Von Franziska Martini, Fabian Klinker & Sven Brüggemann
Vom 6. bis 9. Juni 2024 wird in den Mitgliedstaaten der EU ein neues europäisches Parlament gewählt. Inmitten der wachsenden Dringlichkeit der Klimakrise haben die Wähler*innen die Möglichkeit, die Richtung der EU-Politik für die nächsten fünf Jahre maßgeblich zu beeinflussen. Von der Umsetzung des European Green Deal[1] mit dem Hauptziel der Klimaneutralität bis 2050 über die Reform des Emissionshandelssystems bis hin zur Förderung erneuerbarer Energien und nachhaltiger Landwirtschaft – die Entscheidungen, die das neu gewählte Europäische Parlament treffen wird, sind von zentraler Bedeutung für die bisher unzureichende internationale Klimaschutzpolitik[2]. Sorge um die dringend notwendigen Klimaschutzambitionen macht insbesondere das Erstarken des rechten Lagers[3] in vielen europäischen Staaten, das im EU-Parlament (auch gemeinsam mit konservativen Parteien[4]) wichtige Maßnahmen blockieren könnte. Die Europawahl ist also eine Klimawahl. Im Wahlkampf der demokratischen Parteien sollte dieses zukunftsweisende Thema also eine wesentliche Rolle spielen.
Wir stellen uns in diesem Blogbeitrag daher die Frage:
Zunächst haben wir einen Blick in die Europawahlprogramme der Parteien geworfen. Diese haben wir quantitativ nach ihrem Wortschatz mit Klimabezug ausgewertet[5] und analysiert, in wie vielen Sätzen die Parteien das Thema Klima und verwandte Inhalte aufgreifen.
Grafik 1: Klimawortschatz in den Wahlprogrammen zur EU-Wahl 2024 – Sätze absolut
Grafik 2: Klimawortschatz in den Wahlprogrammen zur EU-Wahl 2024 – Sätze prozentual
Die meisten Sätze, die Klimathemen ansprechen, finden sich mit 352 bei Bündnis 90/Die Grünen. Ihr Wahlprogramm ist mit 3209 Sätzen auch das umfangreichste. In Relation zur gesamten Länge der jeweiligen Programme finden sich bei Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) (13,2 %), Die Linke (11,96 %) und SPD (11,12 %) allerdings sogar mehr Sätze mit einem Klimabezug. Interessant ist, dass die Union (6,1 %) in ihrem recht kurzen Text auch prozentual noch hinter der AfD (7,55 %) in den wenigsten Sätzen Klimathemen bespricht. Insgesamt sind diese Werte, die einen Einblick in die thematische Gewichtung der Parteiprogrammatik geben, hinsichtlich der globalen Relevanz des Phänomens der Klimakrise eher gering.
Klimathemen werden in den Europawahlprogrammen aller großen Parteien behandelt: Zwischen sechs und 13 Prozent der Sätze in den Programmen haben einen Klimabezug. Die wenigsten Klimasätze sind bei der Union, die meisten sind beim BSW zu finden (relativer Anteil).
Doch wie sieht es in der Kommunikation in den sozialen Medien aus? Dafür haben wir uns angesehen, welche Rolle das Thema Klima im Kontext der anstehenden EU-Wahl in der Social-Media-Kommunikation auf Instagram, Facebook und X (ehemals Twitter) deutscher Politiker*innen und Parteien spielt.[6]
Wenig überraschend ist das Thema Klima für Politiker*innen der Partei Bündnis 90/Die Grünen in den Sozialen Medien deutlich wichtiger als für andere Parteien: Knapp 26 Prozent der Postings im Kontext der EU-Wahl haben einen Bezug zum Thema Klima bzw. Umwelt.[7] Damit liegt Bündnis 90/Die Grünen weit vor den anderen Parteien, bei denen nur 9 bis 14 Prozent der Postings einen Klimabezug haben. Schlusslicht bildet BSW mit lediglich zwei Postings – was insofern überrascht, als dass die Partei in ihrem Wahlprogramm dem Thema anteilig den meisten Platz einräumt im Vergleich zu den anderen Parteien (siehe oben).
Grafik 3: Postings im Kontext der EU-Wahl mit und ohne Klimabezug
Auch in den Social-Media-Postings werden Klimathemen von Politiker*innen aller großen Parteien behandelt: Zwischen zwei und 26 Prozent der Postings im Kontext der EU-Wahl haben einen Klimabezug. Die wenigsten Postings sind beim BSW, die meisten sind bei Bündnis 90/Die Grünen zu finden (relativer Anteil).
Um einen Einblick nicht nur darüber zu erhalten, wie oft über Klima gesprochen wird, sondern auch auf welche Art und Weise dieses Thema behandelt wird, haben wir die parteitypischen Wortbildungen mit dem Wortbestandteil klima untersucht. Im Deutschen ist vor allem die Komposition – also Wortzusammensetzung – besonders produktiv und lässt häufig Rückschlüsse über ideologische Prägungen zu. Eindrücklich zeigt sich dies im Vergleich zwischen den Wortbildungen der AfD und Bündnis 90/Die Grünen.
