Einleitung
Ländliche Räume unterliegen gegenwärtig starken Veränderungen. Abgesehen von einigen wachsenden Regionen sind sie insbesondere in den neuen Bundesländern von Abwanderung, Alterung und damit verbundenen Konsequenzen wie einer beständig bedrohten Infrastrukturausstattung gekennzeichnet. Der Aussicht darauf, dass einzelne Regionen zunehmend abgehängt werden (Barlösius/Neu 2007), stehen Forderungen nach mehr bürgerschaftlichem Engagement seitens politischer Akteur_innen einerseits und die Tendenz der Einwohner_innen ländlicher Gemeinden, sich selbst zu engagieren (Neu 2014) und Verantwortung zu übernehmen (Steinführer 2015), andererseits gegenüber. Während erstere den Einwohner_innen ländlicher Räume zumuten, Daseinsvorsorgeaufgaben selbst zu übernehmen, betonen letztere das Potenzial freiwilligen, zivilgesellschaftlichen Engagements, welches im ländlichen Raum aus historischer Tradition sowie einer stärkeren Gemeinwohlorientierung der Bewohner_innen vorhanden sei. Demografische Herausforderungen – sei es nun der drohende Abbau von Infrastruktur oder die zunehmende Notwendigkeit, mit immer mehr Alten im Ort adäquat umzugehen – stellen oft, insbesondere für kleine Orte, Krisen dar. Wenn diese Krisen bewältigt werden sollen, dann bedarf es dazu passender Strukturen des Engagements. Im Folgenden wird dargestellt, welche Strukturen des Engagements in ländlichen Orten existieren, auf welche Weise und wofür sich die Einwohner_innen engagieren und wie Krisen die Landschaft der Vereine und Initiativen im Dorf verändern können.
Demografische Veränderungen und Peripherisierung
Insgesamt lebten 2007 im ländlichen Raum Deutschlands etwa 18 % der Bevölkerung auf etwas mehr als 60 % der Fläche der Republik (Schlömer/Spangenberg 2009: 25). Dabei ist der Osten des Landes deutlich stärker ländlich geprägt als der Westen.
Seit der Wiedervereinigung haben die ländlichen Räume in beiden Teilen Deutschlands eine sehr unterschiedliche Entwicklung genommen. In den alten Bundesländern nahm die Anzahl der Menschen, die auf dem Land lebten, in den 1990er Jahren sogar stetig zu. Diese Entwicklung stagnierte erst kurz vor der Jahrtausendwende, sodass es heute auch dort schrumpfende Regionen gibt. Der Bevölkerungsgewinn während der 1990er Jahre lässt sich in den alten Bundesländern sowohl mit internationaler Migration als auch mit der Binnenmigration von Ost nach West erklären. Im Gegensatz dazu sind die ländlichen Gebiete der neuen Bundesländer seit Beginn der 1990er Jahre einem stetigen Bevölkerungsschwund ausgesetzt. Dieser ergab sich aus der schlechten wirtschaftlichen Lage der Regionen und der niedrigen Geburtenrate nach der Wiedervereinigung. Außerdem war in den ostdeutschen Bundesländern der Wegzug vom Land in die Städte bzw. deren unmittelbare Peripherie erheblich. Inzwischen lassen sich derartige Wanderungsbewegungen jedoch in allen Regionen Deutschlands beobachten.
