Projektvorstellung: Festival Schranken Los! in Jena: Zugangs-Barrieren im Kulturbetrieb erkennen und beseitigen

Es ist keine neue Erkenntnis: Auch der Kulturbetrieb grenzt Menschen mit Behinderung und andere benachteiligte Gruppen aus. Bewusst oder gar gewollt ist diese Ausgrenzung in der Regel nicht – und darf es bei staatlich geförderten oder getragenen Kultureinrichtungen auch gar nicht sein. Doch auch ohne die Absicht zu diskriminieren, wirken Einrichtungen oder Angebote der Kultur oftmals ausgrenzend und versehen eine mögliche Teilhabe mit Hürden. Eine Herausforderung, diese Hürden und ungewollten Ausgrenzungen zu erkennen und zu beseitigen, liegt im Widerspruch zwischen dem Selbstbild des Kulturbetriebs und seiner tatsächlichen Beschaffenheit und Wirkung. Kultureinrichtungen sehen sich selbst als vielfältige, offene und kreative Orte, in denen gesellschaftliche Begegnung und Austausch stattfinde. In der Wirklichkeit spiegeln das Publikum und das Personal in ihrer Zusammensetzung von Kultureinrichtungen in den seltensten Fällen unsere vielfältige Gesellschaft wider.

Mit der Ausrichtung eines möglichst barrierefreien und inklusiven Kulturfestivals wollte der kommunale Eigenbetrieb JenaKultur das Bewusstsein für die Barrieren in seinen eigenen Einrichtungen, in der Stadtgesellschaft und der Stadtpolitik steigern. Darüber hinaus sollte das Festival zeigen, welchen Beitrag Menschen mit Behinderung auch als Künstler*innen und Kulturschaffende zur kulturellen Vielfalt leisten. Im September 2022 begannen die Planungen, in deren Mittelpunkt ein Festival-Beirat aus 7 Selbstvertreter*innen stand. Die Beiratsmitglieder sorgten dafür, dass Menschen mit unterschiedlichen Behinderungsperspektiven von Anfang an mitgedacht werden konnten. Der Beirat wurde zum Gesicht und zur Stimme des Festivals. Während der Planung des Festivals ging es um die Frage: Wie können sich Menschen mit Behinderung bei dem Festival selbst vertreten? Wie schaffen wir ein Miteinander auf Augenhöhe? Wir versuchten, Barrieren wahrzunehmen und zu beseitigen. Barrieren können sehr unterschiedlicher Art sein: Bauliche, sprachliche und soziale oder finanzielle Hürden können einen Kulturbesuch ebenso verhindern oder erschweren wie ein fehlender Bezug zur eigenen Lebenswirklichkeit. Diese Sichtweise nützt viel mehr als nur jenen, die eine zugeschriebene Behinderung haben. Der gemeinsam in einem Arbeitsgruppen-Treffen gewählte Titel Schranken Los! – Kulturfestival für jedermensch zeigt ebenfalls diese Haltung.

Das Festival gab der Thüringer Kulturlandschaft viele künstlerische Impulse. Künstler*innen mit und ohne Behinderung spielten Konzerte, präsentierten Comedy und Theater in Gebärdensprache, beteiligten sich an Diskussionen und Workshops und feierten gemeinsam auf der Aftershow-Party mit dem inklusiven DJ-Team Supa Star Soundsystem. Ohne unsere Beiratsmitglieder und die weiteren Partner*innen, besonders die Selbstvertretungsorganisationen, wäre das Festival so nicht möglich gewesen. Die im Rahmen des Festivals durchgeführte nicht-repräsentative Umfrage ergab, dass ein Großteil der befragten Besucher*innen im Alltag Barrieren erlebt. Dabei wurden die bereitgestellten Maßnahmen zum Abbau der Barrieren von der überwiegenden Mehrheit der befragten Besucher*innen genutzt. Viele meldeten zurück, dass sie durch das Festival Gefühle von Bestärkung und Selbstwirksamkeit erfuhren. Mittelfristig war das Festival ein Erfolg. Nun muss es darum gehen, das gewonnene Wissen, die Erfahrungen und das Netzwerk für eine dauerhafte und ganzheitliche Veränderung der Arbeit und Struktur von JenaKultur als Organisation für sich zu nutzen. Ein Konzept, das die für diesen Weg notwendigen Schritte und Mittel beschreibt, entsteht aktuell im Eigenbetrieb. Ob das Ziel umgesetzt werden kann, ist unter anderem von dem Ausgang des Wahljahres 2024 abhängig.

 


Mehr Informationen unter: www.schrankenlos-jena.de, Kontakt: schrankenlos@jena.de, Abschlussworte des Festival-Beirats und Video-Dokumentation des Festivals unter: https://blog.jena.de/jenakultur/2023/06/30/zusammen-sind-wir-ein-ganzes/

Caroline Ellenberger ist Mitglied im Festival-Beirat aus Erfahrung. Sie ist u. a. als Vorstandsmitglied des Vereins „Demokratie ohne Barrieren – Landesverband für gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderung in Thüringen“ und arbeitet als Koordinatorin des Thüringer Antidiskriminierungsnetzwerks thadine. Kontakt: caroline.ellenberger@thadine.de
Eva Göbel arbeitet seit 2017 bei JenaKultur im Bereich Drittmittelakquise und war von 2022 bis 2023 die Produktionsleiterin des Schranken Los!-Festivals. Aktuell arbeitet sie an einem Konzept zur diversitätsorientierten Öffnung von JenaKultur.