Von Franziska Martini, Fabian Klinker & Sven Brüggemann
Die Klimabewegung hat – wie wir in früheren Beiträgen bereits gezeigt haben – maßgeblich zur Sensibilisierung und Politisierung der Gesellschaft in Bezug auf die Klimakrise beigetragen. Der aktuelle Deutschlandtrend[1] zeigt jedoch, dass Klima- und Umweltschutz nur noch das viertwichtigste Thema für die Wähler*innen bei der Europawahl dargestellt hat – ein Rückgang von 9 % im Vergleich zu 2019. Angesichts der weltweiten Krisenlagen ein nachvollziehbares, aber zugleich fatales Signal.
Auch über die Frage der Klimakrise hinaus kann die Klimabewegung momentan als größte demokratische Protest- und Mobilisierungsbewegung gelten und sie ist sich dieser Rolle auch bewusst. Diese lauten Stimmen sind gerade auf Social Media aktuell sehr nötig, da die dringend erforderlichen (europäischen) Klimaschutzmaßnahmen von Seiten extrem rechter Akteur*innen und Parteien wie der AfD massiv unter Druck stehen. Die AfD instrumentalisiert die Klimakrise für ihre Agenda, betitelt Engagement für Klimaschutz als “Klima-Kult”[2] und stilisiert wirksam insbesondere die Klimabewegung und grüne Politiker*innen zum Feindbild[3]. Das demokratische Parteienspektrum und deren Politiker*innen kommen vor allem auf Social-Media-Plattformen in vielen Belangen nicht gegen die Dominanz extrem rechter Akteur*innen wie der AfD an.[4] Die Klimabewegung ist deshalb als Gegengewicht besonders gefragt. Eindrücklich gezeigt hat sich die Bedeutung der Klimabewegung beispielsweise schon bei den Protesten gegen Rechtsextremismus in der Folge der CORRECTIV-Recherche[5] Anfang 2024. Insbesondere Fridays for Future (FFF) hatte hier einen großen Anteil am Erfolg der Demonstrationen. Die Bewegung konnte durch ihre gut ausgebaute digitale Infrastruktur und jahrelang eingeübte Mobilisierungspraxis eine flächendeckende Beteiligung ermöglichen.
In diesem Beitrag gehen wir der folgenden Frage nach:
Zunächst haben wir untersucht, wie häufig unterschiedliche Akteur*innen der Klimabewegung überhaupt einen Bezug zur Europawahl in ihrer Online-Kommunikation auf Instagram, Facebook und X (ehemals Twitter) herstellen[6]. Dafür haben wir ausgewertet, in wie vielen ihrer Postings die unterschiedlichen Gruppen EU- bzw. Europawahl-spezifischen Wortschatz nutzten[7].
Grafik 1: Prozentualer Anteil an Postings mit und ohne EU-Bezug
Was direkt auffällt ist, dass FFF mit 40 % ihrer insgesamt 1277 Postings im Untersuchungszeitraum am häufigsten einen Bezug zur Europawahl herstellte. Sie sind sich der Tragweite der Europawahl für eine klimagerechte Politik bewusst und adressierten sie direkt in ihrer Online-Kommunikation. Auch WWF und die Letzte Generation thematisierten EU- und wahlbezogene Themen sehr oft auf den untersuchten sozialen Medien. Bei letzterer liegt dies auch nahe, da sie sich erstmals selbst unter dem Namen „Parlament aufmischen – Stimme der Letzten Generation“ zur Wahl ins EU-Parlament aufgestellt hat[8]. Bemerkenswert ist, dass die untersuchte Gruppe an Klimaaktivist*innen insgesamt verhältnismäßig selten die Europawahl angesprochen hat. Die Aktivist*innen in dieser Gruppe haben viele Follower*innen auf Social Media und bringen als Einzelpersonen ein großes Identifikationspotenzial mit. Sie hätten also noch intensiver online zur Europawahl mobilisieren können[9].
Innerhalb der Klimabewegung thematisierten Fridays for Future die Europawahl am häufigsten auf ihren Social-Media-Kanälen. Klima-Aktivist*innen setzten im Vergleich dazu eher wenige Postings zur Europawahl ab.
