Forschungsprojektvorstellung: „Perspektiven von Menschen mit Behinderungen auf gesellschaftliche Positionen und Zusammenhalt“

Im Rahmen des Forschungsprojekts „Perspektiven von Menschen mit Behinderungen auf gesellschaftliche Positionen und Zusammenhalt“ (ZuSichT) am Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt (2022–2024) erforschen wir die Wahrnehmung von Teilhabe und Zusammenhalt durch Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen und Behinderungen. Ein Beirat aus Menschen mit unterschiedlichen Behinderungserfahrungen begleitet die Durchführung des Projekts. Als Behinderungen werden Einschränkungen sozialer Teilhabe verstanden, die auf Beeinträchtigungen folgen können, aber nicht müssen.

Die Erhebung richtete sich in erster Linie an Menschen ab 18 Jahren, die in Nordrhein-Westfalen (NRW) leben. Es wurden Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen oder Behinderungen befragt, um die Antworten vergleichen zu können. Bei der Auswahl der Fragen orientierte sich das Projektteam an anderen Studien, um die Befragung anschlussfähig zu gestalten. Besonders wichtig war hierbei die „Repräsentativbefragung zur Teilhabe von Menschen mit Behinderungen“ (Steinwede und Harand 2022). Für die Erhebung erstellte das Projektteam Fragebögen in unterschiedlichen Versionen. Es wurde eine Reihe von Maßnahmen getroffen, um möglichst viele Personen anzusprechen. Diese wurden u. a. mit der Ethikkommission der Universität Bielefeld und dem Beirat besprochen. Die Maßnahmen umfassten: Einfache Sprache, Vereinfachung von Antwortkategorien, Visualisierung von Antwortkategorien zum Beispiel durch Emojis, Übersetzung in Englisch, Tonaufnahmen des Textes in Deutsch und Englisch, Lesbarkeit durch Screen Reader und Verwendung von Unicode-Emojis, Videos in deutscher Gebärdensprache, Interviewer-gestützte Erhebung (d. h. Unterstützung auf Wunsch), Papierfragebögen per Post auf Wunsch. Die Befragung wurde auf verschiedenen Wegen verteilt: per E-Mail an Vereinigungen und Einrichtungen im Kontext von Behinderung, über Social Media und durch Besuche in Werkstätten für Menschen mit Behinderung (WfbM).

Eine vorläufige Auswertung zeigt eine gelungene Erreichung der Zielgruppe. Über 80 % der Befragten gaben an, eine Beeinträchtigung oder Behinderung zu haben. Es liegen 937 vollständige Interviews vor, davon 752 aus NRW. Alle Fragebogenversionen wurden genutzt, z. B. auch Text mit Tonaufnahmen und Symbolen. Erste Ergebnisse verweisen darauf, dass beeinträchtigte und behinderte Personen sich weniger mit allen Menschen in Deutschland verbunden fühlen als Menschen ohne Beeinträchtigung. Zudem fühlen sie sich öfter am Rande der Gesellschaft positioniert und sind allgemein vorsichtiger im Umgang mit anderen Menschen. Außerdem ist die allgemeine Zufriedenheit mit der sozialen Teilhabe geringer und es gibt andere Gründe, in der Freizeit Dinge nicht zu machen. Hier werden Barrieren auf dem Weg und am Zielort genannt und die Befragten vermuten, sich dort nicht wohlzufühlen. Bei Personen ohne Behinderungen ist vor allem ein Grund keine Zeit zu haben.

Die vorläufigen Erkenntnisse sind vorsichtig zu interpretieren, weil die Teilnehmenden durch sogenanntes Gelegenheits-Sampling gefunden wurden; d. h. die Ergebnisse sind nicht verallgemeinerbar. Aber mithilfe der Daten größerer Erhebungen, an denen wir uns orientiert haben, sollen die Ergebnisse für die Bevölkerung eingeschätzt werden.

Das Projekt ZuSichT soll nicht nur wissenschaftliche Ergebnisse erzeugen, sondern trägt zur Entwicklung inklusiver Forschungsmethoden bei. Die angestrebten Befragten wurden gut erreicht und auch der möglichst barrierearme Fragebogen mit den ergänzenden Maßnahmen wurde den meisten Teilnehmenden gerecht. Die Ergebnisse sollen in Gesprächen mit dem Beirat und politischen Kooperationspartner*innen wirksam gemacht werden.

 


Anne Stöcker ist Doctoral Researcher am Institut für Bildung und Gesellschaft an der Universität Luxemburg und assoziiertes Mitglied des Forschungsinstituts Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ), Teilinstitut Bielefeld. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen auf Fragen von Beeinträchtigung und Behinderung sowie empirischen Forschungsmethoden in dem Kontext. Kontakt: anne.stoecker@uni.lu.
Karina Korneli ist wissenschaftliche Hilfskraft im FGZ-Teilinstitut an der Universität Bielefeld. Sie studiert den Master „Gender Studies – Interdisziplinäre Forschung und Anwendung“ und arbeitet vor allem zu den Themen Diskriminierungssensibilität und Rechtsextremismusforschung. Kontakt: karina.korneli@uni-bielefeld.de.


 

Literatur

Steinwede, Jacob/Harand, Julia (2022). Abschlussbericht Repräsentativbefragung zur Teilhabe von Menschen mit Behinderung. Online verfügbar unter nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-79969-4 (abgerufen am 23.01.2024).