrierefreiheit und die Vernetzung auch auf Bundesebene. Als notwendige Ergänzung ist die LIGA SV ein Dachverband von Einzelverbänden und Personen, die eine eigene Betroffenheit haben.

Das Thüringer Gesetz zur Inklusion und Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (ThürGIG)

Auch das ThürGIG1 schafft für die Betroffenenvertretung Möglichkeiten der Teilhabe. Während sich der größte Teil des Gesetzes mit den unterschiedlichen Formen von Barrierefreiheit und Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen beschäftigt, ist auch eine selbstbestimmte Interessenvertretung von Betroffenen vorgesehen. Hier sei insbesondere auf den Landesbeirat für Menschen mit Behinderungen nach Paragraf 21 hingewiesen. Dem mittlerweile Landesbehindertenbeirat genannten Gremium gehören unterschiedliche Betroffenenvertretungen von Menschen mit Behinderungen an, so auch die LIGA SV, die aktuelle Themen miteinander diskutieren. Besonders an dem Gremium ist, dass ihm sowohl Vertreter*innen der Landesverwaltung als auch der Fraktionen des Thüringer Landtags angehören. Dies bietet die Gelegenheit, mit politischen Entscheidungsträger*innen direkt ins Gespräch zu kommen und bestehende Problemlagen darzulegen. Leider ist die Beteiligung der Mandatsträger*innen von unterschiedlicher Häufigkeit und mit unterschiedlichem Interesse. Im Gegensatz zur Teilhabekommission sind im Landesbehindertenbeirat nur die Interessenvertretungen stimmberechtigt. Dafür sind die Kompetenzen auch eingeschränkt, denn über Empfehlungen an die Landesregierungen gehen die Möglichkeiten nicht hinaus. Eines der schärfsten Schwerter des Landesbehindertenbeirates ist die Debatte vor breiterem Publikum. Daraus ergeben sich des Öfteren Presseartikel, die die Sensibilität für die Belange von Menschen mit Behinderungen schärfen. Bei der derzeitig stattfindenden Evaluierung des ThürGIG wurde durch die LIGA SV angeregt, dem Landesbehindertenbeirat die Möglichkeit für Anträge im Thüringer Landtag zuzusprechen.

Landesrahmenvertrag

Nach §131 SGB IX schließen die Träger der Eingliederungshilfe mit den Leistungserbringern Vereinbarungen über die Erbringung von Leistungen ab. Hierzu zählen Angebote der Personenzentrierten Komplexleistung (PKL), aber auch die Finanzierung von teil- und vollstationären Einrichtungen. Dabei sind die Interessenvertretungen zu beteiligen. In Thüringen wurde 2019 dazu der Landesrahmenvertrag geschlossen, der, und das nur als bemerkenswerte Randnotiz, die bereits erwähnte PKL als ersten Teil der Leistungserbringung, zumindest der Reihenfolge nach, aufführt. Entgegen stationären oder teilstationären Einrichtungen werden Eingliederungshilfeleistungen in der PKL sozialräumlich erbracht. Bereits dem Namen nach steht das Individuum mit seinen eigenen Vorstellungen im Mittelpunkt der Leistungserbringung (Freistaat Thüringen 2019).

Teilhabekommission und ihre Unterarbeitsgruppen

Für alle dem Rahmenvertrag nach zu behandelnden Themen wurde eine Teilhabekommission eingerichtet (siehe Teil VI unter Paragraf 34), der auch zwei Vertreter*innen der LIGA SV angehören. Damit wird sichergestellt, dass die Interessenvertretung von Menschen mit Behinderungen bei jeglichen Themen, die in der Teilhabekommission behandelt werden, mit am Tisch sitzt. So erfreulich diese Einbeziehung ist, bietet sie dennoch gleichermaßen Ansatz für Kritik, denn die LIGA SV nimmt lediglich mit beratender Funktion teil. Ein Stimmrecht besitzt sie nicht – in einem Gremium, das seine Beschlüsse einstimmig fassen muss. In der praktischen Arbeit bedeutet das: Es können zwar immer wieder Hinweise, Anregungen, Verbesserungsvorschläge und Kritik eingebracht werden, jedoch wird an der Entscheidung selbst nichts verändert. Ausdrücklich sei darauf hingewiesen, dass die Beiträge der LIGA SV durch die anderen Teilnehmenden gewürdigt werden und auch Diskussionen daraus entstehen. Sind Leistungserbringer und Kostenträger aber einer Meinung, ist das Votum der Betroffenen eine Protokollnotiz. Im Sinne einer gleichberechtigten Teilhabe müsste das Prinzip der Einstimmigkeit aufgehoben und der Interessenvertretung ebenfalls Stimmrecht eingeräumt werden. Hiermit würde man zwar nicht verhindern, dass Kostenträger und Leistungserbringer eine Mehrheit gegenüber der Betroffenenvertretung erreichen könnten. Die bisher bestehende Möglichkeit und Realität von Patt-Situationen würde aber aufgehoben und wechselnde Mehrheiten könnten auch im Interesse der Betroffenen die inhaltliche Arbeit voranbringen. Denn inhaltliche Übereinstimmungen gibt es wechselnd mit beiden Vertragsparteien.