Einige Autor_innen sprechen in diesem Zusammenhang von einer „Krise der ländlichen Räume“, weil der Rückgang und die Überalterung der Bevölkerung sowie der Rückbau, die Schließung und die Schrumpfung öffentlicher Infrastruktur die Abwanderung und Entleerung dieser Gebiete nur noch verstärken (Neu 2011: 44). Barlösius und Zimmermann zeichnen für diese Gegenden ein düsteres Bild: „[Dass die Bewohner_innen ländlicher Räume] nicht an der Wissensökonomie partizipieren werden, ihre ‚junge‘ Bevölkerung aufgrund mangelnder Erwerbschancen, ausgedünnter Infrastrukturen und zusätzlicher Benachteiligungen weiterhin abwandern wird und damit die Überalterung weiter zunimmt, ist nicht mehr Prognose, sondern Realität geworden“ (Barlösius/Zimmermann 2013: 9). Die demografischen Veränderungen lassen sich so als Teufelskreis beschreiben, welcher unter dem Schlagwort der Peripherisierung thematisiert wird (Beetz 2011). Zwei Drittel der Bewohner_innen peripherer ländlicher Räume leben in Ostdeutschland, nur ein Drittel in den alten Bundesländern (Maretzke/Weiß 2009: 34). So findet man gegenwärtig periphere ländliche Räume in allen ostdeutschen Bundesländern, vor allem in Mecklenburg-Vorpommern, im Norden Brandenburgs und Sachsen-Anhalts, in den weit von der Landeshauptstadt entfernten Teilen Thüringens und im Osten Sachsens. In den alten Bundesländern sind von Peripherisierung der Osten Bayerns, Teile Schleswig-Holsteins, der Norden Niedersachsens sowie wenige Regionen in Rheinland-Pfalz und Hessen betroffen (Maretzke/Weiß 2009: 36). Ein besonders hohes Durchschnittsalter der Bevölkerung, wie in Sachsen-Anhalt (2016 lag es bei 47,5 Jahren im Gegensatz zum Bundesdurchschnitt von 44,3 Jahren), oder eine extrem niedrige Bevölkerungsdichte, wie in Mecklenburg-Vorpommern (2017 lebten dort noch 69 Einwohner_innen pro Quadratkilometer, im Bundesdurchschnitt sind es 232), sind Auswirkungen des demografischen Wandels. Die zeigen sich in Bundesländern mit einem hohen Anteil an peripheren ländlichen Räumen schon heute deutlich. Gegenwärtig liegen zwar mehr periphere Regionen in den neuen Bundesländern, Bevölkerungsvorausberechnungen zeigen jedoch, dass auch in den alten Bundesländern periphere ländliche Räume zunehmen und diese Länder mit den Problemen einer solchen Abwärtsspirale konfrontiert sein werden (Maretzke/Weiß 2009: 40).
Weniger Einwohner_innen führen oft zu einer Abnahme der kommunalen Finanzen und damit häufig zum drohenden oder tatsächlichen Abbau von Infrastruktur. Es ist falsch, davon auszugehen, dass weniger Bevölkerung bedeutet, weniger Infrastruktur zu brauchen. Gerade durch die Alterung einer Gesellschaft entsteht ein Mehrbedarf an sozialer Infrastruktur, bspw. in Form von Alten- und Pflegeeinrichtungen. Andere Aspekte öffentlicher Daseinsvorsorge, wie Bildungseinrichtungen oder ein ausreichendes Angebot an öffentlichem Personennahverkehr sowie eine Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs, werden auch von weniger Einwohner_innen benötigt (Neu 2011: 44).
Zivilgesellschaftliches Engagement im ländlichen Raum
Im ländlichen Raum engagieren sich im Verhältnis zur Bevölkerungszahl signifikant mehr Menschen als in Städten (Hameister/Tesch-Römer 2017: 569). Daten des Freiwilligensurveys 2014 zeigten, dass sich im ländlichen Raum mit 45,5 % ein größerer Anteil der Bevölkerung engagierte als im städtischen Raum, wo sich nur 42,7 % der Einwohner_innen engagierten (Hameister/Tesch-Römer 2017: 558).1 Insgesamt ist der Anteil der Menschen, die sich freiwillig engagierten, in der Bundesrepublik zwischen 2009 und 2014 deutlich (von 34 % auf 43.6 %) gestiegen (Vogel et al. 2017: 98). Auch hier besteht jedoch ein markanter Unterschied zwischen alten und neuen Bundesländern. In Westdeutschland engagierten sich 2014 mit 44,8 % der Bevölkerung mehr Personen als in Ostdeutschland, dort waren es nur 38,5 % (Kausmann/Simonson 2017: 577). Die Daten des Freiwilligensurveys von 2009 zeigten, dass in den alten Bundesländern der Anteil der Engagierten in Orten mit geringer Bevölkerungsdichte höher ist als in Orten mit hoher Bevölkerungsdichte. Diese Tendenz war in den neuen Ländern nicht zu erkennen (Gensicke/Geiss 2010: 26).