In früheren Beiträgen hatten wir bereits gezeigt, dass die Gruppierungen und Bündnisse innerhalb der Klimabewegung zum Teil sehr unterschiedliche Schwerpunkte bei Klima- und Umweltthemen setzen. Die Europawahl wurde jedoch von allen von uns untersuchten Gruppen thematisiert. Wir haben uns daher gefragt, inwiefern die Wahl als Brückenthema zwischen den Gruppen fungierte und mit welchen eigenen Themen die Gruppen jeweils die Wahl in Verbindung brachten. In den weiteren Analysen haben wir deshalb einen Blick darauf geworfen, wie und welche Hashtags von der Klimabewegung verwendet wurden. Hashtags werden strategisch unter anderem dafür eingesetzt, um Themen in die Öffentlichkeit zu bringen und Gemeinschaften oder Bewegungen zu ermöglichen.[10] Gemeinsam verwendet können Hashtags die Sichtbarkeit von Diskursen und von daran beteiligten Akteur*innen deutlich erhöhen.
Grafik 2 visualisiert[11] die verschiedenen Klimagruppen und die Hashtags ihrer Social-Media-Postings: Das Netzwerk besteht aus den 16 untersuchten Klimagruppen (grüne Knoten mit schwarzer Beschriftung) sowie den von ihnen verwendeten Hashtags (hellgraue Knoten, insgesamt 8284). Eine Verbindung zwischen Klimagruppe und Hashtag zeigt an, dass der Hashtag im Untersuchungszeitraum mindestens einmal von der Gruppe verwendet wurde (grüne Kanten).
Grafik 2: Klimagruppen und ihre Hashtags als Netzwerk
Aus dem Netzwerk lassen sich folgende Ergebnisse ablesen:
Grafik 3: Hashtags, die von mindestens 10 verschiedenen Klimagruppen genutzt werden
Hashtag | Anzahl Klimagruppen, die Hashtag verwenden |
#klimakrise | 15 |
#klimawandel, #klimaschutz, #energiewende, #demokratie, #europawahl, #eu | 14 |
#nachhaltigkeit, #europa, #berlin | 13 |
#verkehrswende, #umweltschutz, #umwelt, #klima | 12 |
#climateaction, #natur, #klimaschutzgesetz, #klimagerechtigkeit, #earthday, #zukunft | 11 |
#europawahl2024, #euwahl, #euwahl2024, #biodiversität, #leipzig, #wald, #wissing | 10 |
Die Europawahl war ein zentrales Brückenthema zwischen vielen Gruppierungen innerhalb der Klimabewegung. Ansonsten scheinen die Überschneidungen zwischen den Gruppierungen hinsichtlich inhaltlicher Schwerpunkte ihrer Social-Media-Kanäle eher gering zu sein.
Um herauszufinden, mit welchen eigenen Themen die Gruppen jeweils die Wahl in Verbindung brachten, haben wir für die Klimagruppen jeweils einzeln weitere Netzwerke veranschaulicht. Wir zeigen hier beispielhaft die Ergebnisse für Fridays for Future und Greenpeace.[13] Die Knoten der Netzwerke sind diesmal die Hashtags, die die jeweilige Gruppe in ihren Postings verwendete. Eine Verbindung zwischen zwei Hashtags repräsentiert, dass die beiden Hashtags mindestens einmal zusammen innerhalb eines Postings verwendet wurden (Grafik 4 und 5).[14] Aus den Verbindungen zwischen den Hashtags lässt sich also ablesen, welche Themen die Klimagruppen in einzelnen Postings miteinander in Zusammenhang brachten. Je dicker die Verbindungen zwischen den Hashtags in der Darstellung sind, desto häufiger wurden sie zusammen in Postings verwendet. In den Netzwerken haben wir schließlich nur jene Verbindungen dargestellt, die zwischen EU- und Nicht-EU-Hashtags[15] gemacht wurden.
Fridays for Future nutzte ihre Social-Media-Auftritte stark zur Mobilisierung, sowohl für die Europawahl als auch für den Klimastreik und Demos „gegen rechts“. Die Aufrufe zu den Demonstrationen standen in unmittelbarem Zusammenhang mit der Wahl, wie man an den Verbindungen zwischen EU- und Nicht-EU-Hashtags in Grafik 4 sehen kann. Für sie war die Europawahl klar eine Klima-Wahl (#climatejusticenow, #klimakrise und #klimaschutz). Generell forderten sie dazu auf, bei der Europawahl 2024 eine Stimme abzugeben (#gehtwählen, #duhastdiewahl). Sie riefen aber auch im Kontext der Europawahl bundesweit zu Klimastreiks (#klimastreik) sowie Demonstrationen gegen Rechtsextremismus auf (#gegenrechts, #vielfalt und #fckafd).[16]
Grafik 4: Netzwerk zusammen auftretender Hashtags in den Social-Media-Postings der Gruppe Fridays for Future
Auch Greenpeace (Grafik 5) nutzte ihre Social-Media-Präsenz, um zum Wählen (#gehtmalwählen) und insbesondere zum Wählen einer demokratischen Partei (#demokratie, #demokratieverteidigen und #demokratiestärken) zu mobilisieren. Dabei sprach Greenpeace explizit Erstwähler*innen (#erstwähler) an. Interessant ist, dass Greenpeace per Hashtag auch auf andere Klimagruppen in ihren Postings zur Europawahl verwies (#letztegeneration, #fridaysforfuture und #scientistsforfuture). Das lässt sich zum einen darüber erklären, dass Greenpeace zusammen mit anderen Gruppen zu Klimastreiks und Demonstrationen gegen Rechtsextremismus im Kontext der Wahl aufrief. Zum anderen wurden beispielsweise Fridays for Future und Letzte Generation auch ganz allgemein in Postings zur Europawahl genannt. Damit scheint Greenpeace zum anderen strategischer als andere Klimagruppen die Vernetzung innerhalb der Klimabewegung zu suchen.
