Praxis und Probleme bei der Erfassung politisch rechtsmotivierter Kriminalität durch die Polizei

Jedes Jahr im Frühjahr stellt der Bundesinnenminister die Fallzahlen politisch motivierter Kriminalität vor und berichtet von den Veränderungen zum Vorjahr sowie in längerfristiger Perspektive. In der Veröffentlichung werden einzelne Delikte rechter Straf- und Gewalttaten unterschieden. Es wird über unterschiedliche Ausprägungen der Hasskriminalität und Straftaten gegen Asylunterkünfte berichtet (BMI 2018a). Angesichts dessen erscheint die einschlägige Datenlage vordergründig gut. Allerdings unterliegt die Praxis der behördlichen Erfassung einschlägiger Delikte als „politisch motivierte Kriminalität – rechts“ besonderen Problemen und Verzerrungen. Im Zentrum steht die Frage, wie, wann und in welcher Form ein Zusammenhang zwischen politischer Einstellung und Straftaten hergestellt und in der Praxis tatsächlich festgestellt wird.

Praxis der Erfassung von PMK-rechts

Die Polizei erfasst die PMK-rechts nach einem festgelegten Verfahren.


Konzept und Folgen der Erfassung

2001 wurde der „Kriminalpolizeiliche Meldedienst in Fällen Politisch motivierter Kriminalität“ (KPMD-PMK) eingeführt. Das Erfassungssystem löste die bis dahin verwendeten und in der Kritik stehenden Statistiken ab (Feustel 2011: 145). Diese vermochten es angesichts ihrer Erfassungskriterien nicht, insbesondere Delikte der Hasskriminalität angemessen zu berücksichtigen (BMI/BMJ 2001: 263, 273).

In dem System werden unter dem Begriff der politisch motivierten Kriminalität zum einen Staatsschutzdelikte erfasst, z. B. Propagandadelikte. Zum anderen werden allgemeine Straftaten gezählt, bei denen die Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung der tatverdächtigen Person Anhaltspunkte für eine „rechte“ Motivation ergeben. Das kann sowohl Taten betreffen, die sich als Angriff auf die freiheitlich demokratische Grundordnung darstellen, als auch solche, die ganz oder teilweise durch Bezüge zu völkischem Nationalismus, Rassismus, Sozialdarwinismus oder Nationalsozialismus bedingt sind. Hierunter fällt die Hasskriminalität, bei welcher sich die Tat gegen eine Person richtet aufgrund der ihr zugeschriebenen politischen Einstellung, Nationalität, ethnischen Zugehörigkeit, Religion, Herkunft oder aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes, ihrer Behinderung, ihrer sexuellen Orientierung oder ihres gesellschaftlichen Status (BKA 2016: 5, 9; BMI 2018b: 22).

Die Bewertung einer Straftat als politisch motiviert ist nicht nur eine statistische Frage, sondern wirkt sich in unterschiedlichen Bereichen aus. Von der Bewertung der Delikte ist abhängig, welche Maßnahmen die Behörden hieran anknüpfen und in welche Richtung Ermittlungen laufen. Mit den Zahlen soll zudem das Gefahrenpotenzial der politisch rechtsmotivierten Täter_innen eingeschätzt werden (Falk 2001: 9 f.; Feustel 2011: 151-156). Veränderungen in den Fallzahlen der offiziellen Statistik werden genutzt, um beispielsweise die Ausweitung von Befugnissen der Polizei oder Gesetzesänderungen im Strafrecht zu begründen. Letztlich baut politisches, zivilgesellschaftliches und wissenschaftliches Handeln in vielfacher Hinsicht auf diesen Zahlen auf.


Vorgang und Maßstab der Erfassung

Die politische Motivation eines Delikts prüfen – wenn es sich nicht um ein Staatsschutzdelikt handelt – in einem ersten Schritt die mit der Sache befassten Polizeibeamt_innen bei der Erfassung des Vorgangs. Sofern aus Sicht der Beamt_innen Anhaltspunkte für eine einschlägige Motivlage vorliegen, soll dies durch Aufnahme in die Kategorie PMK vermerkt werden. Grundlage hierfür ist der bundesweit einheitliche „Themenfeldkatalog PMK“, der nicht nur rechtsmotivierte Delikte erfasst. In der Praxis entscheiden die Beamt_innen vor allem anhand des Eindrucks, den sie bei der Erfassung des Vorgangs gewinnen. Dabei spielen regelmäßig die äußeren Tatumstände eine dominante Rolle. Bei der Bewertung soll (nunmehr) auch die Sicht der Betroffenen einbezogen werden (BKA 2016: 5). Die klassifizierten Delikte werden dann an die Staatsschutzstellen weitergeleitet (BMJV 2016: 13f.). Diese melden die PMK an das jeweilige LKA, welches die Meldungen prüft und wiederum an das BKA weiterleitet (Feustel 2011: 146).