22,9 % der Bevölkerung Deutschlands engagieren sich mehrfach, üben also mehr als eine freiwillige Tätigkeit aus. Aus den Daten des Freiwilligensurveys geht hervor, dass dies 2014 insbesondere Personen mit hohem Schulabschluss oder Schüler_innen waren (Vogel et al. 2017: 109). Eine alte Untersuchung von Jauch (1980) zeigte darüber hinaus, dass der Befund des Mehrfachengagements auch im ländlichen Raum Bestand hat. Von den 600 Befragten seiner Studie waren 29 % Mitglied in einem, 14 % in zwei und 12 % in drei und mehr Vereinen. Jauch konnte außerdem belegen, dass die Ämter in Vereinen zu einem sehr großen Teil von Alteingesessenen (zu 69 %) und nur zu einem geringen Teil (13 %) von Hinzugezogenen bekleidet wurden (Jauch 1980: 54).
Die Hauptbereiche des Engagements in Vereinen lassen sich ebenfalls gut anhand des Freiwilligensurveys veranschaulichen. In allen Regionen ist der Bereich „Sport und Bewegung“ klarer Favorit unter den Bereichen des Engagements (Vogel et al. 2017: 114). Eigene Analysen der Daten des Freiwilligensurveys 2009 zeigten, dass in den ländlichen Regionen Westdeutschlands der zweitstärkste Bereich „Kirche und Religion“ war, in Ostdeutschland dagegen „Schule und Kindergarten“. Beide Bereiche spielten jeweils im anderen Teil des Landes nur eine untergeordnete Rolle. In Ostdeutschland folgte als drittes der Bereich „Soziales“, ebenfalls viel bedeutender als in Westdeutschland, während es dort der Bereich „Freizeit und Geselligkeit“ war. Es ergibt sich so ein Bild, nachdem Engagement in den alten Bundesländern vor allem auf Freizeitgestaltung ausgerichtet ist, währenddessen es in den neuen Bundesländern auch stark zur Mitgestaltung sozialer und politischer Infrastruktur genutzt wird. Sowohl die Autor_innen des Berichts zum Freiwilligensurvey als auch Klie (2013) führten die größere Bedeutung des Engagements auf dem Land auf deren exklusive Rolle für die Freizeitgestaltung und Kontaktmöglichkeiten zurück: „[W]eil auf dem Lande weniger institutionelle und kommerzielle Angebote verfügbar sind, gewährleistet hier das Bürgerengagement ein besonders wichtiges Stück sozialer Lebensqualität“ (Gensicke/Geiss 2010: 26).
Seit der Enquete-Kommission des Bundestages zur ‚Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements‘ im Jahr 1999 setzen sich politische Akteur_innen für eine Stärkung zivilgesellschaftlichen Engagements ein. Dies drückt sich unter anderem in der Gründung und Unterstützung des Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement aus. Gleichzeitig gewinnt zivilgesellschaftliches Engagement insbesondere im ländlichen Raum an Bedeutung für den Erhalt und die Sicherung öffentlicher Infrastruktur (Bundesregierung 2010: 30). Teilweise (etwa beim öffentlichen Personennahverkehr) wird von politischen Akteur_innen auch zur zivilgesellschaftlichen Kompensation vom Verlust bedrohter Infrastruktur aufgerufen (Bundesregierung 2010: 38).