Die Teilhabekommission kann entsprechend dem Landesrahmenvertrag auch Unterarbeitsgruppen bilden. Über die intensive und konstruktive Zusammenarbeit in den Gremien darf aber nicht hinwegtäuschen, dass auch hier die Interessenvertretung der Menschen mit Behinderungen kein Stimmrecht hat. Die prinzipielle Bereitschaft einer gleichberechtigten Teilhabe kann man hingegen im Landesrahmenvertrag ablesen. Der im Paragrafen 94, Abs. 4a SGB IX vorgesehenen Arbeitsgemeinschaft zur Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe wird im Gegensatz zu den anderen Unterarbeitsgruppen eine gleichberechtigte Teilhabe durch die Teilhabekommission gewährt, denn gemäß Paragraf 35 Landesrahmenvertrag Thüringen ist die LIGA SV hier gleichberechtigtes Mitglied.

Schiedsstellenkommission

Analog zur Teilhabekommission und den Unterarbeitsgruppen verhält es sich mit der Schiedsstelle nach §133 SGB IX, die bei Streitigkeiten zwischen Leistungserbringern und den Trägern der Eingliederungshilfe vermitteln soll. Paragraf 133, Abs. 5, Satz 10 SGB IX sieht explizit vor, dass die Landesregierungen der Bundesländer durch Rechtsverordnungen ermächtigt werden, die Beteiligung der Interessenvertretung von Menschen mit Behinderungen zu regeln. In der entsprechenden Verordnung wird in Paragraf 7 festgehalten, dass die LIGA SV beratend an den Sitzungen teilnehmen kann und allgemein einzubeziehen ist. Auch hier fehlen die verbindliche Beteiligung und das Stimmrecht, um eine gleichberechtigte Teilnahme sicherzustellen.

Praxis

Nachdem die gesetzlichen Möglichkeiten und Grenzen aufgezeigt wurden, soll nun dargestellt werden, wie die Einbeziehung von Menschen mit Behinderungen gelingt – oder eben auch nicht.

Normenkontrollrat

Als verpasste Chance ist die Schaffung des Normenkontrollrates anzusehen. Durch die CDU-Fraktion wurde im parlamentarischen Verfahren ein Gesetzentwurf zur Schaffung einer Anti-Bürokratiekommission eingebracht. Ziel dieser Kommission sollte, wie der Name erahnen lässt, die Reduzierung von Bürokratie sein (Thüringer Landtag 2021). Die LIGA SV sah mit der Schaffung eines solchen Kontrollrates bei gleichzeitiger Erweiterung der Kompetenz die Möglichkeit, frühzeitig neue Gesetze auf deren Auswirkungen für Menschen mit Behinderungen zu überprüfen und auf mögliche Verstöße gegen die UN-BRK aufmerksam zu machen. Daher hat sie in einer Stellungnahme diese Möglichkeit gegenüber dem zuständigen Ausschuss kommuniziert (LIGA Selbstvertretung Thüringen 2019). Die angedachten Änderungen umgesetzt, wäre dieses Gesetz eine mustergültige Umsetzung von Artikel 4, Abs. 3 UN-BRK. Mit dem Erlass einer Verwaltungsvorschrift (VV) hat die Landesregierung den Gesetzgebungsprozess obsolet gemacht. Inhaltlich ist eine große Deckungsgleichheit zwischen Gesetzentwurf und erlassener VV zu erkennen (Freistaat Thüringen o. J.b). Leider finden sich die Änderungsvorschläge der LIGA SV nicht in der VV. Doch noch bedauerlicher ist die Zusammensetzung des Rates. Ganz ausdrücklich richtet sich das Bedauern nicht gegen die Berufung der aktuellen Mitglieder, sondern gegen die fehlende Einbeziehung der Interessenvertretung von Menschen mit Behinderungen. Unter dem Hinweis auf die einleitenden Worte sei nochmals hervorgehoben, dass keine Behinderung vorliegen muss, um sich für Menschen mit Behinderungen einzusetzen. Überdies ist nicht bekannt, ob Mitglieder des Rates nicht eine Behinderung haben. Jedoch kann man anhand der entsendenden Institutionen erkennen, dass der Fokus nicht auf einer Selbstvertretung von Menschen mit Behinderungen, d. h. ihrer Perspektiven, Erfahrungen, Anliegen und Lebensrealität, liegt. Die Hoffnung liegt auf der im Jahr 2024 zu erfolgenden Evaluierung der VV dahingehend, dass eine Erweiterung des Gremiums noch erfolgt.