Der Themenfeldkatalog PMK ist als polizeiliches Arbeitsmittel als „Verschlusssache – Nur für den Dienstgebrauch“ eingestuft (Deutscher Bundestag 2013a: 2). Er bestand 2010 aus 22 Oberbegriffen, etwa 120 Unterthemen und einem politischen Kalender mit rund 125 Einträgen. Die Oberbegriffe enthalten etwa die Kategorien Kommunismus, Nationalsozialismus und Hasskriminalität. Etwa ein Drittel der Einträge des politischen Kalenders beziehen sich auf den Bereich Rechtsextremismus. Vermerkt ist beispielsweise der Todestag von Ernst Röhm (Deutscher Bundestag 2013a: 1f.). Ziercke (2006: 64) beschreibt, dass neben den Themenfeldern die Deliktsqualität (Propagandadelikt, PMK ohne Propagandadelikt, politisch motivierte Gewaltkriminalität und Terrorismus) und der Phänomenbereich (links, rechts, ausländische Ideologie, religiöse Ideologie, sonstige bzw. nicht zuzuordnen) zu bestimmen sind. Zudem muss entschieden werden, ob es sich um extremistische Kriminalität handelt oder ob internationale Bezüge vorliegen.

Für die Überprüfung und Weiterentwicklung des Themenfeldkatalogs PMK ist eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe verantwortlich (Deutscher Bundestag 2013a: 3); entsprechende Empfehlungen sprach aber auch der zweite NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages aus (BMJV 2016: 2). Zum 1. Januar 2014 wurde der Themenfeldkatalog beispielsweise um das Unterthema Straftaten gegen Asylunterkünfte ergänzt (Deutscher Bundestag 2015: 19).


Zeitpunkt der Erfassung

Im Gegensatz zur Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS), die als Ausgangsstatistik geführt wird, ist die PMK-Statistik eine Eingangsstatistik (BMI 2018a: 2; Feustel 2011: 145). Die statistische Erfassung der Tat erfolgt also unmittelbar nach ihrem Bekanntwerden bei der Polizei und damit zu Beginn der Ermittlung. Dies ist insofern von Vorteil, als dass bereits früh geprüft wird, inwieweit eine politische Motivation vorliegt. Zudem kann die Einstufung im Laufe der Ermittlungen verändert werden; es sind sogar nachträgliche Änderungen möglich, wenn sich erst bei Staatsanwaltschaft oder Gericht neue Erkenntnisse zeigen (Feldmann et al. 2018: 23) und diese den Staatsschutzabteilungen bekannt werden.

In der Praxis wird von diesen Möglichkeiten der Änderung der Einstufung aber offenbar nur zurückhaltend Gebrauch gemacht. Deshalb wird eine erst im weiteren Verlauf der Ermittlungen hervortretende rechte Motivation ggf. nur unzureichend berücksichtigt. Eine nachträgliche Korrektur im Anschluss an das Gerichtsverfahren findet offenbar vor allem bei besonders schwerwiegenden Taten statt, namentlich bei vollendeten Tötungsdelikten1 (Deutscher Bundestag 2009: 4). Zusätzlich gewonnene Erkenntnisse oder Neubewertungen vor Gericht, gerade bezüglich der Motivation der Tat, werden damit kaum genutzt.


Ausmaß und Entwicklung der registrierten Kriminalität

Seit der Einführung des neuen Erfassungssystems im Jahr 2001 wurde im Jahr 2015 ein bisher nicht da gewesener Höchststand an Straf- und Gewalttaten erreicht. Dieser wurde im Jahr 2016 nochmals übertroffen (BMI 2017a). Im Durchschnitt wurden 2016 jeden Tag 4,6 rechte Gewalttaten registriert. Im Jahr 2017 ist ein Rückgang zu verzeichnen, wobei die Zahl der als politisch rechtsmotiviert bewerteten Fälle aber mit 20.520 Straftaten und 1.130 Gewalttaten auf einem hohen Niveau bleibt (BMI 2018a: 2) (vgl. die Abbildungen 1 und 2).