Fallstudien aus drei schrumpfenden ländlichen Gemeinden
Im Folgenden sollen zentrale Ergebnisse ethnografischer Fallstudien resümiert werden, bei denen in drei schrumpfenden ländlichen Gemeinden untersucht wurde, wie zivilgesellschaftliche Akteur_innen mit den Folgen demografischer Veränderungen umgehen. Zwischen 2014 und 2015 wurden dazu mehrwöchige Forschungsaufenthalte in je einer Gemeinde im Landkreis Stendal (Sachsen-Anhalt), im Landkreis Tirschenreuth (Bayern) und im Landkreis Vulkaneifel (Rheinland-Pfalz) durchgeführt. Dabei konnten ca. 40 Interviews mit Bürgermeister_innen, Kommunalpolitiker_innen, Vereinsvorsitzenden und anderen Engagierten geführt werden.
In dem sachsen-anhaltinischen Dorf wurde zu Beginn des Schuljahres 2013/2014 die Grundschule geschlossen. Im Vorfeld der Schließung entstand aus einer Gruppe bis dahin nicht besonders aktiver Bewohner_innen eine Bürgerinitiative, die Proteste gegen die drohende Schließung organisierte. Nachdem die Schule geschlossen wurde, der Protest also gescheitert war, fusionierte die Initiative mit dem ortsansässigen Förderverein für den Kindergarten. Die Bürger_innen organisierten von nun an gemeinsam Dorfverschönerungsaktionen, um als Kompensation für den Schulwegfall die Attraktivität des Ortes zu erhalten. Mit dieser Veränderung des Ortes wandelte sich auch das Bewusstsein einiger Dorfbewohner_innen für die lokale Politik. Es entstand eine neue, parteiunabhängige Wahlgemeinschaft, die zur Kommunalwahl erfolgreich über eine gemeinsame Liste antrat und in der Folge sogar die neue Bürgermeisterin stellte.
Das bayerische Dorf dagegen war immer schon stark in Strategien des Landkreises zum Umgang mit demografischen Veränderungen eingebunden, der zum Beispiel ein Rufbussystem zur Ergänzung des regulären ÖPNV initiierte. Ein kommunaler Zweck- bzw. Interessenverband, der im Landkreis existierte, versuchte in zwei Demografiekonferenzen, zusammen mit Einwohner_innen Maßnahmen zu verschiedenen demografischen Themenfeldern zu entwickeln. Im Ort selbst gab es eine Seniorenbeauftragte, deren Posten aus einer institutionellen Kooperation von Landkreis, Bürgermeister und katholischer Kirche hervorgegangen war. Darüber hinaus waren kaum zivilgesellschaftlich organisierte Umgangsweisen im Ort zu finden. Es gab zwar sehr viele Vereine im Ort und die Einwohner_innen waren häufig in mehreren gleichzeitig engagiert, aber gerade deshalb sahen sie kein Potenzial mehr, sich zusätzlich zu engagieren. Der neu gewählte Bürgermeister dagegen hatte im Dorf eine Senior_innengruppe organisiert, die ehrenamtlich kommunale Arbeiten übernahm, etwa die Pflege von Grünflächen oder Hausmeistertätigkeiten im Kindergarten.
Im Ort in Rheinland-Pfalz gab es ebenfalls kommunalpolitisch organisierte Bewältigungsversuche des demografischen Wandels. Aus Mitteln des Landes zur Dorferneuerung wurde hier ein zentraler Platz in der Dorfmitte neu gestaltet. Die Einwohner_innen wurden im Rahmen von Bürgerforen und Arbeitsgruppen eingebunden. Daneben gingen von den Vereinen des Ortes jedoch keine Initiativen aus, die auf die Bewältigung des demografischen Wandels zielten – mit Ausnahme der Rekrutierung neuer Mitglieder für den Erhalt der lokalen Vereine. Einige dieser Vereine waren stark überaltert, hatten langjährig gleich besetzte Vorstände und konnten kaum neue Mitglieder rekrutieren. Im Ort fanden sich jedoch auch Vereine, die dieses Problem durch Kooperationen mit Vereinen in anderen Orten lösten. So fusionierten sowohl der Sport- als auch der Musikverein mit den entsprechenden Vereinen der Nachbarorte. Der Karnevalsverein wurde durch die Gründung einer Theatergruppe für neue Mitglieder attraktiv. Die von ihr organisierten Theaterstücke wurden über den Ort hinaus so bekannt und erfolgreich, dass der Verein selbst dadurch an Aufmerksamkeit gewann.