Thüringer Maßnahmenplan 2.0

Konträr zum Normenkontrollrat ist die partizipative Mitarbeit von Interessenvertretungen bei der Umsetzung des Thüringer Maßnahmenplans zur Umsetzung der UN-BRK 2.0 (Freistaat Thüringen o. J.a) zu bewerten. Seitens der Landesregierung und insbesondere mit dem für den Maßnahmenplan zuständigen Sozialministerium (TMASGFF) ist eine Mitarbeit in den einzelnen Arbeitsgruppen erwünscht. Explizit wurde die LIGA SV gebeten, sich an der Arbeit zu beteiligen und weitere potenzielle Mitarbeitende zu benennen. Auch wurde die LIGA SV mit der Umsetzung einer Maßnahme betraut. Sie durfte die Maßnahme VIII.3, die „Schulung der Hausleitung, der Abteilungsleiter_innen und weiterer Mitarbeiter_innen aller Ministerien in Thüringen zum Thema Menschen mit Behinderungen“ durchführen. Dabei lag der Fokus für die LIGA SV auf einer Sensibilisierung der Teilnehmenden auf die besonderen Bedarfe von Menschen mit Behinderungen, zugeschnitten auf das jeweilige Ministerium. Erklärtes Ziel war es zu zeigen, dass in ausdrücklich jedem Ministerium Themenkomplexe bearbeitet werden, die Einfluss auf das Leben von Menschen mit Behinderungen haben. Legt man die UN-BRK zugrunde, lässt sich aus dieser heraus eine Verantwortung der Ministerien für einzelne Artikel aufzeigen. Auch wenn Teilnahme, Mitwirkung und Resonanz für die einzelnen Ministerien unterschiedlich ausfallen, kann die Umsetzung der Maßnahme an sich als Erfolg gewertet werden.

Lobbyarbeit

Als politische Interessenvertretung gehört natürlich auch klassische Lobbyarbeit zum Werkzeugkasten. So werden Kontakte zu den Fraktionen, insbesondere den Sozialpolitiker*innen, gepflegt und in Gesprächen auf Probleme aufmerksam gemacht. Dabei ist die LIGA SV parteipolitisch neutral und steht in Thüringen bis auf eine Ausnahme mit allen Fraktionen in gutem Austausch. Aus diesen Gesprächen resultieren nicht selten Kleine Anfragen als Mittel der Abgeordneten, nähere Informationen zu bestimmten Sachverhalten zu erfragen. Beispielhaft sei hier auf eine Anfrage zum Budget für Arbeit hingewiesen, die zeigte, dass von diesem Instrument der Eingliederungshilfe in Thüringen bis zum 31.Januar 2022 nur 37 Mal Gebrauch gemacht wurde (Thüringer Landtag 2022). Mit der Vorstellung der Kleinen Anfrage und deren Antwort konnte eine Presseresonanz erzeugt werden. Auch Anfragen in den Themenbereichen Bildung, Barrierefreiheit oder Eingliederungshilfe gehen teils auf Gespräche mit Abgeordneten zurück.