 

Abbildung 1: Entwicklung rechter Straftaten (Datenquelle: Bundesministerium des Inneren)


Neben den polizeilichen und justiziellen Statistiken nehmen eine ganze Reihe zivilgesellschaftlicher Institutionen eigenständige Erfassungen vor und kommen praktisch auf durchgehend deutlich höhere Werte. Die Amadeu Antonio Stiftung führt unterschiedliche Chroniken, bspw. zu antisemitischen oder flüchtlingsfeindlichen Vorfällen.2 Sie schätzt die Zahl flüchtlingsfeindlicher Vorfälle, insbesondere der Brandstiftungsdelikte, deutlich höher ein als die offizielle staatliche Statistik.3 Auch die Anzahl der Todesopfer rechter Gewalt wird in der Chronik wesentlich höher eingeschätzt. Von der Bundesregierung werden 76 Tötungsdelikte mit 83 Todesopfern seit 1990 als rechts motiviert gewertet (Deutscher Bundestag 2018); die Stiftung spricht von 193 Todesopfern, 13 Verdachtsfällen und einem Sonderfall.4 Dies ist mitunter auch auf abweichende zugrunde liegende Definitionen zurückzuführen. Die Stiftung erfasst beispielsweise Fälle mit sozialdarwinistischer Motivation, wenn diese „mindestens eine tatbegleitende bis tateskalierende Rolle gespielt haben“.

Das PMK-Erfassungssystem dagegen berücksichtigt nur solche Taten, bei denen die rechte Motivation nachweisbar tatauslösend und tatbestimmend ist (BMI/BMJ 2001: 263).5 Eklatante Differenzen zwischen der durch die Bundesregierung offiziell anerkannten Zahl an Opfern rechter Gewalt und einer eigenen Aufstellung der Frankfurter Rundschau und des Tagesspiegels sorgten bereits im Jahr 2000 für Diskussionen. Erstere bezifferte die Anzahl auf 25, letztere auf 93 Opfer. Die Debatte hatte eine nachträgliche Überprüfung von Fällen zur Folge, nach der die Anzahl der Todesopfer im Jahr 2000 auf 36 korrigiert wurde (Falk 2001: 9).

Abbildung 2: Entwicklung rechter Gewalttaten (Datenquelle: Bundesministerium des Innern)

Daneben erstellen Tageszeitungen immer wieder Chroniken zu unterschiedlichen Taten rechter Gewalt. Die taz zählte 2015 122 Brandschläge auf Flüchtlingsunterkünfte.6 Die PMK-Statistik gab 76 rechts motivierte und 18 sonstig motivierte Brandanschläge gegen Flüchtlingsunterkünfte aus (BMI 2017b). Vereine, Verbände und Beratungsstellen, die sich mit rechter Gewalt auseinandersetzen, erstellen eigene regionale Statistiken.7


Probleme der Erfassung von PMK-rechts

Die beschriebenen Diskrepanzen machen deutlich, dass die polizeiliche Erfassung im System PMK-rechts – wie stets bei kriminalstatistischen Daten (Kunz/Singelnstein 2016: 206) – kein Abbild des einschlägigen Deliktbereiches liefert. Sie dokumentiert vielmehr nur das polizeiliche Registrierungsverhalten.


Anzeigeverhalten

Im Bereich politisch rechtsmotivierter Kriminalität unterliegt die Erfassung von Straftaten einer doppelten Verzerrung: Erstens müssen Delikte bzw. Verdachtssituationen, wie allgemein, der Polizei überhaupt bekannt und registriert werden (Kunz/Singelnstein 2016: 206ff.); zweitens muss die einschlägige politische Motivation festgestellt und registriert werden.