In allen drei Orten wurden Geselligkeit und Freizeitgestaltung vor allem über die Aktivität in Vereinen organisiert, die Feuerwehr war dabei überall die wichtigste organisierende und unterstützende Institution. In Rheinland-Pfalz und Bayern waren darüber hinaus die Kirche und ihr nahestehende Organisationen von Bedeutung.
Zwischen der Vereinslandschaft des Ortes in Sachsen-Anhalt einerseits und den Strukturen des Engagements in den Orten in Rheinland-Pfalz und Bayern andererseits lassen sich aber deutliche Unterschiede feststellen. Diese haben ihren Ursprung darin, dass Ausprägungen zivilgesellschaftlichen Engagements in Sachsen-Anhalt bedingt durch die Zeit der DDR sowie des Systemumbruchs 1989/90 nicht in gleichem Maße tradiert sind wie in den westdeutschen Orten. Sowohl in Bayern als auch in Rheinland-Pfalz fanden sich sehr traditionelle Vereinslandschaften, die durchgehend vom Mehrfachengagement der Einwohner_innen geprägt waren. Da diese Personen in aller Regel schon mit ihrem bestehenden Engagement ausgelastet waren, fiel es etablierten Vereinen schwer, neue Mitglieder zu rekrutieren. Gleiches gilt für die Bewältigung demografischer Herausforderungen. Auch da fehlte es den Bewohner_innen an der Möglichkeit, sich noch stärker zu engagieren. Dementsprechend gingen Bewältigungsversuche von den kommunalpolitischen Akteur_innen vor Ort aus. Im sachsen-anhaltinischen Dorf konnte sich dagegen gerade aufgrund des Potenzials an bisher nicht so stark engagierten Einwohner_innen eine neue Initiative gründen, die sich gegen die Schulschließung einsetzte.
Die Bewältigung demografischer Herausforderungen durch zivilgesellschaftliche Akteur_innen, wie in Rheinland-Pfalz bei der Neuausrichtung einiger Vereine oder in Sachsen-Anhalt bei der Organisation des Protests gegen die Schulschließung, ging von ganz bestimmten Personengruppen aus. Initiativ waren in beiden Fällen entweder Zugezogene mit einem städtischen Kontext oder jüngere Erwerbstätige (häufig mit Hochschulabschluss).
Traditionelle Formen bürgerschaftlichen Engagements sind in aller Regel in Vereinen organisiert. Das Tätigkeitsspektrum von Vereinen im ländlichen Raum folgt meistens einem bestimmten zeitlichen Zyklus: So werden Feste jährlich gefeiert, Spenden halbjährlich gesammelt und Sportveranstaltungen finden etwa im Zweimonatsrhythmus statt. Solch traditionelles Engagement wird auch als Form des „alten Ehrenamts“ bezeichnet (Braun 2008). Gerade jedoch die Bürgerinitiative in Sachsen-Anhalt verdeutlicht, dass Innovationen bzw. Lösungen für bestimmte soziale Probleme, Krisen bzw. Herausforderungen durch projektförmiges Engagement entwickelt werden können. Problemfokussierung, zeitliche Begrenzung und eine gewisse (Semi-)Professionalität zeichnen das aus, was man als „neues Ehrenamt“ versteht (Braun 2008). „Das ‚neue‘ bürgerschaftliche Engagement lebt davon, eigene Themen zu benennen und selbstbestimmte Wege zur Lösung von Problemen zu entwickeln. Das gilt im ländlichen wie im städtischen Raum“ (Koch 2011: 35). Formen des Umgangs mit demografischen Herausforderungen gehen von zivilgesellschaftlichen Akteur_innen vor allem dann aus, wenn sie aus Strukturen des neuen Engagements entstehen können, da diese flexibel und offen genug sind. Das Beispiel der Bürgerinitiative in Sachsen-Anhalt, die mit einem bestehenden Verein fusionierte, zeigt zugleich, wie sich solche neuen Formen des Engagements wieder in die etablierten Formen des Engagements transformieren, also vereinsförmig organisiert und strukturiert werden. Die Besonderheit des so entstandenen Vereins ist dann, dass das partikulare Interesse des Vereins bei der Bewältigung bestimmter lokaler Herausforderungen liegt (Schubert 2018).