Grafik 5: Netzwerk zusammen auftretender Hashtags in den Social-Media-Postings der Gruppe Greenpeace
Für Fridays for Future war die Europawahl eine Klimawahl. Sie mobilisierte sowohl fürs Wählen als auch für Klimastreiks und Demos „gegen rechts“. Greenpeace suchte darüber hinaus die Vernetzung mit anderen Gruppen der Klimabewegung.
Nicht nur die Online-Kommunikation der Klimabewegung, etwa die Anzahl ihrer abgesetzten Postings oder das Framing der Europawahl, ist wichtig. Die Frage ist auch, wie viele Social-Media-Nutzer*innen von diesem Content erreicht wurden. Schließlich geht es darum, möglichst viele Menschen online zu erreichen und eine Reaktion auszulösen. Ein Kriterium dafür können die Nutzer*innen-Interaktionen sein, also die Anzahl an Likes, Shares, Kommentaren etc. Wir haben schließlich noch für eine Auswahl der Klimagruppen[17] untersucht, wie viele durchschnittliche Interaktionen ihre Postings mit und ohne EU-Bezug hervorrufen.
Grafik 6: Durchschnittliche Interaktionen pro Posting mit und ohne EU-Bezug
FFF erreichte insgesamt die meisten Interaktionen, sowohl bei ihren Inhalten mit EU-Bezug, als auch bei denen ohne. Interessant ist jedoch, dass der Nicht-Europa-Content durchschnittlich gut 300 Interaktionen mehr hervorrief. Anders dagegen vor allem bei Greenpeace und der Gruppe der Aktivist*innen, bei denen die Europawahlpostings besonders interaktionsstark waren. Bei den Aktivist*innen sind die entsprechenden Beiträge auf wenige Einzelpersonen, insbesondere auf Luisa Neubauer zurückzuführen. Sie rief intensiv zu einer demokratischen und klimaschutzorientierten Wahlbeteiligung auf. Gerade diese Postings trafen bei den User*innen auf eine besonders hohe Reaktionsfreudigkeit. Auch über alle Gruppen hinweg lässt sich feststellen, dass die Inhalte mit EU-Bezug bezogen auf die durchschnittlichen Interaktionen etwas besser abgeschnitten haben als die ohne EU-Bezug (im Durchschnitt etwas über 70 Interaktionen mehr). Ein kleines Indiz dafür, dass gerade die Europawahl auf Social-Media-Plattformen Mobilisierungspotenzial aufweist.
Alle untersuchten Gruppen haben die Europawahl auf Social Media (in unterschiedlichem Umfang) thematisiert. Die Europawahl ist sogar ein Hauptelement, das fast alle Gruppen (z.B. mit den Hashtags #europawahl oder #eu) mit den Kernthemen der Klimabewegung (z.B. #klimakrise, #klimagerechtigkeit) verbinden. Bemerkenswert ist auch, dass die Gefahr, die von rechten Akteur*innen in Bezug auf Klimapolitik und Demokratie insgesamt ausgeht, aufgegriffen und direkt adressiert wurde. Beispielsweise mobilisierte FFF aktiv unter #gegenrechts und auch Greenpeace erkannte eine Notwendigkeit darin, für einen funktionierenden Klimaschutz die Demokratie bei den Wahlen gemeinsam verteidigen zu müssen (#demokratieverteidigen).
Posts zur Europawahl besaßen durchaus ein Mobilisierungspotenzial – durchschnittlich war bei ihnen eine leicht höhere Reaktionsfreudigkeit festzustellen. Aktivist*innen erhielten bei ihren Wahlpostings verglichen mit ihren übrigen Inhalten eine besonders große Aufmerksamkeit, obwohl die untersuchten Personen dieser Gruppe nur verhältnismäßig wenige Beiträge dazu verfassten. Es lässt sich festhalten, dass die Akteur*innen der Klimabewegung verschiedene Krisen, Kriege und Demokratie vor dem Hintergrund der Klimafrage verhandeln und damit eine wichtige Rolle im (digitalen) Diskurs um gesellschaftlichen Zusammenhalt einnehmen.