Schon ersteres dürfte im Bereich der PMK-rechts besonders ausgestaltet sein, da hier mit einem besonders strukturierten Anzeigeverhalten zu rechnen ist. Die private Anzeigeerstattung ist jedoch der entscheidende Weg, auf dem die Polizei von Straftaten Kenntnis erlangt (Kunz/Singelnstein 2016: 200f.). Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen mit Behinderung oder wohnungslose Menschen, die als Zielgruppen rechts motivierter Gewalt gelten, dürften schon allgemein betrachtet seltener Anzeige erstatten als andere Personen (vgl. Amnesty International 2016: 75). Ebenso können das Vertrauen in die Institutionen Polizei und Justiz, die Sprach- und Ausdrucksfähigkeit sowie die angenommene Glaubwürdigkeit die Anzeigebereitschaft beeinflussen. Zahlen der Mobilen Opferberatung Sachsen-Anhalt zeigen für das Jahr 2014, dass ein Viertel der dort bekannt gewordenen mutmaßlich rassistischen Straftaten nicht bei der Polizei angezeigt wurde (zitiert nach Amnesty International 2016: 70). Bei politisch rechtsmotivierten Straftaten ist daher von einem erheblichen Dunkelfeld schon insofern auszugehen, als dass die Taten der Polizei überhaupt nicht bekannt werden.


Feststellung der politischen Motivation

Als PMK-rechts erfasst werden sollen Fälle, bei denen die Umstände der Tat und/oder der Einstellung der tatverdächtigen Person Anhaltspunkte für eine „rechte“ Orientierung geben (BKA 2016: 9). Entscheidend für die Bewertung und Einstufung der zu bewertenden Verdachtssituationen ist somit vor allem die Motivation der Täter_innen. Daher sind die Prüfung und sorgfältige Beurteilung, welche Aspekte für eine politische Motivation sprechen, entscheidend für die Qualität der daraus resultierenden Statistik.

Dabei erweist es sich als problematisch, dass gerade die Motivation oft unbekannt oder schwierig zu bestimmen ist. In gesteigertem Maße gilt dies bei Fällen, in denen (noch) keine tatverdächtige Person ermittelt wurde. Wo es eine_n Beschuldigte_n gibt, ist zu berücksichtigen, dass Tatverdächtige zu ihren Tatmotiven regelmäßig keine oder nur unzureichende Angaben machen (u. a. Falk 2001: 10). In der Untersuchung von Feldmann et al. (2018: 27) gab keine der tatverdächtigen Personen an, politisch motiviert gehandelt zu haben. Hinzu kommt, dass aus Sicht der Polizei die Ermittlung des Tathergangs und einer tatverdächtigen Person im Vordergrund stehen, nicht jedoch die Ermittlung des Motivs (Feldmann et al. 2016: 350). Diese Umstände können einer Einordnung der Tat als rechtsmotiviert entgegenstehen. Selbst in der strafrechtlichen Hauptverhandlung vor Gericht bleiben die Motive der Tat oft ungeklärt. Sei es, da Angeklagte und Verteidigung die Thematisierung von Hasskriminalität aufgrund der strafschärfenden Wirkung von fremdenfeindlichen, rassistischen oder sonstigen menschenverachtenden Beweggründen und Zielen (§ 46 Abs. 2 Satz 2 StGB) vermeiden wollen; sei es, weil die politische Motivation nicht erkannt bzw. ihr nicht nachgegangen wird. Forschungsarbeiten zeigen: Die Vorurteilsmotivation wird häufig nicht benannt und nicht strafverschärfend einbezogen (Lang 2015: 3, s. auch Liebscher 2017: 96f.).

Weitere Kritik zielt darauf, dass der Begriff der politischen Motivation wenig klar ist. Im Bereich der PMK-rechts werden politische Absichten bei den Taten eher selten zielgerichtet umgesetzt. Häufig schlägt sich eher eine schlichte, aber deutliche Gesinnung mit ausgeprägten Feindbildern in den Taten nieder (Feldmann et al. 2016: 350). Diskutabel ist ebenfalls, ob nur die Motivation vor oder während der Tat berücksichtigt werden sollte, oder darüber hinaus auch die tathandelnde Person mit Verhalten und Vorstellungen heranzuziehen ist (Feldmann et al. 2018: 26). Zwar wird die politische Gesinnung oder die Organisationszugehörigkeit alleine nicht zur Bewertung ausreichen können (Holzberger 2001: 34f.), sondern in der Regel nur ein wichtiges Indiz darstellen. Wenn eine unmittelbare rechte Tatmotivation zwar nicht erkennbar ist, kann aber gleichwohl die Gewaltneigung, -anwendung und Brutalität der Tat durch die Zugehörigkeit zu einer rechten Gruppe beeinflusst sein (Feldmann et al. 2016: 352).