Aber auch bei der Erarbeitung von Gesetzesinitiativen oder Anträgen wird die LIGA SV teils proaktiv, teils auf Nachfrage hin einbezogen. Vor dem Hintergrund der Vielzahl von teils deutlich divergierenden Interessen und auch anderen Interessenvertretungen kann man festhalten, dass die Zusammenarbeit mit den Fraktionen, mit denen Austausch besteht, konstruktiv ist. Auch wenn es nicht immer der große Wurf ist, können auch kleinere etwas bewegen.

Fazit

Aus den Schilderungen lässt sich ableiten, dass der gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit Behinderungen in Thüringen noch immer Grenzen gesetzt sind. Weil eine inklusive Gesellschaft nicht allein im politischen Raum gestaltet werden kann, ist die Gesellschaft als Ganze für die Anliegen von Menschen mit Behinderungen zu sensibilisieren. Deshalb gibt es in der LIGA SV offene Arbeitsgemeinschaften, werden Veranstaltungen durchgeführt, wie beispielsweise die Schulung von Werkstatträt*innen über deren Mitwirkungsmöglichkeiten, Netzwerke zu anderen Vereinen aufgebaut oder gepflegt und Pressearbeit geleistet. Auch Einzelgespräche mit Betroffenen werden geführt, um zum einen den Betroffenen nach Möglichkeit zu helfen und zum anderen, um auf andere oder neue Problemlagen aufmerksam gemacht zu werden. Schlussendlich ist das Ziel, dass Menschen mit Behinderungen zu ihrem Recht kommen, selbstverständlicher Teil einer nicht diskriminierenden Gesellschaft zu sein. Daran wird weiter, im Wissen um die begrenzten Möglichkeiten, gearbeitet.

 

1

landesrecht.thueringen.de/bsth/document/jlr-InklGlGTHpIVZ/part/X.

 


Alexander Brick, M. A., Politikwissenschaftler, ist Geschäftsstellenleiter der LIGA Selbstvertretung Thüringen e. V. Eine umfassende Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Thüringen und das Engagement für Menschen mit Behinderungen in allen Lebensbereichen ist das Ziel der LIGA SV.


 

Literaturverzeichnis

Bundeszentrale für politische Bildung (o. J.). Lexikon. Online verfügbar unter www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/politiklexikon/ (abgerufen am 04.06.2024).

Freistaat Thüringen (2019). Landesrahmenvertrag gemäß § 131 Abs. 1 SGB IX. Online verfügbar unter www.tmasgff.de/fileadmin/user_upload/Soziales/Dateien/Menschen_mit_Behinderungen/Landesrahmenvertrag_BTHG_2019.pdf (abgerufen am 04.06.2024).

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Freistaat Thüringen (o. J.b). Verwaltungsvorschrift der Landesregierung zur Einsetzung eines Thüringer Normenkontrollrates. Online verfügbar unter landesrecht.thueringen.de/bsth/document/VVTH-VVTH000010320 (abgerufen am 04.06.2024).

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Netzwerk Artikel 3 e. V. (2018). Schattenübersetzung Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Behindertenrechtskonvention – BRK, S. 13. Online verfügbar unter www.nw3.de/attachments/article/130/BRK-Schattenuebersetzung-3-Auflage-2018.pdf (abgerufen am 04.06.2024).

ThürAGSGB IX (2018). Gesetz- und Verordnungsblatt für den Freistaat Thüringen, Ausgabe 10 im Jahr 2018.

Thüringer Landtag (2021). Gesetz zur Einsetzung einer Thüringer Anti-Bürokratiekommission (Thüringer Anti-Bürokratiekommissionsgesetz - ThürABKG). Online verfügbar unter parldok.thueringer-land-tag.de/ParlDok/dokument/83165/gesetz_zur_einsetzung_einer_thueringer_anti_buerokratiekommission_thueringer_anti_buerokratiekommissionsgesetz_thuerabkg_neufassung.pdf (abgerufen am 04.06.2024).

Thüringer Landtag (2022). Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage zum Budget für Arbeit in Thüringen. Online verfügbar unter parldok.thueringer-land-tag.de/ParlDok/dokument/85772/budget_fuer_arbeit_in_thueringen.pdf (abgerufen am 04.06.2024).