Grafik 4: Der Klimawortschatz der AfD als Wordcloud
Grafik 5: Der Klimawortschatz von Bündnis 90/Die Grünen als Wordcloud
Die AfD zeigt im Vergleich zu Bündnis 90/Die Grünen eine kleinere Variationsbreite, ihre inhaltliche Ausrichtung zu diesem Thema wird aber klar erkennbar. Mit Komposita wie Klima-Hysterie, Klimavoodoo, Klima-Gedöns oder Klima-Kult setzen sie auf gezielte Polarisierung und verharmlosen gleichzeitig die dramatischen Konsequenzen der Klimakrise. Eine Strategie, die in sozialen Medien bestens aufgeht, wie die hohen Interaktionswerte dieser Postings bestätigen (siehe unten). Bündnis 90/Die Grünen sprechen insgesamt sehr vielfältig, ausgewogen und aktuell über das Klima: Sie benennen Klimaziele wie Klimagerechtigkeit und Klimaneutralität, sprechen konkrete Pläne, Entwicklungen sowie neue Erkenntnisse an (Klimaklage, Klimaabkommen, Klimabericht) und versuchen dieses Thema auch in die strategische Online-Kommunikation über Hashtags (z.B. #LisaFürsKlima, #TagDerKlimademokratie) einzubinden – gemessen an den Interaktionszahlen allerdings nur mit mäßigem Erfolg.
Klimathemen werden in den Social-Media-Postings von Politiker*innen sehr unterschiedlich verhandelt, was sich an ihrem Klimawortschatz eindrücklich zeigen lässt: Während die AfD einseitig von Hysterie und Kult spricht, stehen bei Bündnis 90/Die Grünen Klimaschutz, -gerechtigkeit und -ziele im Zentrum.
Die meisten Nutzer*innen-Interaktionen[8] generieren die Postings der AfD im Kontext der EU-Wahl (durchschnittlich 1284 Interaktionen)[9], jedoch dicht gefolgt von BSW, mit deren Postings durchschnittlich 1279 Mal interagiert wird. Dabei fällt auf, dass ausschließlich bei Politiker*innen der AfD die Postings mit einem Bezug zum Thema Klima bzw. Umwelt durchschnittlich mehr Interaktionen erhalten als ihre Postings ohne Klimabezug. Neben Wahlkampfpostings, die vor allem das Thema Energiepolitik als eines unter anderen Themen ansprechen, drehen sich diese Postings inhaltlich größtenteils um Forderungen der Partei, europäische Klimaschutzgesetze abzuschaffen, sowie um energiepolitische Forderungen wie die Rückkehr zur Atomenergie. Trotzdem bleiben Migration bzw. Asylpolitik auch im EU-Wahlkampf zentrales Thema der Partei, die mit diesen Inhalten verlässlich Aufmerksamkeit auf sich ziehen kann.
Grafik 6: Nutzer*innen-Interaktionen mit den Postings
Postings der SPD mit Klimabezug generieren hingegen durchschnittlich die wenigsten Interaktionen – dazu gehören neben Wahlkampfpostings vor allem Inhalte, in welchen sich SPD-Politiker*innen für den Ausbau erneuerbarer Energien und mehr Klimaschutz aussprechen.
Unter die Inhalte, denen die User*innen die meiste Aufmerksamkeit schenken, schafft es die Klimakrise selten.[10] Hier scheinen andere Themen und aktuelle Ereignisse wichtiger, insbesondere außen- und verteidigungspolitische Positionen vor dem Hintergrund der Kriege in der Ukraine und Nahost. Aber auch der Wahlkampf selbst hat bereits viele Reaktionen bei den Nutzer*innen hervorgerufen. Attacken auf Wahlkämpfende sowie der Angriff auf den sächsischen Spitzenkandidaten der SPD Matthias Ecke[11] wurden von Politiker*innen fast aller Parteien in ihren Postings thematisiert und vielfach von Nutzer*innen diskutiert. Darüber hinaus lösten die Korruptionsaffäre um den AfD-Politiker Petr Bystron sowie der Spionageverdacht gegen einen Mitarbeiter des AfD-Spitzenkandidaten Maximilian Krah[12] besonders viele Reaktionen aus, sowohl bei Postings von Politiker*innen von FDP, SPD, Die Linke und BSW als auch von Bündnis 90/Die Grünen.
Die Social-Media-Postings von Politiker*innen mit Bezug zu EU-Wahl und Klimakrise generieren insgesamt nur unterdurchschnittliche Nutzer*innen-Interaktionen. Am meisten interagieren Nutzer*innen mit Postings zu aktuellen Ereignissen wie Kriegen und Vorfällen im Wahlkampf.