Definitionsmacht der Beamt_innen

Neben den dargestellten praktischen Schwierigkeiten bei der Feststellung einschlägiger Motivationen für die im Raum stehenden Verdachtssituationen erweist es sich sodann als problematisch, dass den tätigen Beamt_innen dabei ein erheblicher Entscheidungsspielraum zukommt (s. auch BMI/BMJ 2006: 137). Selbst wenn die Beamt_innen also die Möglichkeit einer politischen Motivation erkennen, hängt es recht stark von ihrer eigenen Bewertung ab, ob die Tat als politisch motiviert eingestuft wird. Nach einer Einschätzung der Mobilen Beratung für Opfer rechter Gewalt nimmt die Polizei in einem Drittel der Fälle keine Einstufung als politisch motiviert vor, in denen nach Auffassung der Betroffenen diskriminierende Motive vorgelegen haben (zitiert nach Amnesty International 2016: 70).

Die Erfassung und Bewertung von Kriminalität stellt stets einen Zuschreibungsprozess dar (Kunz/Singelnstein 2016: 169ff.). In besonderem Maße gilt dies bei der Feststellung subjektiver Komponenten und etwa auch der Motivation, zumal diese sehr wertungsoffene Kategorien betrifft (s. auch Feldmann et al. 2018: 28, 228). Häufig sind die Motivation oder ein politischer Hintergrund nur durch einen Rückschluss auf die äußeren Umstände der Tat zu ermitteln. In dieser Situation sind dann die Vorstellungen der bewertenden Beamt_innen über politisch motivierte Kriminalität entscheidend, da sie Wahrnehmung und Bewertung maßgeblich prägen (Feustel 2011: 149). An dieser Stelle können stereotype Vorstellungen über bestimmte Täter_innen die Erfassung beeinflussen, etwa auch, wenn Verdächtige nicht als „typische“ Rechtsextremist_innen erscheinen, sondern als Bürger_innen „aus der Mitte der Gesellschaft“.

Für die Frage, wie die bestehenden Definitionsspielräume genutzt werden, können bestimmte außerrechtliche Aspekte Bedeutung erlangen. So gibt es immer wieder Hinweise darauf, dass in bestimmten Orten und Regionen angestrebt wird, die Einstufung als politisch motivierte Tat zurückhaltend umzusetzen, um den Ruf der Stadt oder Region nicht zu schädigen (Falk 2001: 10). Ebenso stellt sich die Frage, wie es sich auswirkt, wenn Teile der Polizei Kontakte zur rechten Szene unterhalten oder mit dieser sympathisieren. Gleiches gilt für die Frage des institutionellen Rassismus bei den Ermittlungsbehörden, wie er bei der Aufarbeitung der NSU-Ermittlungen thematisiert wurde (Deutscher Bundestag 2013b: bspw. 892, 983, 990). Bereits im Zuge der Reform des Erfassungssystems im Jahr 2001 wurde diskutiert, dass die Meldedisziplin der Polizeidienststellen unterschiedlich ausgeprägt sei (BMI/BMJ 2001: 270). Dies dürfte in der Praxis zu erheblichen regionalen Unterschieden in der Erfassung von PMK-rechts führen (Feldmann et al. 2018: 28, 228).

Zusammengenommen spielen somit neben dem Fachwissen auch die örtlichen Gepflogenheiten und die persönlichen Einstellungen der Beamt_innen eine Rolle für die Frage, ob eine Verdachtssituation als politisch rechtsmotiviert eingestuft wird (Feustel 2011: 148, Feldmann et al. 2016: 350, Singer 2004: 36).


Fazit


Die Erfassung im System PMK-rechts unterliegt einer doppelten Verzerrung. Nicht nur müssen die Straftaten überhaupt als solche von der Polizei registriert werden. Vielmehr muss darüber hinaus auch die politische Motivation wahrgenommen und zutreffend bewertet werden. Angesichts der dabei bestehenden Probleme ist davon auszugehen, dass ein erheblicher Anteil einschlägiger Delikte im Dunkelfeld verbleibt oder zwar ins Hellfeld gelangt, dort aber nicht als politisch motiviert eingestuft wird.