Fazit
Im Zentrum des Beitrags stand die Beschreibung von Strukturen zivilgesellschaftlichen Engagements sowie ihrer Veränderung durch Umgangsweisen mit den Folgen des demografischen Wandels. So wurde am Beispiel einer sachsen-anhaltinischen Gemeinde gezeigt, wie durch Formen des Protests auf den Abbau von Bildungsinfrastruktur projekt- und initiativenförmige Strukturen des Engagements entstehen und wie diese im Laufe der Zeit in die bestehenden Institutionen des Engagements integriert werden. Der bayerische Fall in einer Gemeinde, in der es kaum noch Ressourcen für zusätzliches Engagement gibt, beschreibt, wie durch die Initiative und Moderation einzelner kommunalpolitischer Akteur_innen neue Strukturen des Engagements entstehen. Schließlich wurde anhand der Gemeinde aus Rheinland-Pfalz verdeutlicht, wie in Vereinen auf die Herausforderungen des demografischen Wandels durch Kooperationen mit ähnlichen Vereinen aus anderen Orten reagiert werden kann. Insgesamt deuten die drei Fallstudien auf ein ambivalentes Verhältnis zwischen (1.) den Anforderungen an zivilgesellschaftliches Engagement im ländlichen Raum, (2.) den dazu verfügbaren lokalen Strukturen des Engagements und ihrer Einbettung in kommunalpolitische Strukturen und Verwaltungsstrukturen sowie (3.) den Möglichkeiten der Engagierten für einen Umgang mit demografischen Krisen hin.
Ambivalent an diesem Verhältnis ist: Den politischen Appellen an zivilgesellschaftliches Engagement kann zum einen oft schon daher nicht entsprochen werden, weil in den Vereinen der Orte kaum (strukturelle) Möglichkeiten bestehen, sich für neue Aufgaben zu engagieren und oft auch kommunale Verwaltungsstrukturen nicht flexibel genug sind, um in einzelnen Orten individuelle Handlungsspielräume zuzulassen (Baade et al. 2007: 80, Schubert 2018). Zum anderen können demografische Krisen jedoch Reformen der Strukturen des Engagements auslösen, neue Personen zum Engagement motivieren und so das Engagement in den Dörfern stärken. Unberührt davon bleibt aber, dass eine tatsächliche Bewältigung demografischer Herausforderungen jenseits der Reorganisation des eigenen Vereins kaum gelingt und eine Auslagerung staatlicher Aufgaben in die Zivilgesellschaft als höchst problematisch empfunden werden muss.
1 Im Freiwilligensurvey wird zwischen gemeinschaftlich und öffentlich aktiven und freiwillig engagierten Personen unterschieden. Aktive Menschen sind die, die „in einem der gesellschaftlichen Engagementbereiche mitmachen, ohne dort jedoch unbedingt freiwillige Aufgaben oder Arbeiten zu übernehmen“ (Vogel et al. 2017: 92). Engagierte Personen übernehmen dagegen „freiwillige oder ehrenamtliche Arbeiten oder Aufgaben außerhalb von Beruf und Familie“ (Vogel et al. 2017: 91).
Literatur
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