[1] https://www.tagesschau.de/inland/deutschlandtrend/deutschlandtrend-pdf-144.pdf (zuletzt aufgerufen am 05.06.2024).
[2] Siehe Analyse-Feed-Beitrag #7 Das Klima zur Europawahl. Wie viel Klima steckt im Wahlkampf?
[3] Siehe auch: Knüpfer, C. & Hoffmann, M. (2024). Countering the “Climate Cult” – Framing Cascades in Far-Right Digital Networks. Political Communication, 1-23.
[4] Z.B. https://www.zdf.de/nachrichten/politik/deutschland/afd-tiktok-erfolg-strategie-jugendliche-100.html (zuletzt aufgerufen am 05.06.2024).
[5] https://correctiv.org/aktuelles/neue-rechte/2024/01/10/geheimplan-remigration-vertreibung-afd-rechtsextreme-november-treffen/ (zuletzt aufgerufen am 05.06.2024).
[6] Die Daten wurden im Zeitraum vom 26. März bis zum 26. Mai 2024 erhoben. Erfasst wurden insgesamt ca. 16.300 Postings der folgenden 16 Klimagruppen: BUND, NABU, Initiativen und Bündnisse, Wissenschaftliche Institutionen, Greenpeace, Naturfreunde, Fridays for Future (FFF), Extinction Rebellion (XR), Aktivist*innen, Parents for Future (P4F), Wissenschaftler*innen, WWF, Ende Gelände, Scientists for Future (S4F), Robin Wood und Letzte Generation. Die Social-Media-Accounts je Klimagruppe wurden detailliert in unserem Analyse-Feed-Beitrag #6 Klimabewegung Online – Ein digitales Panorama. Teil 1: Bestandsaufnahme beschrieben.
[7] Der EU-Wortschatz wurde anhand der Wortbestandteile *europa*, *europe*, *wahl*, *election* und eu* bestimmt.
[8] https://parlament-aufmischen.de/ (zuletzt aufgerufen am 03.06.2024).
[9] Diese Gruppe ist sehr divers. Das Ergebnis der Anzahl an Postings mit EU-Bezug sagt noch nichts über den Erfolg der Mobilisierung zur Europawahl aus. Einige wenige Posts können bereits eine große Wirkung erzielen.
[10] Myles, D. (2019). ‘Anne goes rogue for abortion rights!’: Hashtag feminism and the polyphonic nature of activist discourse. New Media & Society, 21(2), 507-527. https://doi.org/10.1177/1461444818800242.
[11] Visualisierung der Netzwerke mit Gephi: Bastian, M., Heymann, S., & Jacomy, M. (2009). Gephi: an open source software for exploring and manipulating networks. In Proceedings of the international AAAI conference on web and social media 3(1), 361-362.
[12] https://www.idz-jena.de/wwwidz-jenade/forschung/digital-awareness/analyse-feed/6-klimabewegung-online-ein-digitales-panorama-teil-2 (zuletzt aufgerufen am 03.06.2024).
[13] FFF erscheint hier interessant aufgrund ihrer intensiven Social-Media-Nutzung und ihrer Relevanz für die Klimabewegung. Außerdem zeigen wir die Ergebnisse für Greenpeace, da ihre Verwendung von Hashtags im Kontext der Europawahl einige Besonderheiten aufwies.
[14] Aus forschungspraktischen Gründen wurden je Posting jeweils nur bis zu 10 Hashtags berücksichtigt.
[15] Als Hashtag mit Bezug zur Europawahl wurden automatisiert alle Hashtags mit den Wortbestandteilen europa, #eu, wahl und election klassifiziert. Anschließend wurden die Hashtags noch einmal manuell überprüft und ggfs. aus der Liste entfernt, wenn sie keinen Bezug zur Europawahl hatten (z.B. Hashtags zu Kommunalwahlen oder dem Eurovision Song Contest).
[16] Vgl. auch https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Fridays-for-Future-Verregneter-Klimastreik-in-Hamburg,fridaysforfuture1092.html (zuletzt aufgerufen am 04.06.2024).
[17] Diese haben wir qualitativ aufgrund der Gesamtverteilung ihrer Interaktionen getroffen. Außerdem haben wir hier bei den Klimagruppen Letzte Generation, WWF, Greenpeace, FFF und NABU jeweils nur ihre Hauptaccounts (keine Regionalaccounts) untersucht, damit eine Vergleichbarkeit der durchschnittlichen Interaktionen gegeben ist.