Diesem Problem könnte auf unterschiedliche Weise begegnet werden. Erstens wäre es denkbar, konsequent Erkenntnisse in der Statistik zu berücksichtigen, die im weiteren Verlauf des Strafverfahrens anfallen. Zweitens wurde vorgeschlagen, dass Stellen die Bewertung der Delikte vornehmen ollten, die von der Polizei unabhängig sind (Holzberger 2001: 34, Sellkens/Wilde 2002: 28). Drittens schließlich könnte der Definitionsprozess durch die Polizei konkretisiert und verbessert werden. Für die praktische Anwendung durch die Beamt_innen müssten für die Klassifikation möglichst genaue Kriterien für eine Zuordnung im Erfassungskatalog definiert sein. Die Definitionsmacht könnte gemildert und die Handlungssicherheit gestärkt werden, wenn Beamt_innen speziell geschult werden. Mehrere NSU-Untersuchungsausschüsse empfehlen eine Sensibilisierung im Bereich des Rechtsextremismus in teilweise verpflichtenden Aus- und Fortbildungen für Polizeibeamt_innen (Landtag von Baden-Württemberg 2016: 967, Bayerischer Landtag 2013: 157). Einer der Untersuchungsausschüsse schlägt vor, die politische Motivation bei Opfern mit Migrationshintergrund grundsätzlich zu prüfen (Bayerischer Landtag 2013: 151, 157).

Zusammenfassend betrachtet besteht somit ein erheblicher Handlungsbedarf, um die statistische Erfassung von politisch rechtsmotivierter Kriminalität durch die Polizei zu verbessern. Um ein realistisches Bild der tatsächlichen Situation zu erlangen, ist es dringend angezeigt, die von zivilgesellschaftlichen Institutionen erhobenen Daten stärker in die Betrachtung einzubeziehen.

 

 

1

Vgl. Kleffner, Heike/Holzberger, Mark (2004): War da was? Reform der polizeilichen Erfassung rechter Straftaten, S. 5. Online: www.cilip.de/2004/02/29/war-da-was-reform-der-polizeilichen-erfassung-rechter-straftaten/ [27.08.2018].

2

Vgl. Amadeu Antonio Stiftung (2018a): Chronik antisemitischer Vorfälle. Online: www.amadeu-antonio-stiftung.de/die-stiftung-aktiv/themen/gegen-as/antisemitismus-heute/chronik-antisemitischer-vorfaelle-1/ [27.08.2018]; siehe auch: Amadeu Antonio Stiftung (2018b): Chronik flüchtlingsfeindlicher Vorfälle. Online: www.mut-gegen-rechte-gewalt.de/service/chronik-vorfaelle [27.08.2018].

3

Vgl. Amadeu Antonio Stiftung (2016): Verzerrtes Bild: Amadeu Antonio Stiftung zählt mehr Angriffe auf Asylsuchende als vom Bundeskriminalamt veröffentlicht. Online: www.amadeu-antonio-stiftung.de/w/files/pdfs/pressemitteilungen/2016-02-25-pm-verzerrtes-bild-von-fluechtlingsfeindlicher-gewalt.pdf [27.08.2018].

4

Vgl. Brausam, Anna (2017): Todesopfer rechter Gewalt seit 1990. Online: www.mut-gegen-rechte-gewalt.de/news/chronik-der-gewalt/todesopfer-rechtsextremer-und-rassistischer-gewalt-seit-1990 [27.08.2018].

5 Vgl. ebd.

6

Vgl. Bednarczyk, Svenja (2015): Brandanschläge auf Unterkünfte 2015. Hundertzweiundzwanzig Mal Hass. Online: www.taz.de/!5235937/ [27.08.2018].

7

Vgl. VBRG (2018): Monitoring rechtsmotivierter Gewalt. Online: verband-brg.de/index.php/monitoring [27.08.2018].

8

Beispielsweise hier: Rietzschel, Antonie (2018): Aktion gegen Journalisten. Sachsens Polizei – immer wieder auffällig. Online: www.sueddeutsche.de/politik/2.220/aktion-gegen-journalisten-sachsens-polizei-immer-wieder-auffaellig-1.4097877 [28.08.2018].

 

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