Die anstehende EU-Wahl vom 6. bis zum 9. Juni ist eine Klimawahl, denn von ihr hängt auch ab, wie die Klimaschutzpolitik des EU-Parlaments in den kommenden fünf Jahren gestaltet wird. Themen rund um die Klimakrise spielen jedoch aktuell bei den großen Parteien in Deutschland eher eine untergeordnete Rolle im EU-Wahlkampf: In den Wahlprogrammen der großen Parteien beziehen sich nur zwischen 6,1 und 13,8 Prozent aller Sätze auf das Thema Klima, inklusive Umwelt- und Energiepolitik. In den Sozialen Medien ist die Klimakrise immerhin bei Politiker*innen von Bündnis 90/Die Grünen in gut einem Viertel aller Postings im Kontext der EU-Wahl Thema. Trotzdem spielen in den Beiträgen, die die meisten Nutzer*innen-Interaktionen hervorgerufen haben, die Themen Klima und Umwelt fast keine Rolle. Im Vergleich werden aktuelle Ereignisse wie der Angriff auf den sächsischen SPD-Spitzenkandidaten Matthias Ecke deutlich stärker diskutiert. Die Postings mit den meisten Interaktionen entsprechen damit selten den Kernthemen der jeweiligen Partei. So werden beispielsweise bei der FDP kaum wirtschaftspolitische Themen und bei Bündnis 90/Die Grünen kaum klimapolitische Themen in Postings mit den meisten Nutzer*innen-Interaktionen verhandelt. Die einzige Ausnahme stellt die AfD dar, die nach wie vor mit dem Thema Migration viel Aufmerksamkeit generieren kann.
[1] https://commission.europa.eu/strategy-and-policy/priorities-2019-2024/european-green-deal_de (zuletzt aufgerufen am 03.06.2024).
[2] https://climate-advisory-board.europa.eu/reports-and-publications/towards-eu-climate-neutrality-progress-policy-gaps-and-opportunities (zuletzt aufgerufen am 03.06.2024).
[3] https://www.ipsos.com/sites/default/files/ct/news/documents/2024-03/Ipsos-PI_EU-Wahl_2024-03-20-final.pdf (zuletzt aufgerufen am 03.06.2024).
[4] https://www.klimareporter.de/europaeische-union/rechtsruck-gefaehrdet-eu-klimapolitik (zuletzt aufgerufen am 03.06.2024).
[5] Wir haben alle Europawahlprogramme lemmatisiert – das heißt alle enthaltenen Wörter in ihrer Grundform analysiert. Als Klimawortschatz haben wir alle Lemmata gezählt, in denen klima, energie, ökolog, emission oder umwelt vorkommen. Zum Klimawortschatz gehört also bspw. Klima, aber auch Klimakrise oder Weltklimarat.
[6] Datengrundlage sind die Accounts bzw. Seiten aller Mitglieder des Deutschen Bundestags sowie die offiziellen Partei-Accounts auf X (ehemals Twitter), Instagram und Facebook (sofern vorhanden), erstellt mithilfe von Schmidt, J.-H., Merten, L., & Münch, F. V. (2023, Juni 19). DBoeS-data. https://doi.org/10.17605/OSF.IO/SK6T5. Die Datenerhebung der Postings (Tweets und Quote-Tweets von X, Postings von Instagram und Facebook) erfolgte im Zeitraum vom 29. März 2024 – dem Tag, an dem der Bundeswahlausschuss über die Zulassung der Wahlvorschläge entschieden hat – bis einschließlich 12. Mai 2024 über Meltwater.com. Erhoben wurden alle Beiträge mit Bezug zur EU bzw. EU-Wahl anhand einer Liste verschiedener Suchbegriffe.
[7] Auch hier wurden wie bei den Wahlprogrammen alle Postings eingeschlossen, die mindestens einen der Wortbestandteile klima, energie, ökolog, emission oder umwelt enthalten.
[8] Interaktionen beinhalten alle Likes, Kommentare und das Teilen von Inhalten.
[9] Vgl. z.B. Klinger, U., Koc-Michalska, K., & Rußmann, U. (2022). Are Campaigns Getting Uglier, and Who Is to Blame? Negativity, Dramatization and Populism on Facebook in the 2014 and 2019 EP Election Campaigns. Political Communication, 1-20. https://doi.org/10.1080/10584609.2022.2133198.
[10] Gemessen an den zehn Postings mit den meisten Interaktionen je untersuchter Partei.
[11] https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/angriffe-auf-wahlkaempfer-wie-parteien-ihre-helfer-schuetzen-19706362.html (zuletzt aufgerufen am 03.06.2024).
[12] https://www.tagesschau.de/inland/bystron-immunitaet-afd-razzia-100.html, https://www.tagesschau.de/investigativ/afd-krah-china-spionage-durchsuchung-100.html (zuletzt aufgerufen am 03.06.2024).